Ruprecht von Kaufmann, Sie haben Ihre monumentale Porträtserie "Inside the Outside" genannt. Wie ist der Titel, dieses "Im Draußen" gemeint?
Es ging mir darum, Menschen kennenzulernen, die von außen kommen und in vielerlei Hinsicht noch immer außen sind. Wenn man zum Beispiel die aktuelle Diskussion über Abschiebung betrachtet, dann soll es ja zwei Gruppen geben: Die einen sollen bleiben und integriert werden, die anderen bekommen keine Aufenthaltsgenehmigung und sollen wieder abgeschoben werden. Aber es gibt viele Menschen, die zwar keine Erlaubnis bekommen zu bleiben, aber auch aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Diese dritte Gruppe bleibt in Deutschland, darf aber nicht arbeiten oder sich sonst gesellschaftlich integrieren. Diese Menschen sind draußen und drinnen zugleich.
Wie haben Sie die Modelle gefunden?
Das war der schwierigste Teil. Die Porträtierten mussten mir eine Menge Vertrauensvorschuss entgegenbringen. Vielen hatten noch nie mit Künstlern zu tun. Außerdem ist es sicher gewöhnungsbedürftig, so lange Zeit stillzusitzen und dem forschenden Blick eines anderen ausgesetzt zu sein. Bei meiner aktiven Suche haben mir Freunde und Bekannte sehr geholfen. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt ...
Haben Sie auch Leute direkt auf der Straße angesprochen?
Ganz in der Nähe meines Ateliers gibt es zwar eine Flüchtlingsunterkunft. Aber man kann die Menschen schlecht einfach so ansprechen, das wäre mir merkwürdig vorgekommen. Mir war es wichtig, dass die Beteiligten nicht für Geld Modell sitzen, sondern aus freien Stücken ihre Zeit schenken und ihre Geschichten erzählen.
Zu jedem Bild gehört noch ein Text, der die Person porträtiert. Wozu? Kommt die Malerei da an ihre Grenzen?
Die Malerei hat viele Möglichkeiten und natürlich ihre Grenzen. Aber das war nicht der Grund für die Texte. Von Anfang an war es die Idee, eine persönliche Begegnung festzuhalten. Man hätte auch Fotos machen können. Aber ich wollte die Modell unbedingt klassisch im Atelier malen. Hier der Maler an der Staffelei, dort das Modell. Wenn man sich einige Stunden gegenübersitzt, entwickelt sich fast automatisch ein Gespräch.
Worüber haben Sie gesprochen?
Es ging nicht immer nur um Flucht, sondern um alle möglichen Themen. Ich war auch überrascht, wie gut die meisten schon Deutsch konnten. Ich habe viel über politische Hintergründe erfahren oder religions- und kulturgeschichtliche Informationen bekommen, die mir neu waren. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Menschen mir ihre Geschichten anvertraut haben. Das hat einige viel Mut gekostet. Um auf den Text zurückzukommen: Der war von Anfang an wichtiger Teil des Projekts. Da entsteht eine Spannung zwischen Text und Bild.
Im Buch sind Text-Bild-Doppelseiten zu sehen. Wie sieht das in den Ausstellungen aus?
Statt die Bilder – wie in New York – en bloc zu zeigen, werden die Arbeiten in Bremen unter die Werke der klassischen Sammlung gemischt. Statt der sonstigen Bildbeschreibung wird dann der Text über die Person an der Wand angebracht sein. So begegnet ein Museumsbesucher den Geflüchteten und ihren Geschichten unvoreingenommen, ohne sich dabei hinter der einen oder anderen politische Position verschanzen zu können. Das finde ich enorm spannend. Ich hoffe, noch andere Museumssammlungen für das Projekt gewinnen zu können.
Sie haben gesagt, dass Sie sich nicht für einen Porträtmaler halten. Warum?
