Nun geht es also wieder. Möbelmesse in Mailand. Dieser Wahnsinn von 2175 Ausstellern in den Pavillons an der Rho Fiera, die sechs Tage lang Küchen, Wasserhähne, Sofas, Teppiche und so weiter zeigen. Am 12. Juni hat alles wieder geschlossen, und so lässt sich sagen: Es geht immer weiter weg von der nach Teppichkleber riechenden Messe, hinein in die Stadt, mehr noch an ihre Ausläufer.
In unzähligen Ausstellungsorten können Salone-Besucher in Schönheit tauchen, Hässlichkeit verhandeln, Materialien ertasten, Tischleuchten aufschrauben, sich setzen und aus Campari-Soda heraus die Wahrheit verkünden. Mann kann die eigene Marke repräsentieren oder sie erstmal finden. Vernetzung suchen, Karten verteilen und sich die Füße wund laufen. Um Partyeinladungen betteln. Es wird wieder geredet und getratscht an der Kreuzung der Bar Basso; über die guten oder schlechten Entwürfe der Kolleginnen und Kollegen, das Gebaren der kommissierenden Großfirmen.
Man kann in dem Fuorisalone, also den Programmpunkten neben der Messe, nur schwimmen, sich treiben lassen in Besucherströmen, Metro-Linien, Empfehlungen und Weißwein-Kühlungen. Deswegen hier eine subjektive Zusammenstellung aus unzählbaren Entwürfen.
Zwischen Off-White und alter Krawattenfabrik
Am ergiebigsten ist vielleicht der Besuch in Rossanna Orlandis alter Krawattenfabrik, wo die italienische Grand Dame des Designs ihre Galerie betreibt. Hier gibt es neben vom Shabby-Chic angehauchten Kommoden und Ethno-trendigen Lampen aus Ghana auch den latest Quatsch von Off-White Home – natürlich der begehrteste Werbe-Jutebeutel. Vielseitig also.
Und so möchte man dort immer wieder mal etwas kaufen, wenn man denn könnte. Den Anatomic Chair von Nynke Tynagel zum Beispiel. Die Amsterdamer Künstlerin hat eine einfache klappbare Sonnenliege mit einem sehr wertigen und kunstvollen Webstoff bespannt, auf dem eine anatomische Abbildung eines Körpers zu sehen ist.
Unbedingt empfehlenswert ist auch die Vase des Rotterdamer Designer /Künstlers Diederik Schneemann aus Happy-Meal-Spielzeugen oder Schlumpf-Sammelfiguren, mit denen man Kinder der 90er-Jahre sehr glücklich macht.
Schöner ruhen mit Künstler-Urnen
Auch auf der Salone-Nebenausstellung Alcova, die ganz Berlin-Style ein ehemaliges Militärgelände samt von der Wand blätternder Farbe zwischennutzt, möchte man gerne kaufen: Zum Beispiel die grünlich oder gräulichen Fliesen Forite (eine Zusammenarbeit von Fornace Brioni, Studio Plastique und Snøhetta), die aus recyceltem Glas von Öfen, Mikrowellen oder Kühlschränken hergestellt wurden und so schön gemustert sind, dass man gerne gleich ein Bauvorhaben hätte.
Oder die von Künstlern gestalteten Urnen von Urne.Rip, zum Beispiel ein Cowboy aus Keramik, der in einen Brunnen reitet. So schön, dass man sich ärgert, nur einmal sterben zu können. Oder das quaderhafte Bad, aus rosa Stein von Solidnature, ein Entwurf von Sabine Marcelis. Wie eine Kochinsel nur als Bad sind Badewanne, Dusche und Waschbecken als zusammenhängender Block konzipiert. So schön, dass man sich ärgert, vermutlich niemals genügend Geld dafür zu haben.
Apropos Geld. Davon wird in Mailand viel ausgegeben. Hermès zeigt in großen Bauten aus bunten Papierwänden Geschirr oder Quilts. Dior lockt in einen kühlen Keller unter einem Palazzo-Garten und zeigt zu Diskolicht einen neuen Stuhl von Philippe Starck in glänzendem Schwarz, spiegelndem Chrom und metallischen Pastellen.
Luxus-Shopping und Techno
Prada veranstaltet hingegen mit dem Mailänder Designstudio Formafantasma das multidisziplinäre Symposium Prada Frames, auf dem Wissenschaftler, Aktivisten, Anthropologen und Gestalter über die Beziehung zwischen Design und Umwelt sprechen. Porsche lässt seine Karren von Ruby Barber (Studio Mary Lennox, Berlin) in aufwendigen Blumenpflanzungen inszenieren, die die Künstlerin von Drohnen umkreisen lässt. Modes eröffnet seinen beeindruckenden, von den Berliner Architekten Gonzales Haase entworfenen Skulpturenpark Assembly. Bar, Zelt, Dancefloor mit Pole-Dance-Stange. Dazu noch mehr Dinge aus Edelstahl, umgesetzt von den Berlinern ErtlundZull. Und so könnte das hier ewig weitergehen.
