„Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet“ (Karl Kraus)
Claus Peymann hat gebrüllt. Der Intendant des Berliner Ensembles, in Ehren ergraut, fürchtet, aus der Berliner Volksbühne werde, dank des Kulturstaatssekretärs Tim Renner, eine „Event-Bude“. Das ist neu. Bisher war Peymann, der am Schiffbauerdamm Brecht in Stein meißelt, für Verbrüderungsgesten mit dem Panzerkreuzer am Rosa-Luxemburg-Platz eher weniger bekannt. Was den Verdacht nahe legt, dass Peymann wohl weniger wegen der Volksbühne, des scheidenden Intendanten Castorf, wegen Renner oder des gerüchteweise als Castorf-Nachfolger auftauchenden Chris Dercon, sondern vor allem um seiner selbst willen brüllt, in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie: Hoppla, es gibt mich noch!
Das ist typisch für seine Generation – und vielleicht für jede Generation, deren Protagonisten um die siebzig sind. Sie wollen mit Donnerhall abtreten, sich schon mal Sockel bauen, noch einmal allen zeigen, wo der Bartel den Most holt. Das ist legitim. Die heute 70-jährigen Jungs poltern aber besonders laut und unangenehm. Es ist vielleicht die letzte Männerriege, die noch aufgewachsen ist im treuen Glauben ans ewig herrschende Patriarchat. Diese Alphamännchen haben sich immer durchgesetzt und glauben, dass sie es am besten können. Und sie kartätschen fleißig gegen alles, was nachkommt.
Natürlich hat sich Peymann für seinen Rant Renner ausgesucht (er hält ihn für die „Fehlbesetzung des Jahrzehnts“) – weil er die Figur Renner gar nicht verstehen kann. Einer, der nicht auf autoritativ macht, keine Hegemonialpolitik betreibt, nicht im weißen Künstlerschal daherkommt und auch noch, igitt, seine Sozialisation im Pop erfahren hat, einer, der sogar über sein Amt twittert – horribile dictu! Und er ist jung. Was fällt dem ein. Das meinen auch die Gesinnungsgenossen und Claqueure Peymanns, die dieser natürlich zuverlässig gefunden hat. In den Feuilletons des Landes, von Berlin bis München, bildet sich eine Art Phalanx von Mahnern. Bald, meint man, werden sie, von Peymann angestachelt, Nachtwachen und Sit-ins vor der Volksbühne abhalten. Das ehrwürdige Haus müsse vor Kuratoren, vor der Kunst, vor Festivalisierung, überhaupt vor jeder Art „Event“ geschützt werden. Man fühlt sich zwanzig Jahre in die Vergangenheit gebeamt, als „Event“ noch Vernissagen genannt wurden, auf denen einer Platten auflegte.
Fun fact: Die, die heute so flammend wie angsterfüllt gegen den angeblichen Volksbühnen-Ausverkauf anschreiben, haben sich teilweise früher durch saftige Verrisse von Volksbühneninszenierungen als Kritiker überhaupt erst etabliert. Wollen sie jetzt die verlorene Liebe zurückerobern? Die Gestrigen, die so schreiben, sind sich überdies einig in der Aversion gegenüber einer Kunstszene, die, gerade in der in Berlin lebendigen Galerienszene, eben ohne staatliche Subventionen von Schülerabo-Bustouren aus dem hinterletzten Kaff in halbleere Provinzbühnen auskommt, sondern einzig und allein auf dem freien Markt unternehmerische Erfolge verzeichnet und dabei nicht nur glamouröser rüberkommt, sondern auch noch gesellschaftlich akzeptiert wird, ohne ihre Widerständigkeit zu verlieren, sieht man mal von der Handvoll Bling-Bling-Künstler ab, die eh keiner ernst nimmt ... Es ist auch eine Neiddiskussion, die derzeit stattfindet.
Und alle, die so schreiben, haben außerdem offenbar vergessen, dass die Volksbühne die Kunst, das Experiment, das Abseitige, Verrückte, immer schon umarmt hat – und ja, hier gab es auch jede Menge Pop! Warum behandelt man das Haus jetzt so, als habe es dort ausschließlich werkgetreue Schiller-Aufführungen gegeben? Das spricht dem Erbe Frank Castorfs wirklich Hohn. Und Castorf? Nun, er ist nicht glücklich, abtreten zu müssen. Aber er hat es ja selbst gesagt: Wenn’s nach ihm ginge, bliebe er ewig. An dieser Stelle an die Herren Ü70-Intendanten und ihre frühvergreisten Feuilleton-Claqueure ein herzhaftes: Danke schön! Und nun ist aber gut. Lasst mal die anderen ran.
Speaking of which: In München einst als interdisziplinär begabter Retter des Hauses der Kunst und überhaupt der ganzen Welt gepriesen, gilt der bislang wie gesagt nur als Gerücht gehandelte Dercon den Herren Journalistenkollegen inzwischen als Mischung aus Beezlebub und abgezocktes PR-Genie, der die Volksbühne im Nu zur einer Art Red-Bull-Arena herunterwirtschaften könnte. Dabei wird tunlichst ausgeklammert, wie viel Erfahrung Dercon mit Theater und Tanz schon vorweisen kann, dass er von Kaprow bis Schlingensief einzigartige Experimente zugelassen und inszeniert hat, wie sehr er das Haus der Kunst gerockt hat und jetzt die Tate rockt. Warum das verschwiegen wird, während „Kurator“ in der einseitigen Debatte als neues Bäh-Wort aufgebaut wird? Das wissen nur die Kritiker selbst.
Oder geht’s hier nicht auch um Hegemonialpolitik, nach dem Motto: Was Theater ist und zu sein hat, das sagen ausschließlich wir? Denn eins ist jetzt schon sicher: Wer immer nun Castorfs Nachfolger wird, Peymann & Söhne werden es am Ende alle immer schon gewusst haben.