Ein klassischer Porträtmaler hat Fähigkeiten, die mir fehlen. Ich bin es gewohnt, meine Bilder aus der Vorstellung oder Erinnerung allein im Atelier zu entwerfen. Das Arbeiten fiel mir schwer, als nun andere im Atelier saßen, die auch Erwartungen an die Bilder mitbrachten. Ich habe die meisten Porträts dann auch aus der Erinnerung zu Ende gemalt. Das Gedächtnis diente als Filter, um beim Malen Prioritäten setzen zu können, statt von tausend veränderlichen Nuancen in den Gesichtern abgelenkt zu werden. Auch war es mir wichtig, dass gute Malerei herauskommt – und nicht bloß eine exakte Reproduktion der Gesichter. So wurden die Bilder zum Protokoll einer persönlichen Begegnung.
Sie mussten sich als Künstler nicht zu sehr zurücknehmen?
Ja, wahrscheinlich. Ein guter Porträtmaler kann antizipieren, wie eine Person sich selber gerne sehen möchte. Ein Bekannter von mir aus den USA, der das sehr gut beherrscht, hat einmal die Tochter von sehr reichen Leuten porträtiert. Bei den Sitzungen spürte er, dass die 16-Jährige wegen ihrer markanten Nase unsicher war. Also setzte er die Nase in "ein gutes Licht" und verkleinerte sie auf dem Bild sogar ein wenig. Ein Jahr später gehen die Eltern mit dem Mädchen zum Chirurgen und lassen die Nase ihrer Tochter dem Porträt anpassen. Eine extreme Geschichte – die aber den Konflikt zeigt, in dem Porträtmaler sich befinden. Erkennt die oder der Gemalte sich auch selbst wieder? Mir wäre das zu stressig.
Neben Porträts sind in den vergangenen Jahren immer wieder große surreale Tableaus entstanden. Wann entscheiden Sie: Ich brauche für das spezielle Thema mehr Raum? Sind das Bauch-Entscheidungen?
Die Größe eines Werkes ist entscheidend für die Wahrnehmung des Bildes und wie der Betrachter mit einem Bild interagiert. Kleine Bilder haben etwas sehr Intimes. Sie fordern den Betrachter dazu auf, sich zu nähern, mit dem Bild in engen Kontakt zu treten. Bei einem sehr großen Bild ist es umgekehrt. Das Bild zwingt sich dem Betrachter förmlich auf, nimmt dessen gesamtes Blickfeld ein und fordert zur Interaktion auf. Beide Dynamiken ergeben für unterschiedliche Bildkonzepte ihren Sinn und ihre Anwendung. Aber große Bilder sind für den Maler auch wunderbar, weil man viel stärker mit dem ganzen Körper in den Prozess involviert ist.
Was würden Sie an der heutigen Flüchtlingspolitik gerne ändern, wenn Sie könnten?
Ich habe natürlich auch keine Lösung. Die Flucht in die Festung Europa ist ein enormes Risiko, und die Umstände in der Heimat müssen schon sehr schlimm sein, wenn die Flucht als die bessere Option erscheint. Die besten Chancen sehe ich in einer präventiven Flüchtlingspolitik, indem Europa etwa versucht seine Außenpolitik so zu steuern, dass man Bedingungen schafft, die den Menschen Perspektiven in ihren Heimatländern gibt. Aber auch das ist leichter gesagt als umgesetzt.
Wie sehen Sie die Debatten seit 2015?
Die Flüchtlingskrise in Europa wurde oft als reines Reizthema benutzt, ein rotes Tuch, das man hervorholen kann, um zu polarisieren und zu emotionalisieren. Aber wenn es nur um Provokation und Schlagzeilen geht, werden keine echten Lösungen mehr gesucht, dann findet auch kein konstruktiver Austausch von Gedanken statt. Im Gegenteil: Eine Lösung ist gar nicht gewollt, weil das Thema als "dog-whistle" nicht mehr brauchbar wäre. Deshalb sind oft diejenigen, die am lautesten Kritik an der Flüchtlingspolitik äußern, auch die, die dann weder Alternativen aufzeigen wollen noch können. Durch die starke Dominanz des Flüchtlingsthemas während im letzten Bundestagswahlkampf sind viele dringlichere Themen einfach unter den Tisch gefallen. Zum Beispiel die globale Erwärmung, die in der Zukunft für dramatische Fluchtbewegungen sorgen könnte.