Stephan Melzl – Tutorial
STEPHAN MELZL
Tutorial
22. April – 04. Juni 2022
--- English version below ---
Die Thomas Rehbein Galerie freut sich, die neunte Einzelausstellung mit Stephan Melzl anzukündigen, in der zwischen 2020 und 2022 entstandene Werke zu sehen sind.
Auch diesmal offenbart sich durch die sparsame Präsentation das beeindruckende Spektrum
formaler und inhaltlicher Spielarten des 1959 in Basel (CH) geborenen Künstlers, dessen scharfsinnige und von subtilem Witz bestimmte Beobachtungen auf die Bedingungen der Bildproduktion und -rezeption gerichtet sind.
Jedes einzelne, in einer aufwändigen malerischen Technik entstandene Werk besticht als perfekt ausgeführte Fassade, deren makellose Wirkung jedoch jenseits verführerischer Oberflächeneffekte eine vielschichtige Dimension bildanalytischer Reflektion offenlegt. Zunächst mögen der zarte Schmelz pudrig pastelliger Tonwerte und die intensive Leuchtkraft der in zahlreichen Schichten lasierend aufgetragenen Farbe die symbolhaft verdichteten Bildinhalte wie ein Schleier verhüllen. Und doch ist es gerade die pulsierende Ausstrahlung dieser feinen koloristischen Valeurs, die das Augenmerk auf die bildinterne Auseinandersetzung zwischen den Realitätsebenen, auf die spannungsvolle Verschiebung zwischen Sein und Schein richtet.
Denn Melzls Werke sind trotz all ihrer lichten Schönheit und ihres hohen ästhetischen Anspruchs brüchig. Im Kern „Bilder von Bildern“ und damit „Bilder über Bilder“, erweisen sich seine pointiert angelegten Kompositionen als tiefgründige Inszenierungen von Ausdrucks- bzw. Bildformen einer visuellen Kultur, die sich zwischen dem klassischen kunsthistorischen Kanon und digitalen Bildformaten bewegt. Daher tritt in seinen Werken häufig das Bild in verschiedenen Varianten als zentrales Sujet auf, mal in direkter, mal in indirekter Anspielung auf bekannte, erkennbare Vor-Bilder. Neben Zitaten einschlägiger Ikonen der Kunstgeschichte, greift er auf visuelle Manifestationen aus alltäglichen Kontexten zurück, wie Werbeanzeigen, Plakate, Emojis, Bildschirmdarstellungen.
Während Tutorial das Format von YouTube-Videos – inklusive Play-Taste – direkt übernimmt, erweist sich die Hommage an die Toteninsel als abstrahierte und in eine großstädtische Szenerie versetzte Variante des gleichnamigen Gemäldes von Arnold Böcklin.
Die horizontalen und vertikalen Strukturen des Originals werden abgewandelt, anstelle des flachen vorgelagerten Gewässers und der steil aufragenden Felsformation, die einen Pinienhain umschließt, treten ein hell erleuchtetes Schwimmbecken und sich kulissenhaft in den Nachthimmel erhebende Hochhäuser auf, deren Konturen sich stellenweise in einzelne rechteckige Felder, Spiegelungen auflösen und vor denen ein einzelner, sehr schlanker Baum mit kugeliger Krone das Rund des Vollmondes spiegelt. Während in Böcklins schwermütigem Szenario ein einsamer Kahn mit einer aufrechtstehenden schneeweiß verhüllten Gestalt auf die Insel zusteuert, steht in Melzls Hommage eine knabenhafte Rückenfigur mit roter Badehose und Schwimmbrille am Fuße des Beckenrandes.
Auch in Der Schrei Reloaded nimmt Melzl die zeitgenössische Interpretation eines Bildklassikers vor und kommentiert seine Banalisierung im digitalen Zeitalter. Auf ein überdimensioniertes Smartphone-Format übertragen, besetzt das berühmte Gemälde von Edvard Munch die prominente Stelle über dem Kamin – Projektionsfläche bürgerlicher Ideale, zu denen die Zurschaustellung von Kunst zählt. Allerdings erscheint das Motiv stark reduziert und beinahe zum Piktogramm verkommen, seine konkret materielle Existenz bleibt unbestimmt: Fernsehbild, ephemere Spiegelung oder gar klassische Ölmalerei? Mitunter können die charakteristischen Merkmale – die krampfhaft gegen den Kopf gepressten Hände und der angstvoll aufgerissenen Mund – als bloßer
Licht und Schatteneffekt, als optische Erscheinung gesehen werden. Die Frage nach dem Verfremdungs- und (Vor-)Täuschungscharakter von Bildern wird bei Melzl zum vordringlichen, stets ironisch gebrochenen Thema.
