Kinofilm "Land of Dreams"

Amerikanische Träume

In ihrem neuen Film schickt Shirin Neshat eine Traumfängerin durch die USA. "Land of Dreams" erzählt auf subtile Weise von Angst und Hoffnung und bekommt durch die Proteste in Iran eine neue Ebene

Träume geben die Ängste der Menschen preis und bringen zum Vorschein, was am Tag verdrängt wird. Seit Jahren beschäftigt sich die Künstlerin Shirin Neshat mit dem nächtlichen Kopfkino, fotografierte zufällig ausgewählte Personen in ihrer US-amerikanischen Wahlheimat und zeichnete die Geschichten auf, die sie des Nachts erlebten. Nun tut es ihr die junge Protagonistin Simin in dem neuem Spielfilm "Land of Dreams" gleich. Diese handelt jedoch nicht im Namen der Kunst, sondern im Auftrag einer US-Behörde, dem "Census Bureau".

In einer nahen Zukunft hat die US-Regierung die Macht des Wissens um die Träume erkannt und schickt Agenten los, um Bürgerinnen und Bürger über ihre nächtlichen Visionen zu befragen. Wieso sie für ihre Aufgabe ausgewählt wurde, weiß Simin nicht. Mit Aufnahmegerät und Fragebogen ausgestattet zieht sie als Traumfängerin durch das Land, mal wird ihr der Eintritt verweigert, mal wird sie mit einem opulenten Dinner empfangen.

Jene, die sich ihr öffnen, fotografiert sie nach dem Gespräch – für sich, wie sie sagt, um sie in Erinnerung zu behalten. Abends filmt sich die junge Frau heimlich in der Rolle dieser Menschen, erzählt die Träume auf Persisch in eine Kamera und lädt sie auf einer Website hoch. Was sie damit bezweckt und wonach sie sucht, weiß vielleicht nicht einmal Simin selbst.

Absolute Überwachung

Alles ändert sich, als die Protagonistin in "Die Kolonie" geschickt wird, ein Spezialauftrag, wie ihr ihre Chefin Nancy (Anna Gunn) erklärt, an dem schon viele gescheitert seien. Doch Simin, meint Nancy, sei perfekt geeignet: Nur sie könne das Vertrauen der Bewohner der Enklave gewinnen, die niemanden von außen hineinlassen. Als Bodyguard wird ihr Alan an die Seite gestellt, ein Provinzbulle, gespielt von Matt Dillon, von dem nicht klar ist, ob er Simin beschützen oder überwachen soll. Und tatsächlich: Die Tore öffnen sich für die iranisch-stämmige Simin, Alan muss draußen bleiben.

Was sie hinter den Mauern erwartet, trifft die junge Frau unerwartet und ruft Erinnerungen an ihren Vater hervor. Mit den Menschen in dem Fort verbindet sie mehr, als sie ahnt, ihre Geschichte holt sie ein und fordert eine Abwägung ihrer Loyalitäten. Der Auftrag zwingt Simin, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen, bis die Realität von der Traumwelt überlagert wird. 

Immer wieder taucht scheinbar aus dem Nichts der hübsche Mark (William Moseley) auf. Der versucht, Simin die Augen zu öffnen für die Absichten des Census Bureau. Als Gegenspieler zu Alan wird er von Simin still akzeptiert, womit sich der Polizist zähneknirschend arrangiert. Als unfreiwilliges Dreiergespann bilden sie eine seltsame Dynamik, die trotz des Interesses der beiden Männer an der Frau mit den großen dunklen Augen keine Romantik aufkommen lässt. 


Nicht nur Mark sieht in den Bestrebungen des Census Bureau eine Gefahr. Auffallend oft sind es die migrantischen und marginalisierten Figuren im Film, die ihre Träume nicht teilen wollen. Geradezu feindlich begegnen sie Simin, als Alan beginnt, die junge Frau zu begleiten.

Neben der Staatsgewalt sind auch die Träume selbst für diese Menschen eine ambivalente Angelegenheit: Die mexikanische Hausangestellte Maria hat ihre an der Grenze zurückgelassen. "Sie sagt, ihre Träume sind in Mexiko geblieben und nicht mit in die USA gekommen", stellt die Hausherrin Maria beim Abendessen bloß, ohne die Tragweite des Gesagten zu begreifen. Es ist ein Satz, der in seiner Doppeldeutigkeit ins Herz trifft. Der "American Dream" ist ein Versprechen, das sich nur durch seine Exklusivität am Leben hält. Und staatliche Kontrolle ist eine Form von Gewalt, die sich vor allem gegen jene richtet, die ohnehin am Rand der Gesellschaft stehen.

