Der Wiederaufbau der weltberühmten, schwer beschädigten Pariser Kathedrale Notre-Dame wird von einer riesigen Spendenwelle im Milliarden-Bereich getragen. Nach Angaben von Stéphane Bern, der im Auftrag von Staatspräsident Emmanuel Macron für die Renovierung historischer Baudenkmäler in Frankreich zuständig ist, waren schon bis Mittwochmorgen fast 900 Millionen zur Verfügung gestellt worden. Bern sagte dem Sender RMC: "Die ganze Welt ist an unserer Seite."
Derweil war die Ursache der Katastrophe in dem rund 850 Jahre alten Kirchenbau auch am Mittwoch noch ungeklärt. Die Pariser Staatsanwaltschaft ging davon aus, das der Brand auf einem Unfall beruht und nicht auf einer "vorsätzlichen Tat". Daher würden Zeugen befragt, darunter Arbeiter, die vor dem Feuer an Renovierungsarbeiten beteiligt waren.
Das Pariser Rathaus plant an diesem Donnerstag eine Veranstaltung zu Ehren der Kathedrale. Dabei sollen auch Menschen gewürdigt werden, die an der Rettung von Notre-Dame Anteil hatten.
Frankreich will nach der Katastrophe einen internationalen Architekturwettbewerb für den Wiederaufbau des kleinen Vierungsturms in der Mitte des Daches von Notre-Dame ausrufen. Dieser Spitzturm war bei dem verheerenden Brand am Montagabend zusammengestürzt. Premierminister Édouard Philippe sagte nach einer Regierungssitzung, der neue Turm müsse den "Herausforderungen unserer Zeit" standhalten.
Renovierungsexperte Bern sagte, es kämen Spenden aus vielen Ländern für die Kathedrale im Herzen der Hauptstadt. Der Deutsche Spendenrat rechnete mit einem Zuwachs auch in Deutschland. "Ähnlich wie bei einer Naturkatastrophe werden die Menschen verstärkt spenden", sagte Geschäftsführerin Daniela Geue der Deutschen Presse-Agentur. Sie mache sich keine Sorgen, dass deswegen die Spendenbereitschaft für andere Zwecke sinke. Vielmehr steige das Spendenaufkommen insgesamt in Jahren mit außergewöhnlichen Katastrophen. Im Fall Notre-Dame sei es so, dass die Tragödie in der europäischen Nachbarschaft geschehen sei und die Deutschen eine sehr enge Bindung an Frankreich hätten.
Kurz nach dem Ausbruch des Feuers hatte Frankreichs Präsident Macron schon versprochen, das jahrhundertealte Bauwerk wieder aufzubauen. In einer Fernsehansprache am Dienstag kündigte er dann an, dass dies binnen fünf Jahren passieren sollte. Er fügte hinzu: "Im Laufe unserer Geschichte haben wir Städte, Häfen und Kirchen gebaut. Viele sind verbrannt oder zerstört worden (...). Jedes Mal haben wir sie wieder aufgebaut."
Schnell kam in Frankreich die Frage nach den Kosten für das gewaltige Projekt auf - und wer diese trägt. Die Kathedrale sei im staatlichen Besitz und somit nicht im klassischen Sinne versichert, berichtete die Zeitung "Le Monde" unter Berufung auf den französischen Versicherungsverband. Die zu zahlenden Versicherungsprämien wären für Kulturdenkmäler wie Notre-Dame exorbitant hoch.
Mehrere französische Milliardärsfamilien hatten kurz nach dem Brand Spenden über Hunderte Millionen Euro versprochen - darunter die Familien Arnault, Bettencourt und Pinault. Die Kulturerbe-Stiftung Fondation du Patrimoine startete eine Spendensammlung und richtete eine entsprechende Webseite ein. Dort waren am Mittwochvormittag schon fast elf Millionen Euro zusammengekommen. Die Holzindustrie schlug vor, dass jeder private Waldbesitzer eine Eiche spenden solle - der bei dem Brand zerstörte Dachstuhl war eine Holzkonstruktion.
Der Kunsthistoriker Stephan Albrecht von der Bamberger Otto-Friedrich-Universität sieht diese Wiederaufbau-Pläne mit Skepsis. Der Dachstuhl gehe auf eine Holzkonstruktion aus dem 13. Jahrhundert zurück, deren Baupläne nicht mehr verfügbar seien. "Es gibt nur vage Zeichnungen, wie das ausgesehen hat", sagte Albrecht der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er könne sich daher nicht vorstellen, dass der Dachstuhl wieder aus Holz aufgebaut wird.
Premierminister Philippe kündigte am Mittwoch ein neues Gesetzes an, das Transparenz im Umgang mit den Spenden sicherstellen soll. "Jeder Euro, der für den Wiederaufbau von Notre-Dame eingezahlt wird, wird dafür eingesetzt - und für nichts Anderes." Eine entsprechende Vorlage soll es in der kommenden Woche geben.
Notre-Dame gehört zu den Top-Touristenattraktionen der französischen Hauptstadt, sie wird jährlich von Millionen Menschen besucht. Die Kathedrale steht mitten in der Stadt auf der Seine-Insel Île de la Cité. Sie zählt seit 1991 zum Weltkulturerbe der Unesco. Ihre Geschichte reicht bis ins Jahr 1163 zurück, als der Bau unter Bischof Maurice de Sully begann. Mit seinem 1831 erschienenen Roman "Der Glöckner von Notre-Dame" verewigte Victor Hugo die Kathedrale in der Weltliteratur.