Wäre sie ein Entwicklungsroman, könnte man Sergej Jensens Laufbahn so zusammenfassen: Als um die Jahrtausendwende in Leipzig und Berlin sehr viele Künstler figurativ malten, bewegte er sich am Nullpunkt der Abstraktion. Als eine jüngere Generation von Malern zehn Jahre später massenhaft Bilder anfertigte, die schwer nach Jensen aussahen, stellte er selbst auf Figuration um. Seine aktuelle Ausstellung in der Galerie Neu markierte in dieser Erzählung dann das Happy End: die Rückkehr zur Abstraktion.
Doch Jensens Bilder sind schlauer, stimmig gerade nicht im Sinne diesen oder jenen Stils, sondern einer Haltung: dem empathischen Zulassen von Ambivalenzen, Widersprüchen und Unsicherheiten. Der prinzipiellen Offenheit gegenüber den unendlichen Möglichkeiten, wie Form und Sinn entstehen und vor allem auch: wie sie vergehen können. Alles ist möglich in dieser Malerei, nichts ist gegeben, nicht einmal eine Leinwand, denn Jensens Bilder entstehen, indem er Stoffreste zusammennäht.
Neu ist, dass er die Stoffe mit Acrylschichten überzieht und anschließend in einem speziellen Verfahren bedruckt. So basieren die jüngsten Arbeiten auf Himmelsfotografien, was mal mehr, mal weniger deutlich zu erkennen ist. In diesen Werken verschwimmen Bildträger und Bild, Malerei, Fotografie und Stoff. Und es durchkreuzen sich reale und symbolische Wertzuschreibungen: Eine Arbeit besteht aus zusammengeflickten Geldsäcken europäischer Nationalbanken, auf dem Nachbarbild glitzert silbernes Palladium.
Seit der Romantik dienen die sich stetig verändernden und neu zusammensetzenden Wolken als Sinnbild für das Zusammenspiel zwischen Individuum und Gesellschaft; wohl in allen Kulturen haftet dem Blick in den Himmel etwas Heiliges an. Das Pathos des Sujets hält der unaufgeregte Ausstellungstitel – "The Weather" – in Schach, die Sanftheit der Farben bricht sich an der Grobheit der Nähte, manche Oberfläche wirkt wie eine menschliche Haut.
Jensens Himmelsschau bleibt immer am Boden. "Golden Shower" heißt ein Werk, auf dem es mosaikartiges Blattgold regnet: wie im Mythos der Zeus-Geliebten Danaë. Oder eben auch in manchem Fetischclub der Gegenwart. Wie es weitergeht mit Jensens Kunst, ist auf beruhigende Weise so unvorhersehbar wie das Wetter.