Der Starkurator Hans Ulrich Obrist hat dem "Spiegel" zum Ende der 10er-Jahre ein Interview gegeben. Er soll sagen, was die nächsten zehn Jahre bringen werden. Zunächst aber geht es um die Gegenwart und hier sehr viel um das Internet und soziale Medien. Wie die "Herzchenlogik von Instagram" die Kunstwelt seit 2010 verändert hat, soll er erklären. HUO antwortet: "Ich denke nicht, dass Instagram viel Druck auf Künstler ausübt. Ich empfinde die Entwicklung eher positiv, denn es hat die Kunstwelt zugänglicher gemacht." Nun, dass er selbst, der Starkurator, wieder einmal gefragt wird, zeigt, wie wenig zugänglich oder demokratisch die Kunstwelt tatsächlich ist.
Wie also hat Instagram die Kunstwelt und die Kunst verändert? Kunst muss heute wie Essen, Urlaub und Alltag instagrammig sein. Ein bisschen Strandurlaub, viel Avocadotoast, Yoga hier, Meditation da und ab und an Kunst. Kunst ist Lifestyle, Kunst ist Content. Es gibt das Instagram Face und es gibt Instagram-Kunst.
Technologie schreibt unseren Körper neu
"Der menschliche Körper ist ein ungewöhnliches Thema auf Instagram: Er kann mit dem nötigen Aufwand angepasst werden, um mit der Zeit immer besser zu performen", schreibt die Autorin Jia Tolentino unter dem Titel "The Age of the Instagram Face" im "New Yorker". Selfies kommunizieren den Status, also die Gefühlslage und den Aufenthaltsort. Snapchat und Instagram liefern die passenden Filter, damit wir uns schön und wohl fühlen, wenn wir unser Gesicht zeigen. Die Wangenknochen sollen hoch sein, die Augen groß, die Wimpern lang, die Nase schmal und die Lippen voll. Die App "FaceTune" macht es möglich.
"(…) Technologie schreibt unsere Körper neu, um mit ihrem eigenen Interesse übereinzustimmen - sie baut unsere Gesichter zu allem mölichen um, das Interaktion und Likes steigert", schreibt Tolentino. Der Kunst ergeht es wie dem Gesicht, dem Essen und dem Urlaub. Content muss auf Instagram performen, also muss der Content optimiert werden. Sterneköche, Modedesigner, Künstler und Schönheitschirurgen arbeiten plötzlich daran, dass ihr Werk möglichst gut in einem kleinen Quadrat auf einem hellen Bildschirm aussieht. Und wenn es um die Kunst geht, führte das kürzlich so weit, dass gesagt wird: "Eine Ausstellung, die auf Instagram gefeiert wird, dadurch neue Leute ins Museum spült, für hohe Ticketverkäufe sorgt und durch Sponsorengelder die Kasse vollmacht – das ist eine gute Ausstellung."
Kunst auf Instagram muss so glattgebügelt sein wie Gesichter
Diese Behauptung greift natürlich etwas kurz, weil Kunst für Instagram so glattgebügelt werden muss wie Gesichter. Statt großer Augen sind beeindruckende Dimensionen gefragt, statt hoher Wangenknochen braucht es einfache Formen, statt voller Lippen leuchtende Farben und statt einer schmalen Nase eine übersichtliche Komposition. "Art looks much better on Instagram", behauptet der deutsche Künstler Florian Kuhlmann in einer Textinstallation.
Ist das denn so? Kunst jedenfalls klickt gut auf Instagram, wenn sie sich den Gegebenheiten der Plattform anpasst - wie der Text von Kuhlmann. Der Satz ist auf den Punkt formuliert und darauf angelegt, den Rezipienten zu reizen. Zustimmung oder Ablehnung, Empörung oder Begeisterung, die Reaktionen sind berechenbar.
Der italienische Künstler Maurizio Cattelan hat kürzlich wieder einmal bewiesen, wie leicht ein Witz auf Kosten der Kunst und des Kunstmarkts im Zeitalter der sozialen Medien die Gemüter erhitzen und für einen Viralhit sorgen kann. Er hat im Supermarkt drei Bananen gekauft und an die Wand seiner Galerie auf der Art Basel/Miami Beach geklebt. Zwei der drei Bananen waren schnell für je 120.000 Dollar verkauft, so die Medienberichte.
Das Spektakel ist Teil des Werks
Heute reicht es aber nicht mehr, dass die klassischen Medien mitarbeiten und berichten, nein, auch das Publikum muss sich besonders auf Instagram beteiligen wollen. Und dafür muss es nicht einmal mehr vor Ort sein. Was auf der Messe für Aufregung und Diskussionen darüber sorgt, was Kunst ist und darf, macht es dem Publikum leicht zu reagieren. "Heute muss gute Kunst vor allem eins sein: teuer. Der Inhalt zählt nicht. Die Banane von Maurizio Catellan, die er auf der Art Basel Miami Beach für 120.000 Dollar verkauft hat, zeigte das kürzlich", erklärte Kunstexperte Magnus Resch im Interview mit dem "Spiegel".
