Künstler Rodney Graham stirbt mit 73 Jahren

Ein Mann der tausend Gesichter

Zeit- und Genresprünge charakterisieren das Werk von Rodney Graham. Wie kein anderer Künstler hat sich der Kanadier in die Lebenswelten des 19. und 20. Jahrhunderts hineinbegeben. Jetzt ist er mit 73 Jahren gestorben

Es gibt ein Lied von ihm, das heißt "What’s so funny, I don’t get it", darin erfährt man viel über den schwer zu fassenden Rodney Graham. Neben der Tatsache, dass er ein begabter Songschreiber und Sänger war, erkennt man sein lebenslanges Interesse für den Typen in der zweiten Reihe, der sich noch wundert, während die anderen schon lachen. Außerdem seine Liebe zur Verwandlung, meist in genau diesen charmanten, aber hoffnungslosen Verlierer. 

Wer ist er – und wenn ja, wie viele, fragte man sich oft bei seinen Filmen, Fotos, Malereien, Installationen und Skulpturen – Gattungsgrenzen schienen für den in Vancouver geborenen Graham nicht zu existieren. In den Fotoleuchtkästen, die der Künstler seit dem Jahr 2000 machte und die die Brillanz der Fotografien hervorheben, nahm er selbst verschiedene Rollen an, als Dandy, Cowboy, Leuchtturmwärter, melancholischer Zeitreisender, als Antiquar oder Intellektueller. In Posen, die immer ganz knapp übertrieben sind, hält er etwa als "Newspaper Man" auf einer Parkbank die Zeitung theatralisch vors Gesicht, oder er steht grimmig als Punk an einem öffentlichen Fernsprecher – zwei ausrangierte Modelle, die wissen, dass es vorbei ist.

Und die Rollenperformances der Nullerjahre sind nur ein Teil seines auch ansonsten schwindelerregend abwechslungsreichen Werks. Wie bei anderen Künstlern der sogenannten Vancouver School – Stan Douglas, Jeff Wall – spielt die Rezeption der europäischen Moderne eine zentrale Rolle für Graham. Inspiriert von der Kunst der Appropriation, entwickelte er seine Strategie der "Annexion", bei der er Zitate oder ganze Werke einem neuen Opus einverleibte.

Der Mensch im Hamsterrad seiner Rituale

1987 schrieb Graham den Roman "The System of Landor’s Cottage" als gestreckte Version der letzten Erzählung von Edgar Allan Poe. Indem er den kompletten Originaltext erheblich ergänzte, wandte der Künstler eine Schreibtechnik des Schriftstellers Raymond Roussel an. Die Installation "Mannitol from Heaven" (2008), unter anderem bestehend aus einer mit weißem Pulver bestreuten Schreibmaschine, ist eine verzwickte Hommage auf den drogensüchtigen Roussel, der sich mit Schlafmitteln umbrachte. Mannitol ist eine weiße Substanz, die als Droge wie als Sprengstoff eingesetzt wurde. 

Das Knallgas von Grahams Kunst setzte sich aus persönlichem Irrwitz und geliehener Substanz zusammen. Sigmund Freud, Stéphane Mallarmé, Lewis Carroll und Kurt Cobain. Graham-Werke sind oft komisch, aber nicht zuletzt in seinen Video-Endlosschleifen steckt ein tragischer Hintersinn: der Mensch im Hamsterrad seiner Rituale.

Mit dem Leuchtkästen der Nullerjahre brachte Rodney Graham sich nicht nur freiwillig in die Nähe von Wall, er fordert dessen Kunst heraus, an Humor und Lässigkeit seinem Landsmann überlegen. Wie John Baldessari hat auch er als Konzeptualist einen immensen Einfluß auf die nachfolgende Künstlergeneration. "Meine Konzeptarbeiten", erzählt er 2013 im Monopol-Interview, "brauchten immer eine Hintergrundgeschichte. Aber diese didaktischen Erklärtafeln an der Wand fand ich irgendwann schwierig. Also geriet ich in den Bann einer spektakuläreren Kunstform. Lange Zeit war ich eher auf der Seite Marcel Duchamps als auf der Picassos, sozusagen in der intellektuelleren Ecke. Doch dann war ich zunehmend fasziniert vom prometheischen Output eines Picasso. Heute fühlen sich meine früheren Arbeiten beinahe so an, als stammten sie gar nicht von mir, sondern von jemand anderem. Einem, der sich bemüht hat, intelligent zu wirken, indem er Konzeptkunst machte. Wenn du als Künstler anfängst, möchtest du Konsistenz in deiner Arbeit etablieren, ein wiedererkennbares Muster. Aber ab einem bestimmtem Punkt willst du da nur noch ausbrechen."

Rodney Graham war mit Einzelausstellungen immer auch wieder in Deutschland zu sehen, etwa 2017 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden und 2015 in der Sammlung Goetz in München, sowie in immer wieder in seinen Galerien, bei Johnen in Berlin und Schöttle in München.

Wie die Galerien Esther Schipper und Hauser & Wirth am Montagabend mitteilten, ist Rodney Graham jetzt im Alter von 73 Jahren gestorben.