Künstler Robin Rhode

"Die Felszeichnungen sind ein Quellcode der Menschheit"

Für seine aktuelle Ausstellung hat sich Künstler Robin Rhode mit Felsmalereien aus Südafrika beschäftigt. Hier spricht er über Wände als Portale und neue Impulse aus uralter Kunst


Robin Rhode, für Ihre jüngste Ausstellung bei der New Yorker Galerie Lehmann Maupin haben Sie alte Felsmalereien aus Südafrika untersucht. Was ist daran interessant für einen zeitgenössischen Künstler wie Sie?

Ich habe selbst viel auf Wänden gemalt und ausgiebig über alte Felszeichnungen aus dem südlichen Afrika recherchiert. Es war ein Versuch, mich wieder mit meinen Wurzeln zu verbinden. Ich wollte die ästhetische und kreative Kontinuität erforschen, die meiner Kunst zugrunde liegt. Die Felszeichnungen sind ein Quellcode der Menschheit und fungieren als unsere menschliche "Ursprungsgeschichte". Mein Herkunftsland Südafrika befindet sich aufgrund der politischen Vergangenheit in einem traumatischen Zustand. Wir könnten Heilungsmechanismen finden, indem wir die Vergangenheit untersuchen und das spirituelle Wissen der Vorfahren anzapfen.

Welche Höhlen haben Sie besucht?

Mein Bezugspunkt sind die Cederberge in Südafrika. Ein geografischer Ort mit fast surrealistischen Felsformationen, die Tausende von Felsmalereien enthalten, die in Felsunterkünften, nicht in Höhlen, gefunden wurden und von den Ureinwohnern dieser Region, insbesondere den Khoisan, über Tausende von Jahren geschaffen wurden. Felsunterstände bieten Zugang zum Himmel, zum Wind und zum Sonnenlicht. Diese Elemente wirkten sich auf die Künstler der damaligen Zeit aus und beeinflussten ihr kreatives Schaffen und ihr tägliches Leben. Hier fungieren die Wandmalereien als eine Form der gemeinschaftlichen Heilung und werden in Trance hergestellt. Diese Visionen, die während der Trancezustände auftraten, wurden auf die Wände speziell ausgewählter Felshütten gemalt. Diese Bereiche in der Berglandschaft sind wie als Freiluft-Kunstgalerien, die das Leben der Menschen dokumentieren, die dort einst als Jäger- und Sammlergesellschaften lebten.

Es muss ein starkes Erlebnis sein, das zu sehen.

Als ich diese Orte besuchte und diese uralten Kunstwerke auf den Felsen sah, die zwischen 4000 und 10.000 Jahre alt sind, wurde mir klar, dass es sich um göttlich inspirierte Künstler handelte. Die Geografie, ein Land kann eine tiefe Spiritualität besitzen. Manchmal können allein die Gesteinsformationen tiefe Emotionen auslösen, die über Zeit und Raum hinausgehen können. Die Rolle des Künstlers bestand damals darin, als heilende Präsenz zu fungieren, um Probleme zu lösen, nicht nur als Individuum, sondern als Kollektiv.

Diese uralten Kunstwerke, wie sehen sie aus?

Es ist ein überwältigendes Gefühl, wenn man erkennt, dass die Wandoberfläche von Künstlern vor Tausenden von Jahren so schön gestaltet wurde. Da ist diese Feinheit in den Linien, besonders bei der Darstellung von therianthropischen Bildern. Therianthropie bedeutet, dass sich menschliche Körper in Tiere verwandeln oder dass der Körper sowohl tierische als auch menschliche Eigenschaften besitzt. Diese Bilder sind hier allgegenwärtig und ungeheuer faszinierend. Sie haben viel mit Träumen zu tun. Wachträume waren für die Wahrsagerei von zentraler Bedeutung und Träume und Visionen spielen in der antiken Felskunst eine wichtige Rolle. Träume sind grundlegende kognitiven Konstruktionen des Menschen, frei von den Zwängen der Vernunft und des logischen Denkens.

Sie selbst beziehen oft lokale Communities in Ihre Kunstproduktion ein, die dann auch auf der Straße stattfindet. Das passt, oder?

Ja, in gewisser Hinsicht erinnert meine eigene Arbeit an der Wand an die ethnografische Felskunst des südlichen Afrikas und ihren Glauben an eine übernatürliche Kraft zur sozialen Heilung. Die auf die Wand gemalte Kunst sollte die übernatürlichen Kräfte beeinflussen, die die sozialen Codes, Verhaltensweisen und Überzeugungen der Gesellschaft bestimmen. Wandmalerei spielt möglicherweise eine Rolle bei der Beeinflussung des ökologischen Gleichgewichts der Umgebung, in der sie entsteht, insbesondere in einem politisch aufgeladenen städtischen Umfeld wie Johannesburg. Dort befindet sich ja auch die Wand, wo ich regelmäßig male – ich  nenne es mein "Portal". Meine Wandmalereien werden, wie die meiner Vorfahren, zu visuellen Interventionen, die hoffentlich das Gleichgewicht zugunsten der Community verschieben.

Wo sehen Sie noch Parallelen zur zeitgenössischen Kunst?

Die interessanteste Beziehung zu dieser alten Kunstpraxis ist die Funktion der Felsoberfläche als Portal in einen veränderten Bewusstseinszustand. Der Fels, die Wand, wird zu einem Schleier, der verbirgt und offenbart, der zwischen dieser Welt und einer spirituellen Dimension steht. Diese uralte künstlerische Praxis findet heute in der zeitgenössischen Kunst ihren Widerhall. Ähnlich wie ein Maler sich einer Leinwand oder einem Blatt Papier nähert, um zu zeichnen, fungiert die Leinwand oder das Blatt Papier als Oberfläche, auf die nicht nur Ideen, sondern auch menschliche Gefühle projiziert werden können. Auf vielen Ebenen umfasst mein Werk die Oberfläche einer Wand als zeitgenössisches "Portal" und setzt die Vergangenheit fort.

Der Titel Ihrer aktuellen Ausstellung bezieht sich auf Silene Capensis, was bedeutet das?

Die botanische Afrikanische Traumwurzel oder Silene Capensis ist ein kleines psychoaktives, mehrjähriges Kraut, das bei den Stämmen des südlichen Afrikas aufgrund kultureller und religiöser Praktiken seit Tausenden von Jahren eine prophetische und rituelle Bedeutung hat und beim Verzehr als heilig gilt - aufgrund seiner intensiven, trauminduzierenden Wirkung.

Was bewirkt die Pflanze?

Silene Capensis löst spektakulär lebendige und ungewöhnliche luzide Traumzustände aus, die als Geschenke oder Botschaften der Ahnen interpretiert werden können. Diese erscheinen in diesen luziden Träumen als treibende "weiße Winde", die Führung und Wissen vermitteln. Die duftenden weißen Blüten der Pflanze öffnen sich nur nachts und verströmen einen wohlriechenden, fast hypnotisierenden Duft. Meine Ausstellung untersucht die Beziehung zwischen dem kreativen Akt der Wandmalerei und dem Konsum medizinischer psychoaktiver Pflanzen als Mechanismus zur Herbeiführung tranceähnlicher Zustände während verschiedener kultureller Rituale. Diese Rituale waren stets mit Heilung, religiösem Glauben und Mythologie verbunden, und ich versuche, die Geschichte der afrikanischen Kunst aus einem alten, vorkolonialen Blickwinkel zu erforschen.