Harald Gnade & Stephan Marienfeld - rethinking nature
Die Welt im Schwebezustand
GALERIE NOAH zeigt mit „rethinking nature“ brisante Malerei und Plastik von Harald Gnade und Stephan Marienfeld
Schwerelos schweben, still und leise kreisen, ganz friedlich fliegen uns in der GALERIE NOAH dieser Tage absonderliche Asteroiden um die Ohren - wie auf der Suche nach Zugehörigkeit, durch Raum und Zeit, in Ruhe auf der Flucht, ohne Anfang und vielleicht auch ohne Ende. Fein säuberlich in Acryl auf Leinwand gepinseltes, losgelöstes Fragment macht sich breit, scheinbar mikrobiologisch definiert, Schilf-, Moos- oder Stroh-artig anmutend, fragil wie robust, resistent. Davor, darunter ein Haufen verglühter Meteoriten, teils wie von Wunderhand poliert, zum Greifen nahe, in Aluminium, Bronze oder Porzellan gegossen, „gefallene Engel“ in modern-maroder Form, mit Blessur, demoliert, vom Leben gezeichnet. Unsere brandneue Doppel-Ausstellung des Berliner Malers Harald Gnade und des nordrheinwestfälischen Bildhauers Stephan Marienfeld könnte nicht brisanter sein, nicht zeitgeistiger daher kommen - aus soziologischer Sicht nämlich tut sich hier durchaus eine Art gesellschaftliches Psychogramm auf: Ganz wunderbar wie formvollendet hält uns diese besondere Super-Show einen symbolischen Spiegel vor, zeigt uns, uns alle in digitale Watte gepackt, auf ewiger Sinnsuche durch virtuelle Kosmen, verloren in den grenzenlosen Irrungen und Wirrungen des WorldWideWeb, verführt von fiktiven Ideologien, gefangen im eigenen Körper.
Die Welt in einer Art Schwebezustand, irgendwo zwischen Diesseits- und Jenseits, kredenzt uns Harald Gnade – und liefert herrlich angenehme, federleichte, und doch tiefsinnige Inspiration, leichten Stoff für schwere Köpfe. Angenehm analytisch, auf eine abstrahierende, metaphorische Weise macht er sich schon seit ein paar Jahren auf, die Dinge um sich unter die philosophische Lupe zu nehmen, Zusammenhänge innerhalb der Natur, aber auch von Mensch zu Natur zu hinterfragen, Analogien nachzuspüren, sozusagen von Innen- und Außenwelt. Das Fazit: schön wie effizient, sticht ins Auge, fesselt, bietet Neues für Altes und lässt lange verweilen. Gnades filigrane, abstrakt figurative Acryl-Malerei aus vor allem den neuen Werkgruppen „Mikronatur“, „Habitat“ und „Land and Islands“ nimmt den Betrachter sanft an die Hand und zieht ihn sachte hinein, ins Bildinnere, in einen Strudel aus farbiger, im weiß-blauen Weltall herum irrender, organischer Materie – ein meditatives, ästhetisch wie intellektuell wertvolles Vergnügen, das der ehemalige Hermann-Nitsch-Schüler gerne mal mit drastischen Schüttungen flüssigen Aluminiums bricht, oder mit poppigem Lack kontrastiert.
Stephan Marienfeld, Bildhauer aus Hattingen, langjähriger Assistent von Bildhauer-Legende Tony Cragg, gibt hier im Kuppelsaal das Seinige hinzu, führt ironisch-gleichnishaft fort und ergänzt, haut populär rein und setzt derweil maßgebliche Akzente, mit schmerzhaftem Wiederhall, à la Richard Deacon oder Constantin Brancusi: Seinen stark reduzierten, figurativen, leicht konkret zu verstehenden Plastiken aus Porzellan, Aluminium und Bronze aus vor allem den Serien „Bondage“, „Turn up“ und „Twist“ erinnern an griffige Gegenstände, eindringliche Formen des alltäglichen Lebens, und meinen doch den Mensch, in Natura, im bewegten Sein. Er will diesen eine Seele geben, das gelingt! Dellen, Ecken und Kanten zieren seine Kreaturen, Schöpfungen – makellos ist ganz offenkundig passé, wenngleich auch die zum Teil hochglanzpolierten Oberflächen dieser unserer Objekte anderes versprechen, vorgaukeln, in Einklang bringen wollen. 1966 in Hattingen an der Ruhr geboren, macht Stephan Marienfeld erst eine Ausbildung zum Steinbildhauer, bis es als Atelierleiter für zehn Jahre direkt ins Atelier von Tony Cragg nach Wuppertal geht. 2003 bis 2006 nimmt Marienfeld einen Lehrauftrag an der Freien Kunstakademie in Essen an, wird mit Nominierungen und Preisen, unter anderem für den TheRhinePrize Bonn, geehrt, sowie mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland, so im Kunsthaus Hannover, im Museum Villa Rot, auf der Biennale in Venedig 2019, auch einer stetigen Beteiligung an der renommierten, von New York bis Hongkong tätigen „Opera Gallery“.
Harald Gnade, 1958 in Prisser, Niedersachsen, geboren, studiert von 1978 bis 1982 Malerei und Film an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt, am Städel, bei Thomas Bayrle, Peter Kubelka und Hermann Nitsch; im Anschluss absolviert er ein weiteres Studium von Film und Angewandter Kunst an der Hochschule der Künste Berlin bei Wolfgang Ramsbott und Hans Förtsch. Doch geht er nicht den filmischen Dingen nach; er malt, intensiv, testet aus und durch, und doziert parallel jahrelang an der Akademie für Malerei Berlin. Er ist 1992 auf der documenta in Kassel vertreten, stellt im „Haus der Kunst“ in München aus, im Kunsthaus Potsdam, erhält Stipendien wie das des Kultursenates von Berlin und Europa, und lebt und arbeitet bis heute gerne und mit Leidenschaft in Berlin und auf Sizilien.
Im Studio: neue Malerei von Katsuhiko Matsubara.