Ein bisschen Identitäts-Dada ist auf den hiesigen Pressekonferenzen zu Kunstfestivals gerade schwer in Mode. Vergangenes Jahr oxymoronisierte sich die 10. Berlin Biennale mit dem Slogan "I am not who you I think I am not". Und die Künstlerin des Deutschen Pavillons auf der kommenden Venedig-Biennale präsentierte sich im Oktober mit einer über den Kopf gestülpten Pappmache-Kartoffel und falschem Namen.
Gemessen daran verlief die heutige Vorstellung der neuen Documenta-Leitung ganz klassisch: Das indonesische Kollektiv Ruangrupa wird die 15. Ausgabe der Weltkunstschau kuratieren; zwei ihrer Mitglieder, Ade Darmawan und Farid Rakun, gaben einen ersten Ausblick auf ihr Konzept.
Überraschend ist die Wahl dennoch: Erstmals wird die Documenta damit von einem Künstlerkollektiv verantwortet; erstmals stammt die Leitung aus dem asiatischen Raum. Und über Expertenkreise hinaus sind Ruangrupa bislang kaum bekannt. Das Kollektiv entstand Mitte der 1990er-Jahre an der Kunsthochschule Jakarta, heute umfasst es rund 80 Mitglieder aus diversen Disziplinen: Künstler, Musiker, Historiker, IT-Leute, Architekten, Journalisten. Zehn von ihnen übernehmen die Leitung der D15.
Gemeinschaftliches Arbeiten ist ein Eckpfeiler ihrer Praxis; der Fokus auf lokale Kontexte ein weiterer. Nach der großen Athener Expeditionstour der D14 unter Adam Szymczyk können die Kasseler Lokalpatrioten aufatmen: Die D15 findet ohne Satellitenstation statt. Thematisch klingt vieles aus den ersten Ankündigungen des neuen Teams vertraut, wenn sie von den "Verletzungen" sprechen, die "ihren Ausgang im Kolonialismus, im Kapitalismus oder in patriarchalen Strukturen haben." Doch die Perspektive ist diesmal eine andere: Nicht ein europäischer Kurator versucht, eine "globale" Perspektive einzunehmen. Sondern ein nicht-europäisches Kollektiv reist mit seiner Expertise, seinen Erfahrungen, seinem Welt- und Kunstverständnis nach Kassel.
Möglich, dass damit eine gewisse Entkrampfung einhergeht. Ruangrupa machen bei ihrer Vorstellung in Kassel keinen Hehl daraus, dass sie die Documenta im großen und ganzen schon immer mitbekommen hätten, diese sogenannte Weltausstellung aber irgendwie auch als Paralleluniversum wahrnehmen. Dem sie ihr eigenes Universum entgegensetzen wollen. "Hacking" nennen die Kuratoren das, und dabei könnte nicht nur etwas Innovatives oder Kreatives herauskommen, sondern auch ein bisschen Humor: Unterschiede zu realisieren und die jeweilige strangeness - das kann ja auch lustig statt belehrend sein.
Zugleich könnte die D15 dabei die Falle der Exotisierung umgehen. Der D14 unter Adam Szymczyk war nicht zuletzt auch vorgeworfen worden, durch den Fokus auf indigene Kunstpraktiken Ethnofolklore zu betreiben und damit unbewusst eine neue Form der Diskriminierung. Ruangrupa beschreibt sich selbst als Ressource, das Ausstellungsmachen als Austauschprozess: "Unser kuratorischer Ansatz zielt auf ein anders geartetes, gemeinschaftlich ausgerichtetes Modell der Ressourcennutzung – ökonomisch, aber auch im Hinblick auf Ideen, Wissen, Programme und Innovationen."
Zum Thema Identität, diesem im Westen zurzeit so leidig ausgetragenen Dauerbrenner, war auf der Pressekonferenz kein einziges Wort zu hören."Wir repräsentieren niemanden", sagen die Kuratoren darauf angesprochen. "Indonesien ist einfach zu groß und divers für die Idee der Repräsentation." Am Ende der übervollen Pressekonferenz richteten die Fotografen und Kameraleute dann noch einmal minutenlang ihre Objektive auf die beiden Kuratoren, bis die beiden schließlich ihre Handys rausholten, zurückfotografierten und Farid Rakun ins Mikrofon sprach: Die Energie hier im Saal sei super, dafür schon mal vielen Dank.