Durch die Überlagerung malerischer Schichten und die Verschränkung von flächigen und räumlich-illusionistisch ausgearbeiteten Bildpartien vollzieht Melzl Sprünge zwischen den Bildebenen und Realitäten. In Beauty Resort trifft die Pose eines Models auf einer Plakat-Hauswand auf den Kontrapost einer antiken Statue. Die Realität eines Plakats, welches ein Schönheitsideal vermittelt, trifft auf die Realität von zwei weiblichen Figuren mit kindlichen Gesichtszügen, die sich in parallel angeordneten Badewannen der Vision eines optimierten Selbstbildes hingeben.
Besonders geschmeidig vollzieht sich die Umdeutung eines Bildtopos, im Portrait des Christophorus. Die traditionellen Bildrequisiten und Attribute fügen sich hier zu einer einfachen, in ihrer bestechenden Klarheit komischen Formel. So trägt die sich lässig auf einer Brüstung abstützende, dem Betrachter frontal zugewandte bärtige Gestalt des Heiligen den Körper des – in der Legende – geschulterten und schwerwiegenden Jesuskindes als lose baumelnde Gliederpuppe auf seinem T-Shirt. Ein Kinderkopf erscheint versetzt hinter seiner rechten Schulter und eine kleine Hand umfasst seine linke Schulter. Hier verschmelzen zwei Bildrealitäten: Zum einen die Realität des mit einem kurzärmligen Hemd bekleideten Mannes, des Protagonisten in Melzls Bild, der auf dem Rücken ein Kind trägt. Zum anderen die Realität des Bildes auf der Brust, also des Stoffaufdrucks, welches sich aber – vor dem Hintergrund der Erzählung –in narrativer Schlüssigkeit mit dem Kinderkopf verbindet und diesem zugehörig erscheint. Zugleich setzt der Rumpf am Halsausschnitt des Shirts an, so dass ebenfalls der herausragende Kopf des Mannes an die Leerstelle tritt und das Körper -„Bild“ auf dem Shirt ergänzt. In solchen spielerischen Verwandlungsmomenten fließen Trug- und Traumbilder ineinander. Innere und äußere Bilder kommen gleichberechtigt zum Vorschein und vermischen sich in sanften Übergängen zwischen den Ebenen des Bildraumes – und im erweiterten Sinne, des Bewusstseins. Mit den einsetzenden Verschiebungen der Wahrnehmung bleibt die Frage nach der bildeigenen Wirklichkeit unbeantwortet.
(Bettina Haiss, 2022)
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Joëlle Dubois
FORGET ME NOT
Opening: 10. Juni 2022
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STEPHAN MELZL
Tutorial
April 22 – June 4, 2022
Thomas Rehbein Galerie is pleased to announce the ninth solo exhibition with Stephan Melzl, featuring works created between 2020 and 2022.
Once again, the concise presentation heightens the perception of the impressive spectrum of formal and thematic varieties revealed by the artist, born in 1959 in Basel (CH), whose astute observations are pervaded by subtle wit and point to the conditions of image production and reception.
Each individual work, created in an exceedingly elaborate painterly technique, entices as a perfectly executed façade whose immaculate effect, however, comes to disclose a complex dimension of image-analytical reflection. At first, seductive surface effects seem to prevail. The delicate smoothness of powdery pastel hues and the intense luminosity of the paint, applied in numerous layers in a translucent manner, seem to conceal the symbolically charged pictorial arrangements like a veil. And yet it is precisely the pulsating radiance of these fine coloristic valeurs that draws the attention to the subject matter, which often concentrates on the various levels of pictorial representation shifting between reality and appearance.
For Melzl's works, in all their luminous beauty and high aesthetic aspirations, display their own fragile quality. Since they often directly refer to images within the pictorial arrangement, his pointedly laid-out compositions prove to be "images about images". Reflecting the concept of image, they deliberately stage forms of a visual culture that embraces the classical art historical canon as well as current digital image formats and all the countless replicas in worldwide circulation. In Melzl´s works the image in its multiple manifestations often appears as a central subject, sometimes in direct, sometimes in indirect allusion to known, recognizable representations. In addition to citations of prominent icons of art history, he draws on visuals from everyday contexts and popular culture, such as advertisements, posters, emojis, and billboard or screen displays.
