Siebzehn Jahre lang stand Gereon Sievernich an der Spitze des Berliner Martin-Gropius-Bau. Mit einem besonderen Gespür für zeitgenössische Kunst und besten Kontakten hat er dem Ausstellungshaus einen hervorragenden Ruf verschafft. Der dpa verrät der 69-Jährige, was er sich zum Abschied wünscht.
Mit welchem Gefühl verlassen Sie den Gropius-Bau?
Ich gehe wirklich mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Es ist ist ja eine der schönsten Aufgaben, die es in Berlin gibt. Durch die universelle Anlage unseres Programms haben wir mit Kunstinstitutionen und Künstlern in aller Welt zu tun – letztlich können wir die ganze Welt nach Berlin bringen, und das ist natürlich sehr spannend. Aber wir haben auch unter knappen finanziellen Mitteln gelitten. Da würde ich mir wünschen, dass in Zukunft etwas passiert.
Sie sind aber doch ganz gut ausgestattet …
Wir werden seit zwei Jahren institutionell, also dauerhaft gefördert. Das ist tatsächlich ein großer Fortschritt, den wir Kulturstaatsministerin Grütters verdanken. Wir haben bewiesen, dass das Haus international verankert ist und die Ausstellungen international wahrgenommen werden. 60 Prozent unserer Besucher sind nicht aus Berlin, sondern kommen von außen. Seit 2001 haben wir 7 Millionen Besucher in etwa 190 Ausstellungen gezählt. Umgerechnet bekommen wir pro Besucher einen staatlichen Zuschuss von etwa 2 Euro. Das ist gemessen an den Opern und Theatern eine tolle Relation. Zudem bringt der Gropius Bau der Stadt durch seine Besucher weitere Einnahmen von mindestens 100 Millionen Euro.
Was ist dann das Problem?
Wir sind halt nicht so ausgestattet, dass wir agieren können, wir sind sehr reaktiv angelegt. Aber bei dem hyperaktiven Kunstmarkt heute muss man in der ganzen Welt um interessante Künstler werben. Man muss sie gewinnen und dann auch sehr früh entscheiden können, dass man sich das leisten kann. Und diese langfristige Planung ist bei uns nicht möglich. Wir bekommen jetzt 3,1 Millionen Euro im Jahr, die Bundeskunsthalle bekommt 15,7 Millionen Euro. Und genauso fühle ich mich auch.
Muss man nicht heute ohnedies eher auf Kooperationen setzen?
Ja und Nein. Unsere Ausstellungen etwa von Anish Kapoor, Olafur Eliasson oder Rebecca Horn, die waren nur für unser Haus gemacht, die kann man nicht touren. Aber wir arbeiten schon sehr lange mit allen wichtigen Häusern etwa in Los Angeles, New York, Paris, Tokio zusammen. Viele haben von sich aus großes Interesse, hier in Berlin aufzutreten und dann verbinden wir uns. Aber auch dafür braucht man einen jahrelangen Vorlauf. Ich denke beispielsweise an unsere große Pasolini-Ausstellung, da haben fünf europäische Partner fünf Jahre daran gearbeitet. Das war ein Riesenerfolg, aber auch eine riesige Arbeit.
Auf welches Projekt sind Sie rückblickend besonders stolz?
Das kann ich nicht sagen. Ich muss ja alle Ausstellungen und alle Künstler gleich lieben. Aber am erfolgreichsten war das Projekt "Ägyptens versunkene Schätze". Die Premiere war hier in Berlin und dann ist die Ausstellung durch die ganze Welt gegangen. Wir allein hatten 450 000 Besucher, so viele wie noch nie. Spannend war auch die Arbeit mit Ai Weiwei. Er konnte ja damals nicht zur Eröffnung kommen. Ich habe ihn vorher heimlich in seinem Studio in Peking besucht, wo uns gefühlt hundert Geheimdienst-Kameras beobachtet haben. Das war schon manchmal furchteinflößend. Aber letztlich ist ja alles gut gegangen, und inzwischen lebt er glücklich mit seinem Sohn und seiner Frau in Berlin.
Sie werden jetzt Kurator des Hauptstadtkulturfonds – was heißt das?
Es geht darum, Projekte für eine öffentliche Förderung auszuwählen, die eine besondere hauptstädtische Bedeutung haben. Und Berlin ist ja immer noch sehr attraktiv für Künstler aus aller Welt. Aus dem arabischen Raum, aus den USA, aus Israel, aus England, Frankreich, Spanien … eigentlich aus allen Ländern mit einer aktiven Kunstszene leben Künstler hier. Und sie sprechen nicht nur Richtung Berlin, sondern sind auch wichtige Botschafter aus Deutschland in die Welt.
Welche Kriterien sind Ihnen wichtig?
Ein Zauberwort, das scheinbar alle Türen öffnet, heißt heute innovativ. Aber ich bin da ein bisschen skeptisch. Ich finde nicht, dass alles neu sein muss. Es kann ruhig bekannt sein, aber es muss dann halt in einen neuen Zusammenhang gestellt werden, der uns aus ästhetischen Gründen heute interessiert. Der wichtigste Aspekt wird sein, auch junge Leute wieder für das direkte, sinnliche Erlebnis von Kunst zu gewinnen. Das ist, glaube ich, in Zeiten von Internet und Smartphone die größte Herausforderung.
ZUR PERSON: Gereon Sievernich, 1948 in Frankfurt am Main geboren, studierte Ethnologie, Politologie, Religionswissenschaften, Sinologie und Philosophie. Seit 2001 stand er an der Spitze des Martin-Gropius-Baus. In den 70er Jahren arbeitete er für die Berliner Festspiele und als Kurator wichtiger Festivals. Am 1. April wird er für zwei Jahre Kurator des Hauptstadtkulturfonds.