War es wirklich nur der Preis? Gut, 120.000 Dollar, das ist sehr sehr viel Geld für eine Banane und ein bisschen Panzertape. Aber auch wenn das Werk "Comedian" günstiger verkauft worden wäre, ist da immer noch die Frage nach dem Inhalt, also: Was ist Kunst? Eine Banane an einer Wand, das soll Kunst sein? Das kann ich auch. Und darauf wurde in den sozialen Medien reagiert.
Statt Bananen wurde nun an Wände auf der ganzen Welt getapt, was irgendwie witzig zu sein scheint. Die Galerie von Cattelan reagierte blitzschnell mit einem Instagram-Account für die Banane. Auf @cattelanbanana wurde geteilt, was das Publikum an Wände klebte: Trump, die Queen, den Joker, Katzen, Würste, Smartphones, Gurken, Socken und so weiter. "Das Spektakel, das so wunderschön orchestriert wurde, ist genauso Teil der Arbeit wie die Banane", so der "Guardian". Die Kunst wird zum Meme. Das Meme wird zur Kunst. Kunst sieht auf Instagram nicht nur gut aus, sie verbreitet sich vor allem rasend schnell, wenn Kunst mehr Content, also Aufreger, als Inhalt ist.
Wie hat Instagram den Beruf des Künstlers verändert?
Eine Arbeit, die auf Instagram gefeiert wird, das ist eine gute Arbeit, könnte man folgern. Nur wäre dann ja auch die "Bild"-Zeitung das beste deutsche Medium, weil sie viel diskutiert und viel verkauft wird. Sichtbarkeit und Reichweite können kein Argument für Qualität sein. "Ich denke nicht, dass Instagram viel Druck auf Künstler ausübt", sagt Hans Ulrich Obrist. Das sagt sich leicht, wenn man Starkurator ist und viel mit Künstlern und Künstlerinnen zu tun hat, deren Karriere bereits angeschoben ist.
Wie also hat Instagram den Beruf des Künstlers verändert? "Willkommen in der Content-Produktionshölle! Jeder Künstler muss drei Marathonläufer in sich haben, die durchweg 100-Meter-Weltrekorde laufen: Künstler und Publikum am Limit", habe ich selbst in einem Text für Monopol über Künstler im Zeitalter der sozialen Medien geschrieben. Schon 2010 hat Gene McHugh in seinem Blog "Post Internet" festgestellt, dass sich die Qualität der Kunst im Internet nicht an einzelnen Beiträgen bemisst, sondern an der Performance des Künstlers über einen längeren Zeitraum. Und performen, das muss ein Künstler auf Instagram fast täglich.
Hier ist eine neue Arbeit, hier eine neue Ausstellung
Ständig muss neuer Content her, täglich müssen neue Erfolgsmeldungen verkündet werden. Hier ist eine neue Arbeit, hier ist ein neuer Bericht in einem Medium, hier ist eine neue Einzelausstellung, hier ist eine neue Gruppenausstellung. Wenn das keinen Druck erzeugt, dann weiß ich auch nicht… Erfolgreich ist, wer präsent ist mit Erfolgsmeldungen. "Viele Künstler verzichten bewusst auf soziale Medien", sagt Hans Ulrich Obrist. Ja, aber wer kann sich das denn tatsächlich erlauben?
Juergen Teller beispielsweise ist immer noch nicht auf Instagram, aber selbst Nan Goldin und Cindy Sherman sind irgendwann eingeknickt. Die eine, weil sie politisch aktiv wurde. Die andere, weil sie unter anderem mit der App "FaceTune" Selbstporträts macht.
Rückkehr mit neuen Visionen
Wenn junge Künstler mal über einen längeren Zeitraum, maximal ein paar Wochen, inaktiv auf Instagram sind, melden sie sich mit einer Entschuldigung für ihre Abwesenheit zurück. Und nein, sie waren nicht etwa im Bett, im Urlaub oder in Therapie, sie haben an neuen Visionen gearbeitet. Und ja, die Kunstwelt ist zugänglicher geworden, junge Künstler können sich einen Namen in den sozialen Medien machen und kommen so in Ausstellungen und zu einer Galerie. Das klappt aber nur, wenn immerzu performt wird. Der Druck ist also hoch, vor allem, weil es ständig neue Features auf Instagram gibt, mit denen gearbeitet werden kann und muss. Zuletzt waren das AR-Filter.
Ob das so bleibt, weil Instagram auch in den 2020er-Jahren bleibt, darauf kann ich nur mit einer Plattitüde antworten: Es wird sich zeigen.