Architekten Sergio Jaretti und Elio Luzi

Die heiteren Palazzi von Turin

Im postfaschistischen Turin tauchten plötzlich verspielte Gebäude auf, die wie eine Gegenrede zur kühlen Moderne wirkten. Nun würdigt ein neues Buch die Arbeit der Architekten Sergio Jaretti und Elio Luzi

Gut ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tauchten Wohnbauten im postfaschistischen Turin auf, die anders waren als das, was es hier zuvor gab. Anders auch als das, was andere zu dieser Zeit bauten: Die Casa dell’Obelisco zum Beispiel, eine Art sanft geschwungener Palazzo der Neuzeit, oder das Wohnhaus an der Piazza Statuto, das aus vorgefertigten Bauteilen eine architektonische Ordnung mit ganz eigenem Rhythmus erschuf. Sie erscheinen heute wie eine Gegenrede auf die rationalistisch-kühle Moderne, die auch unter Mussolini vorangetrieben wurde (im Gegensatz zum deutschen Nationalsozialismus, der behauptete, ideologisch wie ästhetisch im Widerstand gegen jene Moderne zu stehen).

Verantwortlich für dieses norditalienische Spezifikum waren Sergio Jaretti (1928–2017) und Elio Luzi (1927–2006). 20 Jahre lang haben beide Architekten gemeinsam Wohnbauten in Turin realisiert. Entdecken lassen die sich bis heute im Stadtraum – und wiederentdecken mit dem Buch "Jaretti & Luzi. Wohnbauten in Turin 1954 –1974", das gerade bei Park Books erschienen ist. 

Als erste Monografie überhaupt widmet sich der Band den spezifischen örtlichen, persönlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen diese Architektur entstanden ist. Vielleicht ist es gerade die stetige Auseinandersetzung zwischen den auch politisch unterschiedlich verorteten Architekten, die solch überraschende Lösungen auf bekannte Probleme hervorbrachte.

Großzügig, verspielt bisweilen, aber nie beliebig

Was lässt sich so zum Beispiel aus schmalen, verwinkelten, schwierigen Grundstücken machen? Jaretti und Luzi fächern den Raum, der ihnen bleibt, in verschiedene Richtungen, Achsen und Dimensionen auf. In mehrgeschossige Wohnbauten setzen sie öffentliche oder gemeinschaftliche Räume; Treppengeländer, Tore, Türen, Leuchten werden als eigenständige Gestaltungselemente verstanden. 

Freiflächen und Luftgeschosse durchbrechen die Vorstellung, man könne begrenzte Grundrisse bloß mit noch mehr monolithischer Verve beantworten. Wohneinheiten werden versetzt zueinander gestapelt, geschichtet, aufgefaltet. Im zuckerbäckerrosa Haus an der Via Gorizia (1959–1968) widmen die Architekten fast eine gesamte Straßenseite der Freifläche, die sich terrassenartig in die Höhe schraubt. Trotzdem geben die Außenhüllen die Privatheit ihrer Bewohner nicht preis.

Generöser werden, wo eigentlich nur mehr Beschränkung gefragt scheint – Jaretti und Luzi haben diese Kernaufgabe von Gestaltung gerade unter bauökonomisch schwierigen Situationen ernst genommen. Auch ihre Wahl der Farben und Formen erscheint großzügig, verspielt bisweilen, aber nie beliebig. Hier zeigt sich, dass neben Frank Lloyd Wright auch die Arts-and-Crafts-Bewegung prägend für beide Architekten war. 

Können Bauten Humor haben?

Balkongitter, die unverhofft einen Schwung extra drehen, Treppenhäuser, die mit transparenten Flächen wie mehrfach hintereinander gesetzte Bühnenräume erscheinen, oder eben ganze Fassaden in Bonbon-Farbe brachten eine neue Heiterkeit in den Turiner Stadtraum. Es ist kein brachialer, sondern ein feiner, zurückhaltender Humor, den ihre Bauten bis heute ausstrahlen (warum der Begriff "Humor" generell heikel ist, argumentiert ein Aufsatz in dem ohnehin streitlustigen Buch).

Neben allen Turiner Wohnbauten des Architekten-Duos zwischen 1954 und 1974 umfasst die Monografie einige hervorragende Überlegungen und Essays. Schon Adam Carusos Vorwort über "Die Unmöglichkeit der Moderne" dockt an vielen relevanten Fragen dieser Tage an: Lassen sich jene Bauten nun als fortgeführte oder wiederaufgenommene Formulierung der Moderne begreifen? Als Kontinuität oder Gegenrede? Welche Moderne überhaupt? 

Warum Bauen natürlich politisch ist, welchen Möglichkeiten und Herausforderungen Architektur heute begegnen muss und wieso es fürs gesellschaftliche Zusammenleben dringend notwendig erscheint, erst einmal die Begriffe klar zu bekommen: auch zu diesen Überlegungen regen die Bauten von Jaretti und Luzi an. Dass sie immerhin 50 bis 70 Jahre nahezu unbeschadet überstanden haben, von ihren jeweiligen Bewohnern fortwährend gehegt und gepflegt, belegt die ästhetische und offenbar auch ganz pragmatische Wertschätzung ihrer Entwürfe.