Wie schon in Neshats Kinoerfolg "Women Without Men" spielt die iranische Rev­o­lution eine Rolle im Film, nur diesmal aus der Sicht einer Nachgeborenen. Wieder driften die Szenen ins Surreale, die selbstbeherrschte Simin entwickelt sich zur unzuverlässigen Erzählerin, die zwischen Trauma und Wachtraum wandelt. Währenddessen zieht sich um sie das Netz des Census Bureau in Person von Nancy immer enger, von der nicht klar ist, ob sie aus persönlichen Motiven oder im Staatsauftrag handelt. 

Auseinandersetzung mit der iranischen Geschichte

Immer wieder gibt es bei Neshat Rückbezüge auf die historischen Ereignisse in Iran: beispielsweise wird auf die Operation Ajax Bezug genommen (um die sich auch Neshats "Women Without Men" dreht), bei der die USA im Namen der Demokratie in das innenpolitische Geschehen in dem nah-östlichen Staat eingriffen und damit den Lauf der Geschichte veränderten. Der religiöse Fundamentalismus, dem sich derzeit so viele Demonstrierende auf den Straßen Irans entgegenstellen, bekommt in "Land of Dreams" in Form einer christlichen Sekte ein US-amerikanisches Pendant. 

In ihrer Auseinandersetzung mit dem Missbrauch der Träume als Machtinstrument bekommt Neshats Politsatire gerade auch im Kontext der Einschränkung von Kultur in Iran eine beunruhigende Aktualität und eine zweite Ebene. Der "Traum" wird hier in all seinen Bedeutungsebenen verhandelt: Als Zukunftshoffnung, als unwirklicher Ort, als unerreichbare Vision – oder als Manifestation der tiefsten Ängste. Die USA als geheiligtes Land sind längst ein Sinnbild für Gewalt, das "Land of the Free" bewacht seine Grenzen. 

Der Titel des neuen Streifens von Shirin Neshat und ihrem Lebens- und Arbeitspartner, dem Regisseur und Multimedia-Künstler Shoja Azari, dürfte einigen bekannt vorkommen. Eine Videoarbeit mit selbem Titel zeigte die Künstlerin neben den eingangs erwähnten Fotoporträts vergangenes Jahr in der Ausstellung "Living in One Land, Dreaming of Another" in der Pinakothek der Moderne.

Straucheln im Paralleluniversum

Auch in dem dort präsentierten Kurzfilm spielt Sheila Vand eine junge iranischstämmige US-Amerikanerin auf der Jagd nach den Träumen, nur ist sie da eine als Kunststudentin getarnte Agentin einer iranischen Geheimorganisation, die versucht, durch die Träume den US-amerikanischen Staat zu unterwandern. Wie in einem Paralleluniversum strauchelt die von Vand gespielte Figur, scheitert wieder an ihrer Aufgabe, weil sie sich emotional nicht von den Träumern distanzieren kann. Was jedoch wie eine Antithese wirkt – das Eindringen von außen gegenüber der Kontrolle über die eigene Bevölkerung – mündet im selben Ergebnis.

Die Männerfiguren im Film begrenzen die Freiheit der Hauptfigur Simin, sodass sie sich von ihnen lösen muss: Einmal ist da Alan, das Symbol der willkürlichen Staatsgewalt. Mark tritt zwar gutherzig auf, entscheidet jedoch von dem Moment an, wo er Simin zum ersten Mal begegnet, dass er sie liebt. Und dann ist da noch ihr eigener Vater, der in ihrer Erinnerung weiterlebt und sie nicht loslässt.

"Land of Dreams", der vergangenes Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte, ist eine luzide Auseinandersetzung mit politischen Ereignissen, aber auch mit der Biografie Neshats, die als Jugendliche in die Staaten gekommen ist und sich, wie sie immer wieder sagt, weder in Iran noch in den USA ganz zu Hause fühlt. Dabei geht es der Künstlerin, wie immer in ihrer Arbeit, um das Menschliche an sich. Am Ende dreht sich der Titel, der an den "American Dream" angelehnt ist, um: Wenn wir träumen und wenn wir uns fürchten, sind wir alle gleich.