Er wurde von Wim Wenders porträtiert, mit diversen Preisen prämiert und zum Unicef-Botschafter des guten Willens ernannt. Der brasilianische Künstler Sebastião Salgado ist ein Chronist seiner Gegenwart in der Tradition sozialdokumentarischer Fotografie - eines besonderen Engagements zwischen Beobachtung und Teilhabe.
In seiner neuesten Serie "Amazônia" begab sich Salgado in das wasser- und artenreichste Dickicht unseres Planeten, näherte sich dort gleichermaßen der Natur sowie den dort wohnenden Stämmen an und liefert ein beispielloses Porträt des Amazonas – kraft- wie auch taktvoll. Wie bereits in der Vergangenheit kuratierte Lélia Wanick Salgado, die Partnerin und ständige Begleiterin des Magnum-Fotografen, auch diese Ausstellung. Besonders hieraus speist sich das Potenzial der gewählten Bilder, der transportierten Narrative und Themen.
Die studierte Architektin entschied sich, die mehr als 200 Bilder ihres Gatten freihängend im abgedunkelten Raum zu platzieren. Durch die vermeintliche Zufälligkeit der entstandenen Gänge wird der Amazonas zu einer buchstäblichen Irrgartenschau abstrahiert – das Gefühl von Desorientierung vor der schier überwältigenden Größe dieses Ökosystems wollte Lélia Wanick durch die Ausstellung spür- und erfahrbar machen. Was ihr gelingt.
"Amazônia", eine Klanglandschaft
Multipliziert durch die Soundcollage des Komponisten Jean-Michel Jarre, der eine Klanglandschaft eigens für die "Amazônia"-Ausstellung erschuf, fühlt sich der Gang durch die flurartigen Bildkorridore an wie die Erkundung einer bisher ungewohnten Umgebung. Mal pulsierend, treibend, im nächsten Moment zart, beruhigend, umarmend. Zu den raren Orientierungspunkten zählen die zinnoberroten Rondells im Mittelteil des Ausstellungsortes, die die scheinbare Dschungel-Allegorie strukturieren: Hörinseln mit Porträts und Videointerviews von im Amazonas beheimateten Stammesmitgliedern, die von individuellen und allgemeinen Problemen im Umgang mit ihrem Habitat berichten, dem zugleich eine unvergleichliche Wichtigkeit für das gesamte Ökosystem der Erde zukommt.
Am besten wissen die mindestens 114 indigenen Völker des Amazonas um die Bedrohung der Arten- und Naturvielfalt. Weder von der brasilianischen Regierung noch von internationalen Industrie-Interessen wird der Relevanz des Amazonasbecken die nötige Wertschätzung entgegengebracht. Dieses Gefühl von Ambivalenz zwischen roher Naturschönheit und wertschöpferischer Missachtung aus den Berichten der Stammesindividuen hallt nach – auch lange nach Verlassen des Ausstellungsraumes.
Zunehmende Bekanntheit erfuhr Salgado durch seine sensiblen und präzisen Fotoreportagen in der Vergangenheit. 1986 dokumentierte er die unsäglichen Bedingungen, unter denen die Goldschürfer in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada arbeiteten mit seinem Bildband "Gold". Sein bisher umfassendstes Projekt "Genesis" erstreckte sich über neun Jahre. 250 der entstandenen Schwarzweißfotografien von unberührten Landschaften, Fauna, Flora und menschlichen Gemeinschaften sind 2013 im Natural History Museum in London großformatig gezeigt worden, zwei Jahre später reiste die Ausstellung nach Berlin. In mehr als 100 Einzel- und Gruppenausstellungen sind die Werke von Salgado präsentiert worden. Doch nicht durchgehend unumstritten.
Sein fotografischer Eingriff ist nie aggressiv
Salgados Kritiker werfen ihm die Ästhetisierung des Leids der von ihm porträtierten Menschen vor. Es heißt, seine Fotografien bewegten sich im "Grenzbereich der Sozialromantik", seine Porträtierten seien "Laiendarsteller des Elends", so die Journalisten Andrian Kreye und Roland Groß. Dabei sind die Menschen in Salgados Fotografien immer buchstäblich auf Augenhöhe, die Motive mit tiefer Verbundenheit und frei von Voyeurismus gewählt und festgehalten.
So auch in seiner neuesten Schau. Stets in Begleitung eines kiloschweren, 54 Quadratmeter großen Stücks Leinwand sowie einer 70 Quadratmeter großen Plane richtete Salgado temporäre Ateliers ein, um Studioaufnahmen zu ermöglichen. Seinen Porträtierten stellte er immer frei, ob und wie sie sich ablichten lassen wollten: im Atelier, im Freien, mit oder ohne persönlich gewählte "Requisiten".
Sein fotografischer Eingriff ist nie aggressiv, immer kooperativ und mit der Absicht, Sensibilität zu vermitteln – sei es für Schönheit, Gefühle oder strukturelle Gefahren. Einmal mehr überbrücken Sebastião und Lélia Wanick Salgado die irrtümliche Distanz zu solch fernen Ökosystemen wie dem Amazonas und überführen sie in die Lebensrealität eines internationalen Publikums. Denn, wie Biraci Brasil (Nishiwaká), das Oberhaupt der Yawanawá des oberen Rio Gregório, sagt: "Jede Zerstörung am Regenwald betrifft die ganze Welt sowie jeden einzelnen Menschen."