By the way: David Hockney und Wolfgang Tillmans sind schwul. Fast hätte man's vergessen, weil beide einfach großartige Künstler sind – wovon das Publikum in der Tate Britain (Hockney) und der Tate Modern (Tillmans) sich derzeit wieder überzeugen kann. Will sagen: Homosexualität und alles, was noch zum Abkürzungs-Ungetüm LSBTTIQ passt, sollte weder Schandfleck noch Gütesiegel sein, sondern – normal gelebt werden dürfen. Gay zu sein, meinte Quentin Crisp treffend, sei mangels Vorsatz kein Grund für Stolz, "du kannst höchstens stolz darauf sein, dich nicht zu schämen".
Die Schau "Queer British Art 1861–1967" blickt auf eine Zeit zurück, in der von einem wie Crisp schlichtweg erwartet wurde, er solle sich schämen (stattdessen outete er sich in den 60ern). Seit der Gesetzesnovelle "Sodomy and Bestiality" von 1861 wurde immerhin die Todesstrafe für Analverkehr im Vereinigten Königreich aufgehoben, von 1967 an wurden Männer ab 21 dafür (nur in England und Wales) nicht mehr bestraft. Mit einem Bein im Gefängnis, mit dem anderen auf der Bühne – vielleicht trifft das die widersprüchliche Epoche am besten. Das Theaterpublikum liebte die Norm-Abweichler, die Justiz verfolgte sie, wie den Fotografen Angus McBean, den seine Homosexualität 1942 ins Gefängnis brachte. Die Ausstellung zeigt seine teils surrealen Porträts von Schauspielern und Entertainern wie dem oben zitierten Crisp.
Der berühmteste schwule Häftling Englands bleibt Oscar Wilde, aber an der Tate wird noch an den weniger geläufigen Fall des präraffaelitischen Malers Simeon Solomon erinnert, der 1873 mit einem anderen Mann in einem Londoner Pissoir erwischt, nach seinem Prozess vom Establishment zur Unperson erklärt wurde und dem Alkohol verfiel. Mythologische Themen machten die – dennoch erstaunlich explizite – Homoerotik in Solomons Bildern gesellschaftsfähig. Sein Aquarell "Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene" (1864) ist das früheste, David Hockneys "Going to be a Queen for Tonight" (1960) zählt neben Bildern von Francis Bacon zu den jüngsten Gemälden der Schau. Der Titel ist hier eindeutiger als das abenteuerlich-abstrakte, von erregten Pinselgesten getriebene Bildgeschehen. Eine Orgie der Zeichen.
"Queer British Art" beschränkt sich nicht auf die bildende Kunst. Unverzichtbar sind die Räume, die der Bloomsbury Group um Virginia Woolf gewidmet sind. Künstler wie Vanessa Bell, Duncan Grant und Dora Carrington, dazu Intellektuelle und Wissenschaftler trafen sich zwischen 1905 bis in die 40er im Londoner Stadtteil Bloomsbury. Homo- und bisexuelle Verhältnisse waren nicht ausgeschlossen. Primär aber stehen die "Bloomsberries" für ein Leben und Denken wider Spießertum und Engstirnigkeit. Wahrscheinlich fängt Queerness oberhalb der Gürtellinie erst so richtig an.