"Wholesomeness" ist einer dieser Begriffe, die sich schlecht übersetzen lassen. Vielleicht am ehesten als ein vages Wohlbefinden, aber mit moralischer Komponente: körperlich und geistig gesund, umwelt- und sozialbewusst. Fahrradfahren, selbstangebauter Grünkohl und solche Sachen. Die Porno-Streaming-Seite Pornhub versucht genau das zu sein — wholesome. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit zum Beispiel während eines Sturms an der Ostküste der USA Schneepflüge zur Verfügung gestellt. Die Seite gibt Gesundheitstipps zur Brust- oder Hodenkrebsvorsorge. Zum National Panda Day hat es die Nutzer aufgefordert, ihre Amateur-Sexvideos im Pandakostüm zu drehen, dann zu posten. Schließlich sind Pandas vom Aussterben bedroht, so geht die populäre Geschichte, weil sie nicht genug Sex haben.
Der neueste Coup ist eine Kunstschau in einem ehemaligen Nachtclub in Los Angeles, Titel: "Pornhub Nation". Eine Art Rieseninstallation, eine Fantasiewelt, die im Jahr 2069 angesiedelt ist. In dieser Fiktion haben Pornostars alle Regierungsposten inne. Es gibt eine Art Darkroom. Und eine VR-Arbeit, in der Besucher den ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein, der die #metoo-Debatte auslöste, mit Dildos bewerfen können. Im vergangenen Jahr wurde schnell klar, dass er nicht der einzige Bösewicht war, sondern dass die Taten auch mit Machtstrukturen im Kulturbetrieb zu tun haben. Aber Weinstein steht natürlich für einen Umgang mit Sex, mit dem weder Pornhub, noch die aufgeklärten Millenials etwas zu tun haben wollen.
Verantwortlich für die Gestaltung der Schau sind die Fotografin und Lichtkünstlerin Maggie West und der Digitalkünstler Ryder Ripps. West ist Fotografin und arbeitet passenderweise am liebsten mit atmosphärischem Neonlicht: Ihre Bilder sehen aus wie hochästhetisierte Versionen eines Stripclubs. Ripps ist 2015 zu moderatem Ruhm gelangt, als er in Lauren Cornell und Ed Halters Post-Internet-Anthologie "Mass Effect" mehrfach erwähnt wurde. "Als regelmäßiger Nutzer der fantastischen Dienste von Pornhub, sowohl in meiner Kunst, als auch in meiner persönlichen Praxis, war das Projekt ein Riesenspaß und sehr stimulierend", sagte der Künstler über seine Arbeit an der immersiven Installation.
Die Geschichte von Kunst und Pornografie ist eng verknüpft. In prähistorischer Zeit, also vor den 60ern, manchmal auch noch danach, wurde das P-Wort benutzt, um bestimmte Kunstwerke zu diffamieren. Dann kam Jeff Koons, der mit seiner damaligen Ehefrau, der ehemaligen Pornodarstellerin Cicciolina, in der Serie "Made in Heaven" die Ästhetik von Sexfilmen zitierte. Sex, Kunst und natürlich Konsum? It’s a match!
Eine Generation später soll die paradiesische Vereinigung kritischer Auseinandersetzung weichen: Sexarbeit wird als Folie benutzt, um die Mechanismen des Kunstbetriebs offen zu legen. In seiner Arbeit "Art Whore" hat Ryder Ripps beide Branchen in einer Nacht und in einem Hotelzimmer zusammengezwängt. 2014 kontaktierte er zwei Masseusen auf Craigslist, damit sie während seiner Residency im New Yorker Ace Hotel zeichnen, was sie wollten. Das hat er dann live gestreamt. Ripps’ Vergleich war schief, problematisch und kam gar nicht gut an: Die Performance wurde von einem New Yorker Online-Magazin als eines der "most offensive art projects 2014" gelistet. Ob Pornhub jetzt die Schmuddelecke verlässt und in die Wohfühlzone für Millenials gelangt, ist fraglich. Aber das Wichtigste ist ohnehin: Sei wholesome und sprich darüber.