An dramatischen Wendungen, Intrigen und Überlebenstaktiken herrschte kein Mangel im Leben der Römerin Galla Placidia. Sie war Enkelin, Tochter, Ehefrau und Mutter von Kaisern, wurde verschleppt und herrschte schließlich als Regentin über das weströmische Reich. Rosemary Mayer porträtierte sie 1973 in einer abstrakten, an dünnen Seilen hängenden Textilskulptur, ohne Kopf, aber dafür angesiedelt irgendwo zwischen Schiffsbug und geflügeltem Wesen im glamourösen Faltenkleid, "gefangen zwischen dünnen Schleiern und Schichten von Farbe über Farbe", so Mayer. Aber wer war eigentlich diese New Yorkerin, die an der Schwelle zu ihren 30ern gleich mehrere Skulpturen machtbewussten historischen Frauenfiguren widmete und neben Judith Bernstein, Howardena Pindell oder Nancy Spero zu den Gründerinnen der feministischen A.I.R. Gallery gehörte?
Sozialisiert wurde sie in einer Szene, in der sich Strömungen wie Sprachpoesie, Konzeptualismus, Performancekunst oder Installation kreuzten. Als sie und ihre jüngere Schwester Bernadette Mayer, heute eine bekannte Dichterin, Teenager waren, starben ihre aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Eltern. Rosemary heiratete mit 19 Jahren den zukünftigen Performancekünstler Vito Acconci. Das Trio studierte, gab Kunstmagazine heraus und Rosemarie lernte an der School of Visual Arts Adrian Piper kennen, die über sie schrieb: "Ich hätte meine eigene Arbeit nicht in diese Richtung entwickeln können, ohne ihre kühle Distanziertheit und ihr tiefes intellektuelles Engagement in den künstlerischen Prozess aufgenommen zu haben."
Nach der Scheidung von Acconci startete Mayer Anfang der 1960er-Jahre durch. Sie schuf Werke mit Stoffen, die sich Luftströmungen beugten, und trug Farbschleier auf Nylon und andere Stoffe auf. Beeinflusst war sie dabei von Robert Morris, der mit Filzinstallationen seine postminimalistische Periode einläutete, oder dem Farbfeldmaler Morris Louis, der seine Leinwände mit Acrylfarben befleckte.
In einem Statement schrieb sie: "Das Kunstobjekt sollte nicht still, unbewegt und unabhängig von seinen Umständen sein. Nichts ist." Was nicht heißt, dass sich auch die Vergangenheit nicht konstruktiv nutzen ließe. In ihrem Tagebuch dokumentierte Mayer akribisch ihre damalige Leseauswahl: Heraklit, Claude Lévi-Strauss, Anaïs Nin. Wenn sie sich in das Leben einer Renaissancefürstin wie Lucrezia Borgia vertiefte, dann glichen die Ergebnisse in ihrer Tiefe beinahe universitären Studien.
Historik, Mystik und ein enormer Wissensdurst
In ihrer ersten Einzelausstellung in der A.I.R. Gallery wurden "The Catherines" 1973 von einer eher nüchternen Mitteilung begleitet. Sie listete Caterina Sforza, "eine Rivalin von Lorenzo de Medici" auf, Kaiserinnen Katharina I. und II. von Russland und die Mystikerin Katharina von Siena. Die Skulptur setzte sich aus durchsichtigen Girlanden aus Nylon, Gaze und Kunstseide zusammen, die über einem Gerüst in Schattierungen von Gold bis Pflaume angeordnet waren.
In Aachen werden die noch erhaltenen großartigen Stoff-Diven von ersten Malerei-Versuchen flankiert, Zeichnungen "unmöglicher" oder nicht mehr existierender Skulpturen, Vitrinen mit Atelier-Fotografien oder einem Dinner Book, in dem die von Mayer ausgerichteten Festessen dokumentiert sind.
Die nachfolgenden Werke tauchen in luftig gehaltenen Räumen in collagierten Künstlerinnenbüchern in die Malerei des Barock ein. Andere versammeln monumentale Blütenblätter, die sich später in Formlosigkeit auflösen, überdimensionale Musikinstrumente im Geiste eines Leonardo da Vinci und jede Menge Illustrationsprojekte, die man nicht auf Anhieb von einer Künstlerin erwarten würde, die mit ihren "Ghost"-Skulpturen auch jenseitigen Phänomen etwas abgewinnen konnte.
Dass Mayer Altitalienisch lernte, um die Tagebücher des Florentiner Manieristen Jacopo da Pontormo zu übersetzen, dessen Gemälde üppige Textilien zeigten, zeugt von einem enormen Wissensdurst, gepaart mit dem Willen, neue Wege zu bestreiten, etwa mit "temporären Denkmälern" im öffentlichen Raum, darunter auch langsam schmelzenden Schneeskulpturen, die anonymen Personen aus der Vergangenheit einer Stadt gewidmet waren.
Aus dem Gedächtnis der Kunstwelt verschwunden
In den 1980er-Jahren geriet mit dem Erstarken des Kunstmarkts Mayers poetischer, prozessorientierter Ansatz allmählich zum unmodischen Anachronismus. Ohne Einkünfte nahm sie irgendwann eine Vollzeitstelle in einer Werbeagentur an, später auch als Kunstlehrerin. Sie geriet zu einem Geist, der aus dem Gedächtnis der Kunstwelt verschwand. Erst 2016, zwei Jahre nach ihrem Tod, wurde seit 1985 wieder eine Einzelausstellung in Brooklyns Southfirst Gallery organisiert. Vier Jahre später zeigte die Berliner Galerie ChertLüdde eine Solo-Präsentation während der Berlin Art Week.
Ob es Zufall ist, dass Mayers in großen Teilen ephemeres Werk, das auf die Vergänglichkeit des Lebens fokussiert, im Moment einer globalen Pandemie wiederentdeckt wird? Nach dem New Yorker Swiss Institute und jetzt dem Aachener Ludwig Forum reist die Ausstellung noch zum Lenbachhaus in München und Spike Island in Bristol – möge der Geist von Mayer auch auf diesen Stationen wie ein überraschend erstarkter Lufthauch durch die Schleier und Falten der Zeit strömen.