Dinner mit Abstand

Einpacken, bitte!

Restaurants suchen nach Lösungen, ihre Kundschaft nach dem Corona-Lockdown zurückzuholen. In Paris werden Plastikglocken als virendichte Dinnerkapseln getestet

Seit Mitte Mai dürfen Gastronomien nach dem Corona-Lockdown langsam den Betrieb wieder aufnehmen. Noch stärker als zuvor müssen die Betreiberinnen und Betreiber darauf achten, dass sie hygienische Standards einhalten und ein Restaurantbesuch kein Risiko darstellt. Doch ein Gourmet weiß, dass ein kulinarischer Abend nicht nur das richtige Essen voraussetzt, sondern ein Gesamtkonzept aus Ambiente, Menü und Gastfreundschaft - ein denkwürdiges Dinner erlebt man nicht alleine.

Der kreative Umgang ist aus der Corona-begleitenden Not heraus entstanden, die Etablissements vor der Schließung zu bewahren und wieder alltagstauglich zu machen. Obschon gesetzliche Rahmenbedingungen gelockert werden, bleibt die ernste Frage, wie man mit den emotionalen und psychischen Unsicherheiten umgeht, die die Covid-19-Krise zurücklässt. Um der Verbreitung von Viren auch in postpandemischen Zeiten möglichst effektiv entgegenzuwirken, experimentieren Gastronomen mit Lösungen, die ein stimmungsvolles Miteinander bei gleichzeitiger Abschottung kleinteiliger Erreger ermöglichen.

In Pariser Restaurants testen die Betreiber Abschirmung durch gloschenförmige Plastikschutzschilde - sprich eine "Speiseglocke". Nachdem der anfängliche Ulk-Effekt verflogen ist, bleibt die subtile Ernsthaftigkeit als B-Note auf der Zunge haften. Die Kultur der Kulinarik hat in der Vergangenheit bereits viele Windungen unternommen, um Geschmackserlebnis, soziale Interaktion und hygienische Maßstäbe unter einen Hut zu bringen. Man denke nur an die mittlerweile in vielen gehobenen Küchen etablierte Fingerschale. Aus Adels- und Großbürgerkreisen stammend gehört die bequeme Fingerreinigung heute fast selbstverständlich zum Gedeck jeder distinguierten Tischgesellschaft.

Gepaart mit der ökonomischen Sparsamkeit einer Plastik-Lobby und kreativen Beschäftigungsideen à la Bubble-Fußball – der innovativen Trendsportart aus dem Jahr 2011 – resultiert daraus eben die gegenständliche Übersetzung des Wortes "Speiseglocke". Zeitgleich protestieren Aktivistinnen und Aktivisten grundsätzlich gegen die weitere Nutzung des unsterblichen Materials. Doch die psychischen und sozialen Auswirkungen der Quarantäne wiegen die Argumente der Klimarettung offensichtlich auf: Ob im Einzelhandel, in der Unterhaltungsbranche oder im Nahverkehr – PVC erlebt als schnell anwendbarer Allzweckstoff eine wahre Renaissance.


Aber auch die Praktikabilität der neuen Futterglocken erscheint auf den ersten Blick fragwürdig. Schließlich möchte niemand dem halb zerkauten Mundinhalt der vielredenden Restaurantbegleitung dabei zusehen, wie er sich ähnlich einem Pollock-Gemälde an der Innenseite des Plastikschutzes verteilt. Wenigstens muss sich folglich niemand mehr Übereifer vorwerfen lassen, wenn man bei einer ersten Verabredung versucht, das Date direkt unter die Haube zu bekommen. Es könnte die Szenerie eines erotischen Gloschenromans beschreiben: "Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber, speisen schweigend. Sein Herzschlag steigt ihm plötzlich zu Kopf, als sein Blick den ihren streift. Vollkommen seines Atems beraubt, verliert er sich in den tanzenden Flammen, im mannigfachen Funkeln der Sterne, den Lichtreflektionen in ihren ... Plastikhauben."

Doch solange Kreativität die treibende Kraft bleibt, werden die Küchenchefs und Restaurantbetreiberinnen dieser Welt mit Sicherheit Lösungen für die neuen Probleme finden. In diesem Sinne: Gong Appétit!