Lange war der Undergroundfilmer Jack Smith nur Cineasten bekannt, doch allmählich wird er auch über Insiderkreise hinaus als einer der wichtigsten Künstler der amerikanischen Postmoderne entdeckt. Heute beginnt in Berlin ein großes Jack-Smith-Festival . Mit dabei ist der Schriftsteller Thomas Meinecke – ein alter Fan des 1989 an den Folgen von Aids gestorbenen Künstlers.
Herr Meinecke, in Ihrem aktuellen Buch „Jungfrau“ wird Jack Smith ausführlich erwähnt. Einer breiten Öffentlichkeit ist er heute aber gänzlich unbekannt. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Durch meine Beschäftigung mit Andy Warhol. Ich glaube, ich habe meinen ersten Jack-Smith-Film 1978 gesehen, in irgendeinem Undergroundkino. Warhol und Jack Smith waren beide in den frühen 60er-Jahren eine Speerspitze des Undergroundfilmens in New York. Warhol, Smith und der Warhol-Drehbuchautor Ronald Tavel, das war so eine Clique, die sich mit dem Begriff der „ridiculousness“ beschäftigte: die ins Positive gewendete Lächerlichkeit. Tavel hat das „Theatre of the Ridiculous“ begründet. Sie entwickelten damals eine Praxis des Gegen-den-Strich-Lesens von Trash- und B-Movies, eben Camp.
Und sie hatten einen Sinn für Diven.
Warhol und Smith waren die Begründer dieses Superstargedankens. Es ging darum, Stars zu huldigen, die außerhalb dieser neuen Parallelwelt eigentlich gar keine waren, ob sie nun B-Klasse in Hollywood waren oder A-Klasse in der Lower East Side. Diese Art der Huldigung kann man ja als einen quasireligiösen Akt beschreiben. „Those who could believe, did“, hat Smith mal gesagt – diesen Satz habe ich auch zum Motto meines Romans gemacht.
Wer wurde denn da verehrt?
Ganz wichtig ist Mario Montez, der jetzt auch in Berlin auftauchen soll, was eine Sensation ist, denn er war 30 Jahre lang aus der Öffentlichkeit verschwunden. Mario Montez war ein puerto-ricanischer Underdog mit flamboyanten Qualitäten, eine katholische, schuldbehaftete Dragqueen. Sowohl Warhol als auch Smith haben ihn als Akteur benutzt. „Mario Banana“ heißt ein früher Warhol-Film, in dem Montez eine Banane isst. Montez ist später nach Florida in eine Familienvaterexistenz abgezischt, nachdem er als Undergroundikone ausgedient hatte.
Und was unterschied Jack Smith von Warhol?
Jack Smith war einfach nicht so geschäftstüchtig und clever wie Warhol – deshalb kennt man ihn auch heute nicht mehr so. Und Smith war wahrscheinlich die etwas schwierigere Person. Ich habe mittlerweile einige Leute kennengelernt, die ihn auch kannten, und er muss wohl eine soziale Umgangsweise gehabt haben, die gewöhnungsbedürftig war.
Sein Werk kam dann auch schwer ins Visier der Zensurbehörden.
Ja, sein großer Film „Flaming Creatures“ ist in den USA heute noch verboten – obwohl eigentlich gar nicht viel passiert. Dafür sind die Begründungen für das Verbot toll. Es gab einen US-Senator der sagte: „Der Film ist so krank, dass er mich nicht einmal erregt.“ Weil die Penisse, die gezeigt werden, schlaff sind.
Der Pornoalarm ist also übertrieben – was ist denn wirklich zu sehen?
Ich kenne die Filme „Flaming Creatures“ und „Normal Love“, die sind beide ganz unglaublich fantastisch. Immer zwischen Pop und Avantgarde. Die Ästhetik ist sehr low – das Material ist fehlerhaft, das Equipment billig, aber das ist natürlich eine bewusste Haltung. Man sieht auf eine sehr berührende Weise Körper und Menschen miteinander in Aktion, durchaus alles Laien. Es ist vieles improvisiert. Es gibt tolle Geschichten über die Dreharbeiten: Jemand rutscht in einer Pfütze aus und wird schmutzig, und jemand anders nimmt eine Colaflasche und gießt sie der Person übers Gesicht, um es zu waschen – und im Hintergrund laufen Leute durch Pappmachee-Urwälder und werden gar nicht mehr verfolgt, weil das Gesichtwaschen plötzlich zur Haupthandlung geworden ist.
Die Pappmachee-Kulissen, die Sie erwähnen – gehen die auch in Richtung bildende Kunst?
Definitiv. Die Filme spielen alle in einem künstlichen Orient, einer Mischung aus Bagdad und Babylon. Diese Kulisse hat Jack Smith wiederum aus Hollywood-B-Movies aus den 40er-Jahren kopiert, in denen sein Idol, die aus der Dominikanischen Republik stammende María Montez, spielte. Jack Smith baute dieses Bagdad-Babylon in seiner Lower-East-Side-Wohnung wieder auf, filmte dort, führte aber auch Bühnenstücke auf. Er war ja nicht nur Filmemacher, er hat auch Performances gemacht und fotografiert.
Die Filme wurden jetzt alle restauriert, und in Berlin kann erstmals wieder das gesamte Werk gezeigt werden. Wieso ist Jack Smith heute wieder relevant?
Ästhetisch kann man da eine Einflussnahme bis zu den Matthew-Barney-Filmen sehen: die extrem künstlichen Pappmachee-Welten, die Queer-Ästhetik, das ist für heutige Begriffe unglaublich aktuell.
Festival: „Live Film! Jack Smith!“ mit Filmen, Performances und internationalen Gästen, 28. Oktober bis 1. November, Kino Arsenal und Hebbel am Ufer, Berlin. Info unter: www.arsenal-berlin.de