Asmik Grigorian kniet neben einem abgeschlagenen Pferdekopf, ihre Figur Salome hat ihren Willen bekommen und für die Hinrichtung des Propheten Jochanaan gesorgt. Jutta Lampe ist in sich versunken, ratlos, sie erlaubt ihrer Göttin Athene einen Augenblick der Erschöpfung, bevor sie die rachegeladenen Konflikte der Orestie zu lösen versucht. Und Bruno Ganz stellt sich und der Welt mit ausladender Geste als Hamlet die wohl bekannteste Frage der dramatischen Literatur: "Sein oder Nichtsein?"
Es sind ausdrucksvolle Momente, die die Theaterfotografin Ruth Walz mit ihrer Kamera einfängt. Eindringliche Aufnahmen, die häufig näher an die Inszenierungen herankommen, als es dem Theaterpublikum vor Ort gelingt. Dabei ist sie genau das: Publikum, aber ein ganz besonders aufmerksames – und zusätzlich dazu auch selbst Künstlerin, eine Erschaffende.
Sowohl Theater als auch Fotografie haben das Potential, Geschichten zu erzählen, die Art und Weise der Erzählung unterscheidet sich aber grundlegend. Umso interessanter sind Künstlerinnen wie Ruth Walz (geboren 1941 in Bremen), die sich der Theaterfotografie verschrieben hat und sich mit ihrer Arbeit an der Schnittstelle zwischen flüchtiger Bühnen- und konservierender Fotokunst bewegt. Eine Auswahl ihres umfangreichen Werkes ist gerade im Berliner Museum für Fotografie zu sehen.
Nicht nur Beobachterin, sondern Gestalterin
Spannend ist dabei das Zusammenspiel zwischen Regie und Fotografie. Die eigentliche Inszenierung des Motivs kommt vom Regisseur oder der Regisseurin, die Fotografin hat aber die Möglichkeit, Körper und Räume nochmal subjektiv in ein neues Verhältnis zueinander zu setzen und einen ergänzenden Blickwinkel einzunehmen. Ruth Walz ist also nicht nur Beobachterin, sie gestaltet auch ihre eigene Szene.
Ihre Karriere als Theaterfotografin beginnt 1976 mit einer Festanstellung an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer (heute: Schaubühne am Lehniner Platz). Hier begleitet sie Inszenierungen von Theatergrößen wie Peter Stein, Robert Wilson, Luc Bondy und Klaus-Michael Grüber.
Entscheidend in ihrer Arbeit ist, dass Ruth Walz Theaterproduktionen von Anfang bis Ende mit ihrer Kamera einfängt. So hält sie nicht nur einzelne Momente der Proben oder Aufführungen fest, sondern kann in die Dynamiken innerhalb des Ensembles und um die Bühne herum eintauchen. Dies spiegelt sich in den Fotografien wider, die mehr als ein passives Produkt sind, sondern aktiv im Probenprozess aufgegriffen werden können. Sie bieten den Regisseuren die Möglichkeit, einen objektiveren Blick auf ihre eigene Arbeit zu werfen.
Auch das Museum war mal ein Theater
Seit 1990 ist Ruth Walz international und freischaffend unterwegs. Unter anderem fotografiert sie bei den Wiener Festwochen, den Salzburger Festspielen und für De Nationale Opera in Amsterdam. So dokumentiert sie mit ihren Aufnahmen die großen Momente der jüngeren Theatergeschichte.
Anhand ausgewählter Inszenierungen bietet die Ausstellung in Berlin – wortwörtlich – einen Blick hinter die Kulissen und erlaubt auch intimere Einblicke in das Leben und die Praxis von Ruth Walz. Beispielsweise ist eine Abteilung dem 2019 verstorbenen Bruno Ganz, Schauspieler und langjähriger Lebensgefährte der Fotografin, gewidmet. In einem Nebenraum wird ein Film gezeigt, in dem Wegbegleiterinnen und -begleiter über die Zusammenarbeit mit Walz berichten.
Eine parallel dazu laufende Sonderausstellung beleuchtet ein kaum bekanntes Kapitel – oder einen kaum bekannten Akt? – des Museums für Fotografie nahe des Bahnhofs Zoo in Charlottenburg. In den 1920er-Jahren befand sich in dem Gebäude nämlich ein Theater, dessen Geschichte zwar kurz, aber ereignisreich ist. Und nun im Rahmen der Ruth Walz-Ausstellung endlich den Raum findet, erzählt zu werden.