Wo man sonst noch war: Bei den farbigen Kaminen des "Call me by your Name"-Regisseurs Luca Guadagnino, der seit 2017 sein eigenes Interieur-Studio betreibt, und über die alle reden. Bei der Memphis-Ausstellung in der Triennale. Und in der Nähe der Fondazione Prada, da stellt das italienische Lampenhaus Flos seine neuesten Entwürfe aus. Ein DJ spielt eine Techno-Version von REMs "Loosing My Religion", und auf der Ausstellungsfläche leuchten gute Glasleuchten von Ronan & Erwan Bouroullec oder eine limitierte Neuauflage des Pendelleuchten-Klassikers Arcos mit Kristallsockel. 10.000 Euro – und beim letzten Refreshen der Seite waren nur noch zwölf erhältlich.
Die Firma Pulpo aus Weil am Rhein, gegründet von Ursula und Patrick L’hoste, zeigt in einer spektakulären Location: einer alten Bank, deren Keller sie mit einem nebelgefüllten Irrgang versehen haben, um zum Tresorraum zu gelangen. Zu sehen sind die gesamte Kollektion, bestehend aus älteren Designs, natürlich auch von dem für die Firma so wichtigen deutschen Designer Sebastian Herkner. Zum Beispiel die bombige Glaslampe Oda, die nun mit sanften Farbstreifen geblasen wird und sein neues Wandregal Como aus pulverbeschichtetem Aluminium, das in Grün so schön glänzt wie eine matte Weihnachtsbaumkugel.
Entspannung und Kunst für Konsum-Erschöpfte
Außerdem: in Italien gefertigte Keramikhocker von Lorenzo Zanovello, die aussehen wie ein Bonbon-haftes Logo eines sehr coolen Kunstmagazins oder neue Keramik-Lampen von Natascha Madeiski, die ein bisschen Memphis zitieren oder die Instagramaccounts von modefeministischen Frauen, die im verspielten Interieur große Freiheit empfinden.
Jetzt ist man natürlich schon etwas angestrengt vom vielen Gucken. Und glücklicherweise ist es nicht nur ihrem Abseitsliegen zu verdanken, dass die Galerie Assab One zu einem Ort der Entspannung nach dem ganzen Salone-Trubel wird. Der alte Industriekomplex beherbergt eine Non-Profit Organisation, gegründet von der Journalistin Elena Quarestani, deren Familie an diesem Ort einst eine Druckerei führte.
Hier lässt sich die Dienlichkeit von Design und Kunst erleben. Nicht nur die Funktion, sondern eher die Wirkung. In diesem Falle die beruhigende. Hier sind unter anderem die sehr erdenden Fliesen der japanischen Firma Tajimi Custom Tiles zu sehen, hergestellt in der gleichnamigen Hauptstadt der Fliesenproduktion in Japan. Diese sind von den Designern Ronan und Erwan Boroullec, dem Briten Max Lamb oder Kwangho Lee aus Korea zu Installationen, Sitzgelegenheiten oder Gefäßen verarbeitet worden, deren Oberflächen im Ohr zu rauschen scheinen.
Es geht um Expression
Gegenüber steht ein großer, einladender Tisch des Berliner Designer-Duos Geckeler Michels für die japanische Firma Karimoku. Und nebenan auf einer Instrumenten-Installation von Vater-Tochter-Duo Cino und Chiara Zucchi spielen die Gäste beruhigend Takte auf verschiedenen Klang- und Taktinstrumenten. Derweil werden im Zen-Garten von Studio Ossidiama aus Rotterdam Muscheln, feiner und grober Sand und Hanf mit großen Holzschiebern hin- und herbewegt werden.
Dann reicht es auch. Aber wenn sich zusammenfassend etwas sagen lassen sollte, Auffälligkeiten zu beschreiben wären, dann könnte man vielleicht festhalten: Es geht in diesem Jahr der Mailänder Design-Week um Expression. Es wird inszeniert. Nah der heißen Mailänder Sonne statt in dunklen Messehallen. Es geht um das Feiern der Ideen. Mehr moderne Inszenierung als alte Eleganz. Orientiert am jüngeren Internetpublikum, an deren an CGI gewöhnte Augen, und das macht großen Spaß.