While Tutorial directly adopts the format of YouTube videos - including the play button - Hommage an die Toteninsel (Homage to the Isle of the Dead) turns out to be an abstracted variant of Arnold Böcklin's painting of the same name, transposed into a metropolitan setting. The horizontal and vertical structures of the original composition are altered; instead of the shallow water in front and the steeply rising rock formation enclosing a pine grove, a brightly lit swimming pool and skyscrapers rising like a backdrop into the night sky appear.
The contours delineating corporeality of the buildings dissolve into single rectangular fields, like reflections, unsettling the impression of a three-dimensional entity. In front of these disconnected planar elements a single, very slender tree with a spherical crown corresponds with the roundness of the full moon. While in Böcklin's melancholy scenario a lonely barge with an upright figure in a snow-white cloak steers towards the island, Melzl's homage concentrates on a boyish back figure with red swimming trunks and swimming goggles standing at the pool's edge and looking over the stretch of water in front of him.
Der Schrei Reloaded (The Scream Reloaded) also appears as a contemporary interpretation of a classic image and comments on its increasing trivialization in the digital age. Transferred to an oversized smartphone format, Edvard Munch's famous painting now occupies the distinguished position above the fireplace - projection surface of bourgeois ideals, one of which being the self-promoting display of art. However, the illustrious motif appears greatly reduced and almost degenerated into a pictogram. Its concrete material existence within the compositional framework remains undetermined: Is Melzl´s clever depiction of The Scream a television image, an ephemeral reflection, or even a classical oil painting? Sometimes the characteristic features - the hands pressed against the head in acute distress and the mouth agape in fear - can be seen as mere light and shadow effects, as fleeting optical appearances. The deceptive character of images becomes an urgent theme in Melzl's work, imbued with a subtly subversive, ironic note.
Through the dense superimposition of painterly layers and the intricate interweaving of two-dimensional and three-dimensional spatial effects, Melzl leaps between picture planes and the sensations of real-time and real-space involved. In Beauty Resort, the pose of a model on a billboard encounters the contrapposto of an antique statue. The reality of a poster conveying an ideal of beauty further engages with the reality of two female figures with childlike facial features, reclining in bathtubs and indulging in the vision of an optimized self-image.
The Portrait of Christophorus proves to be a particularly witty reinterpretation of a pictorial topos. Here, the traditional iconographic features – the props and attributes serving to identify the subject – combine to form a simple formula that is comic in its nonchalant clarity. Thus the bearded figure of the saint, leaning casually on a parapet and facing the viewer frontally, carries on his shoulders the body of the infant Jesus, which – as purported in the legend – becomes increasingly heavy and threatens to weigh him down as he crosses a river. In Melzl´s adaptation, the saint is not just bearing, but literally wearing, a loosely dangling manikin on his T-shirt. A child's head appears offset behind his right shoulder and a small hand clasps his left shoulder. Here two pictorial realities merge: On the one hand, the presence of the man dressed in a short-sleeved shirt with a child on his back, the protagonist in Melzl's painting. On the other hand, the reality of the image on his chest, i.e. the fabric imprint, which, however - against the background of the saint´s tale - connects in narrative coherence with the child's head and appears to be it´s natural extension.
At the same time, the printed torso attaches itself to the neckline of the shirt, so that the head of the man also fills in the provided empty place and complements the body – the "image" on the shirt. In such playful moments of transformation and transition, delusion and dream images flow into one another. Inner and outer images interact smoothly, blending different levels of pictorial time and space - and in a broader sense, consciousness. With the onset of shifts in perception, the question of the picture's own reality must remain unanswered. Manifold sensations are evoked by Melzl´s challenging idiosyncratic combinations of images in which our concept of an unalterable reality becomes brittle and – in the light of manipulated truths and fake representation – ultimately appears to be no more than a superficial, temporary impression.
(Bettina Haiss, 2022)
Get more informatioen and the show booklet by Elisa Mosch via: art@rehbein-galerie.de
https://rehbein-galerie.de/exhibitions/stephan-melzl-tutorial-2022/
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Joëlle Dubois
FORGET ME NOT
Opening: June 10, 2022