Bis vor ein paar Wochen noch befanden wir uns in einer Art Zwangsentschleunigung, doch langsam kehren gewohnte Aktivitäten und Erlebnisse von vor der Pandemie wieder zurück. Ob diese Entspannung von Dauer ist, kann bisher noch niemand sagen, und dieses Gefühl der Unsicherheit schlägt sich auch in der diesjährigen Ausgabe des Festivals Rohkunstbau in Brandenburg nieder.
In der ländlichen Kulisse des Landkreises Dahme-Spreewald steht das imposante, etwas marode wirkende gelbe Schloss Lieberose, eines der größten Barockschlösser Brandenburgs. Hier findet gerade der "Rohkunstbau" unter dem ziemlich komplexen Titel "Ich bin Natur – Von der Verletzlichkeit. Überleben in der Risikogesellschaft." statt. Aber komplex, das sind die Zeiten schließlich auch.
22 internationale Künstlerinnen und Künstler widmen sich tieferen Zusammenhängen zwischen Natur und Gesellschaft und deren sozialen und ökologischen Risiken, welche vom Menschen aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung ausgelöst werden. Was durch die Corona Pandemie am eigenen Leib spürbar wurde, kann in der Ausstellung mit etwas Abstand reflektiert werden.
Die Gefahr, die man nicht sieht
Zunächst geht man durch einen leeren Innenhof. Die Atmosphäre wirkt beinahe apokalyptisch. Beim Betreten des Gebäudes erwarten den Besuchenden knarrende Treppen und bröckelnde Wandfassaden. Diese ungewöhnlichen Räumlichkeiten haben die Künstlerinnen und Künstler für die Inszenierung ihrer Werke genutzt. In einem Raum mit dekorativen, barocken Decken und einem aufwendig verzierten Rundbogen präsentiert die Künstlerin Luzia Simons "Correspondances"(2021), ein Blumenstillleben, welches an einer krümelnden Schlosswand hängt. Vor dem Gemälde platziert sie 72 Porzellanelemente im selben Stil der Zimmerdecke. Man könnte meinen, dass die Teile von der Decke gefallen sind. Die Verbindung ähnlicher Materialien aus Raum und Kunstwerk lassen eine stimmige Gesamtkomposition entstehen.
Doch die Künstlerinnnen und Künstler suchen nicht nur die visuelle Harmonie. Den Kontrast findet man beispielsweise im Obergeschoss bei den Arbeiten der australisch-amerikanischen Künstlerin Claudia Chaselin unter dem Titel "Deluge of delusion 2" (2021). Sie beleuchten den paradoxen Umgang mit atomaren Materialien. Die fleckenartig im Raum verteilte Alufolie irritiert zunächst. Was normalerweise eine unsichtbare Gefahr für den Menschen darstellt, wird in diesem Zimmer visuell erfahrbar gemacht.
Das Nichtwahrnehmbare, das von den Menschen als bedrohlich empfunden wird, wird in der Ausstellung mehrmals thematisiert. Kuratorin Heike Fuhlbrügge zieht Parallelen zwischen der derzeitigen Pandemie und vergangenen Ereignissen wie den Atomkatastrophen von Fukushima und Tschernobyl. Zu Beginn der Ausstellung geht auch die Installation "Spirits Closing Their Eyes" von Nina Fischer und Maroan el Sani in diese Richtung. In drei an die Wand projizierten Filmen werden Aufnahmen von Orten und Porträts von Menschen gezeigt, die die Stimmung des Ungewissen in Japan wiederzuspiegeln. Die Gesichter der abgebildeten Menschen lassen deren Gedanken nur vermuten. Ein junges Mädchen wirkt hoffnungsvoll, zugleich jedoch verunsichert und ängstlich.
Wünschen geht immer
Möchte man einer deutlicheren Verkörperung der Furcht begegnen, geht man ein paar Schlossräume weiter. Beeindruckend ist die zweiteilige, monströs große Skulptur "Angst" (1997) des Künstlers Michael Morgner, eine skelettartige dunkle Figur, die sich aus einer Bodenplatte erhebt. In der horizontalen Metallfläche sind noch die Umrisse des abstrahierten Körpers zu erkennen. Wie ein Geist schwebt die Gestalt in den Raum hinein. Ein plötzlich auftauchender Dämon vielleicht, der nicht verrät, was er will. Ein dunkles Gefühl, das in Pandemiezeiten zum Alltag gehört.
Das etwas heiterere Gegenstück findet sich im selben Raum mit dem Werk des in London lebenden Künstlerduos Gilbert & George, der "Brain Chain" (2019). Vier Augen stechen aus dem poppig bunten Werk hervor, das die morbide Schlosswand schmückt. Nach der Begegnung mit der Angst ist die Betrachtung dieses Werkes belebend.
Ein künstlerisches Zeichen der Hoffnung gibt es am Ende in der ehemaligen Bibliothek des Schlosses. In einer Ecke läuft das typisch verschwurbelt betitelte Video "metal man-Where do weg o" (2019) der Französin Laure Prouvost. Eine flüsternde Stimme stellt auf eine meditative Art Fragen, untermalt mit Meeresrauschen. In dieser beruhigenden Umgebung wird dazu aufgerufen, einen Wunsch auf einen Zettel zu schreiben. Regionale Bäume sind im gesamten Raum verteilt - unverkennbar Yoko Onos Installation "Wish Tree". Die Bäume werden wie zu Weihnachten mit verschiedenen Wünschen geschmückt.
Dieser Anblick ist erfüllend und lässt die Besucherinnen und Besucher die Ausstellung mit einem zuversichtlichen Gefühl verlassen. Wünschen kann man schließlich immer.