In ihrer erst wenige Jahre andauernden Karriere hat sich die 1986 geborene Videokünstlerin Rachel Rose mit den verschiedensten Themen beschäftigt. In ihrem Film "Sitting Feeding Sleeping" von 2013 geht es um Zustände zwischen Tod und Leben, die sie bei Tieren im Zoo, bei Robotern und bei eingefrorenen Menschen in Cryptolabs fand. In "A Minute Ago" von 2014 ist sie mit Philip Johnsons Glashaus einer architektonischen Ikone der Moderne auf der Spur und verbindet sie mit dem heraufziehenden Hurrikan "Sandy“. "Lake Valley" (2016) dagegen ist ein animierter Film, der das Konzept der Kindlichkeit untersucht. Und in ihren jüngsten Projekten beschäftigt sie sich mit Hexenkraft und dem Verlust des Gemeinschaftseigentums im England des 16. Jahrhunderts.
Im Fridericianum in Kassel ist nun ihre erste Einzelausstellung in Deutschland zu sehen. Unser Interview findet einige Wochen davor am Telefon statt – Rachel Rose ist in New York, bald soll ihr erstes Kind geboren werden (inzwischen ist es da). Beim Gespräch ist sie trotzdem völlig bei ihrer Kunst.
Ihre Karriere war rasant: 2013 haben Sie erst ihren Abschluss an der Columbia University in New York gemacht und gleich in guten Galerien gezeigt, 2014 auf der Artissima den ersten Nachwuchspreis bekommen, 2015 hatten Sie bereits Einzelausstellungen in der Serpentine Gallery in London, dem Castello di Rivoli in Turin und dem Whitney Museum in New York. Wie war das für Sie?
Ich habe den Film "Lake Valley" 2016 unter anderem aus dieser Erfahrung heraus gemacht, plötzlich verantwortlich sein zu müssen und eine Karriere zu haben. Es war, wie sehr schnell erwachsen zu werden. Eine sehr plötzliche Veränderung.
"Lake Valley" ist ein animierter Film, in dem ein Haustier, ein Häschen, seine Familie verlässt und in einem phantastischen Garten landet. Ich finde ihn sehr melancholisch.
Kann sein. Der Film handelt von Kindheit, es ist wie eine Verabschiedung davon. Und für mich gehört Verlassensein und Einsamkeit zur Kindheit dazu. Der Film ist Ausdruck dessen, was ich damals fühlte. Aber was die Karriere angeht, denke ich: Das wichtigste ist, dass man die Möglichkeiten nutzt, die sich einem bieten. Es geht darum, immer dazu zu lernen. Ich sehe jedes neue Werk, das ich mache, wie eine Art Mini-Schule. Ich versuche, neue Dinge herauszufinden und so viel zu lernen wie möglich.
Während des Studiums haben Sie noch gemalt …
Ja, aber ich war damit nicht zufrieden. Ich konnte die Fragen, die sich mir stellten, damit nicht beantworten. Mit Film kommt Narration hinein, die sehr viele Dimensionen und Aspekte einer Frage enthalten kann.
Und was war Ihr erstes wichtiges Werk?
Der Film "Sitting Feeding Sleeping", den ich 2013 auf meiner Abschlussausstellung an der Columbia gezeigt habe, und den ich unter anderem in einem Cryptolab gedreht habe. Ich hatte damals große Zweifel daran, ob ich Künstlerin sein sollte, und was es überhaupt bedeutete, irgendetwas zu machen. Ich war deprimiert und fragte mich, ob es ein Fehler gewesen war, Kunst zu studieren. All diese Zweifel darüber, was ich mal werden würde, projizierte ich in diesen Zustände, die ich filmte, bei Tieren im Zoo, Robotern, die menschliche Gefühle kopierten, und toten Körpern, die technisch noch am Leben sind, weil Blut durch ihre Adern fließt.
Sie haben seitdem sehr viele unterschiedliche Themen behandelt, die auch mit sehr unterschiedlichen Techniken arbeiten, von found footage über Drehs mit Schauspielern bis zum animierten Film. Was ist der Antrieb?
Ich glaube, jedes Werk ist für mich ein Container, um eine bestimmte Frage zu entwickeln, um die Gefühle, die ich habe, nach außen zu tragen und sie an Dinge in der Außenwelt zu heften. Jedes Werk enthält, was ich in ihm ausdrücken wollte.
Ihr jüngster Film "Wil-o-Wisp" von 2018 hat mich mal wieder überrascht: Er spielt in London im 17. Jahrhundert und erzählt von einer Frau, die als Hexe gilt. Was ist die Verbindung zur Ihrer Gegenwart als junge Frau in New York?
Ich beschäftige mich darin mit dem Verlust öffentlichen Raums und mit der Zerstörung der Landschaft um uns herum. Der historische Hintergrund ist das so genannte "Enclosure Movement" in England, als das Gemeinschaftseigentum des Mittelalters privatisiert wurde und Land intensiver genutzt. Die Magie wurde verbannt, das Verhältnis der Menschen zum Wald und zu den Tieren änderte sich, der Animismus wurde ausgelöscht, die Aufklärung begann. Gleichzeitig sind dort die Anfänge utopischen Denkens, der Projektionen, die Leute über Amerika haben.
Wo sehen Sie die Verbindungen zur Gegenwart?
Wir leben in einer Zeit, in der öffentlicher Raum immer mehr verloren geht, wir verlieren die Gemeinschaft, Dinge, die wir teilen. Die Menschen haben das Gefühl einer apokalyptischen Zeit, man redet von Katastrophe und der Auslöschung der Menschheit, und manche imaginieren eine utopische Zukunft. Und unsere Gegenwart ist von Magie durchzogen, die aber durch die industrielle und kapitalistische Strukturen sublimiert wird. Diesen speziellen Moment in der Vergangenheit anzusteuern, schien mir ein Weg, um Zugang zur Gegenwart zu finden.
In Ihrer Ausstellung werden neben fünf Videofilmen auch Skulpturen zu sehen sein. Wie passen die in Ihr Werk?
Es sind alles Eier aus verschiedenen Materialien, aus Steinen und Glas, das ja auch nur eine andere Form von Stein ist, denn Glas besteht aus Sand. Das Ei ist das ultimative Symbol der Alchemie, mit der ich mich in "Wil-o-Wisp" beschäftige. Es steht aber auch für die Beschäftigung mit dem Körper, mit Dingen, die innnerhalb und außerhalb eines Körpers existieren können. Es gibt auch viele Eier in meinen Filmen.
Sie sind verheiratet mit dem Videokünstler Ian Cheng. Sprechen Sie oft über das Werk das jeweils anderen, oder eher über das Abendessen?
Eher über das Abendessen!