Vor paar Wochen nahm ich an einem Clubhouse-Talk von Monopol zum Thema "Utopien in der Pandemie" teil – was man heutzutage offenbar so macht – und es wurde auch über die zukünftige Nutzung und Rekontextualisierung von urbanen Räumen diskutiert. Was machen, mit den aussterbenden Fußgängerzonen, die seit Jahrzehnten auf Turbo-Konsum getrimmt wurden und nun vor sich hin darben? Innenstädte könnten und sollten doch wieder mehr öffentliche Begegnungsstätten und Raum für Kunst, Soziales und Kultur schaffen, und sei es, dass man dort einfach mehr skatet und Boule oder Tischtennis spielt. Zugleich fragt man sich, was mit der Vision einer autofreien Stadt wird, die eine immer stärkere Lobby bekommt und in vielen Orten zumindest teilweise ausprobiert wird. Was wird aus all den Tiefgaragen und Parkhäusern, falls sie irgendwann wirklich nicht mehr von qualmenden Blechlawinen zugestellt werden?
"Vertical Farming" - also so etwas wie Stapel-Landwirtschaft - könnte vielversprechende Szenarien und Möglichkeitsräume schaffen. Das Konzept ist nicht neu. In Amazonien wurden schon vor der Kolonialisierung Gemüse und Yams im Etagenanbau kultiviert. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden erste Turmgewächshäuser entwickelt und auch in der DDR gab es in Maasdorf das "Schweinehochaus". Vertikale Viehzucht als Prestigeprojekt und Zeichen von Etagen-Effizienz.
Der Begriff "Vertical Farming" wurde durch Professor Dickson Despommier geprägt, der zur Jahrhundertwende an der Columbia University mit seinen Studierenden Konzepte entwickelte, wie Hochhäuser in Manhattan agrarökonomisch genutzt werden können. Heute hat sich vertikale Landwirtschaft durch KI, Digitalisierung und kostengünstiger LED-Beleuchtung ziemlich weit entwickelt, wird in immer mehr Regionen ausprobiert und ist natürlich immer da gefragt, wo weites Ackerland knapp und/oder fern ist. Zumal fruchtbare Erde an sich auf dem Weltmarkt immer mehr zur exklusiv gehandelten Mangelware wird.
Pilze aus der Parkgarage
In Paris werden von der Firma Cycloponics seit einiger Zeit in ungenutzten Tiefgaragen Pilze und Salat gezüchtet. Champignons, Austernpilze und Shiitake werden hier ökologisch angebaut und direkt in umliegenden Märkten verkauft. Zahlreiche Erfahrungen zuletzt zeigten, wie fragil globale Lebensmittellieferketten tatsächlich sein können, und dass auch mal Tonnen Tomaten in Lastwagen verrotten, weil sie wegen des ständig wechselnden Risikogebiet-Bingos plötzlich an innereuropäischen Grenzen festsitzen.
Auch in London werden in unterirdischen Katakomben Salat und Kräuter von dem Unternehmen Growing Underground angepflanzt. In der Nähe von Kopenhagen entsteht derzeit mit Hilfe von taiwanesischen Investoren die größte Vertical Farm Europas. Auf einer Gesamtfläche von 0,7 Hektar sollen hier demnächst bis zu drei Tonnen Ernte am Tag möglich sein, und das 365 Tage im Jahr. Die ersten Restaurants sollen in diesem Jahr noch beliefert werden.
Im dicht besiedelten Singapur wurde die landeseigene Lebensmittelproduktion mit Hilfe von Vertical Farming zur Chefsache erklärt. So will man sich unabhängiger von Importen machen. Bis 2030 sollen 30 Prozent selbst produziert werden – und freie Flächen sind in Singapur bekanntlich rar.
Salat aus dem Karstadt-Parkhaus
Vorteile bietet vertikale Landwirtschaft einige, so benötigen automatisierte hydroponische Bewässerungssysteme weitaus weniger Wasser (bis zu 90 Prozent) als konventionelle Landwirtschaft. Zumal das Gemüse aus dem "Labor" weniger Dünger und auch keine Pestizide benötigt. Mit viel deutschem Geld und Unterstützung von Unternehmen wie SAP und Viessmann wurde im August 2020 die erste vertikale Farm des Mittleren Ostens mit über 3.000 Quadratmetern in Kuwait eröffnet. Auch hier geht es vor allem um mehr Unabhängigkeit von Nahrungsmittelimporten, und die Hoffnungen sind diesbezüglich groß.
Es gibt natürlich auch kritische Stimmen. Dass so ein Essen aus dem Labor nichts mit natürlicher Landwirtschaft zu tun hätte, heißt es immer wieder. Aber das hat Glyphosat nun auch nicht. Die Idee, ungenutzte Flächen in der Stadt für Salatanbau zu nutzen, finde ich charmant. Neben meinem Büro am Hermannplatz in Berlin, das ich dieser Monate viel zu selten aufsuche, steht das gewaltige Karstadt-Parkhaus. Wie ein graues, erschüttertes Dinosaurierskelett sieht es derzeit aus, und von Leben darin keine Spur. Die naive Wunschvorstellung, dass sowohl McDonald’s, Falafelstand, Gemüsehändler, Dönerbude und Perfetto Dinge verkaufen und verarbeiten, die aus eben jenem Parkhaus kommen – das wäre doch mal eine schöne Idee und würde vielleicht auch die Menschen im Kiez ein Stück mehr zusammen bringen.