Die österreichische Künstlerin Sophie Hirsch (* 1986) entwickelt eine bildhauerische Formsprache, in der die wechselseitige Beeinflussung von Physis und Psyche zentral und sehr direkt erfahrbar ist. Sie installiert das Sinnliche als Mittel der Erfahrung und Wissensbildung.
Die körperliche Ebene erreicht uns spielerisch durch das eigene Empfinden mit und in den künstlerischen Werken. Hirsch baut beispielsweise Stuhlobjekte mit handelsüblichen Hämorrhoiden-Kissen und Massagebällen, Sofas aus Faszienrollen oder Liegen mit Akupressurmatten bespannt. Die installativen Anordnungen der hybriden Objekte im Ausstellungsraum irritieren, denn alles ist bekannt und doch scheint nichts so wie erwartet. Es geht nicht um Abstraktion, sondern um sinnhafte Verbindungen, die benutzbar sind. Die Objekte verhehlen nicht, dass sie in der Benutzung einen physischen Schmerz erzeugen werden und dementsprechend körperlich ist der erste Widerstand, sich dem freiwillig auszusetzen. Doch es wohnt ihnen ein idealistisches Versprechen inne: Es wird uns danach besser gehen.
In ihren hochästhetischen Gebilden zitiert Hirsch Funktionsmechanismen aktueller Selbstfürsorge-Hypes. Darin propagieren zahllose Social-Media-Schnipsel, dass psychische Gesundheit individuell erreichbar ist – und urteilen unter dem fürsorglichen Deckmantel das Scheitern als ebenso individuelles Versagen ab. Thematisch legt die intensive Wechselwirkung von Körper und Geist die gemeinsame Basis von Hirschs Skulpturen und der Entwicklung einer gesunden Selbstwirksamkeit. Die Künstlerin jedoch seziert dieses Verhältnis von Psyche und Physis auf eine Art, welche die inneren Ambivalenzen des Menschseins als systemisch und kulturell bedingt, der Sozialisation entsprungen und vor allem fluid herausstellt.
Für Hirsch halten die Lehren von Joseph Pilates ein diskursives Feld der physischen Stärkung bereit, welches das Thema der Ausgeglichenheit durch Dehnung und Kräftigung metaphorisch auffächert. Die von Pilates entwickelten Übungsgeräte wie der „Chair“ oder der „Reformer“ finden konkret Eingang in das Austarieren skulpturaler Bausteine, wie beispielsweise in den Werken der Ausstellung „Structural Integration“ in der 83 Pitt Street, New York City (2017). Hier schafft die Künstlerin eine fragile Balance in Gerüsten mit Zugfedern, die von Betonstücken gespannt gehalten werden.
Eine besondere Bedeutung wohnt in allen Arbeiten der Oberfläche und der Beschaffenheit der verarbeiteten Materialien sowie deren Verbindung untereinander inne. Die Künstlerin spielt mit dem haptischen und taktilen Begreifen der Welt als intuitive Eigenschaft mit direkter physischer und emotionaler Rückkopplung. Was unter der menschlichen Oberfläche alles zusammenhält, scheint sie in den plastischen Bildern wie „Big Red“ (2023) in faszinierender Gegensätzlichkeit nach außen zu kehren: Das durch Gipsstrukturen geformte Silikon verbindet sich symbiotisch mit gefärbtem Neoprenstoff und nimmt dessen Farbe sogar stellenweise auf, um nicht zu sagen, lässt sie einbluten. Es entsteht scheinbar ein Blick nach innen, in bewegungsarm verklebte Faszien oder von Fett durchzogenes Fleisch – wunderschön abstoßend, schockierend nah und unwiderstehlich anziehend.
Für die historische Montagehalle des Kunstraum Dornbirn erarbeitet Sophie Hirsch eine neue großformatige und ortsspezifische Installation.
Sophie Hirsch wurde 1986 in Wien geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie studierte 2006-2011 „Skulptur und Multimedia“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien und 2004-2006 an der School of the Art Institute of Chicago mit dem Schwerpunkt Fotografie und Skulptur.