"Fifty Shades of Grey" auf der Berlinale und im Kino

Quäle dein Publikum

Ein Geständnis: Ich habe die Roman-Trilogie "Shades of Grey" nicht gelesen, keinen der Bände. Die Bücher sollen gut sein, schließlich haben sich bisher 70 Millionen Exemplare verkauft. Aber man versteht den Film auch ohne Buch. Es geht um BDSM, wie man heute sagt. In dem Wortungetüm steckt Sadomasochismus und auch Bondage, also die Lust am Fesseln und Gefesseltwerden.

Die Sextoys zur Romanreihe sind bereits erhältlich, jetzt läuft die Verfilmung an: Anastasia Steele stolpert mit wehender Blümchenbluse in das Büro des Milliardärs Christian Grey. Die Literaturstudentin soll den Konzernchef für ihre Unizeitung interviewen. Leichter Funkenflug. Er sieht toll aus, hat aber einen etwas irren Blick. In den folgenden Tagen rückt der coole Grey Anastasia recht forsch zu Leibe. Im Heimwerkermarkt, in dem sie nebenbei arbeitet, lässt er sich von ihr Kabelbinder und Seile zeigen, dabei mustert er sie eigenartig. Und wieso schließt Christian Anastasia den Anschnallgurt so ruppig, als er sie mit dem Privathubschrauber in sein Domizil entführt? In seinem Luxusapartment gibt es ein Spielzimmer voller Metallgerüste, Handschellen, Peitschen. Christian Grey ist nicht pervers. Und er will eine Beziehung. Aber nach genauen Regeln.

Das Thema ist längst kein Tabu mehr. Gelebter Sadomasochismus kommt häufiger vor, als viele denken. Es geht – auch im "Shades of Grey"-Stoff – natürlich nicht um brutale Übergriffe, sondern um Lustgewinn durch Schmerz. Der passive Partner kann jederzeit "Stop!" sagen, bei Anastasia und Christian gibt es die verbalen Alarmstufen "Gelb" und "Rot". Wer die Romane noch nicht gelesen hat, kann vom Film einige Dinge lernen. Ansonsten ist "Fifty Shades" ein bohrend langweiliger Film.

Wie seltsam. Denn die britische Regisseurin des Films, Sam Taylor-Johnson, hieß einmal Taylor-Wood, war 1998 für den Turner Prize nominiert und hat sich in ihren künstlerischen Werken eindringlich mit Paarbeziehungen und Menschen in emotionalen Grenzsituationen auseinandergesetzt. Die Doppelprojektion "Travesty of a Mockery" (1995) zeigte ein sich erbittert streitendes Paar. In der Videoarbeit "Sustaining the Crisis" (1997) lief eine junge Frau atemlos eine Mauer entlang, während sie ein Mann auf der gegenüberliegenden Projektionswand keuchend anstarrte.

Im Spielfilmfach reüssierte Taylor-Johnson im Jahr 2009, mit der Independent-Produktion "Nowhere Boy“ über die frühen Jahre von John Lennon.

Bestürzende Belanglosigkeit

Wie aus "Fifty Shades of Grey" ein so glattes Produkt wurde, ist schwer zu sagen. Es kann sein, dass die Regisseurin sich dicht an die Vorlage halten musste. Vielleicht hatte sie einen ganz anderen Film im Kopf. Bei der Weltpremiere im Berliner Zoo-Palast wurde gestern zur Berlinale jedenfalls eine bestürzende Belanglosigkeit uraufgeführt. Die Aschenputtel-Aufregung der ersten Szenen – das Mauerblümchen und der düstere Prinz – ist schnell verflogen. Über weite Strecken geht es dann um einen Vertrag, mit dem Christian Anastasia zum Schweigen gegenüber der Öffentlichkeit, zu bestimmten Ernährungsregeln und anderem verpflichten will. Wird Anastasia den Kontrakt unterschreiben? Wie wichtig ist die schriftliche Vereinbarng überhaupt? Solche Fragen sind etwa so aufregend wie die Kursentwicklung der Beate-Uhse-Aktie.

Die Sexszenen sind durchschnittlich, jeder Beischlaf wird von Popmusik untermalt als würde für Hautpflege geworben. Wohlgemerkt, der Film lief auf der Berlinale: 1976 wurde auf dem Festival Nagisa Oshimas "Im Reich der Sinne" als "harte Pornografie" vom Staatsanwalt einkassiert. 2001 gewann Patrice Chéreaus "Intimacy" mit seinen schonungslosen Sexszenen den Goldenen Bären. "Shades of Grey" lief gottlob nicht im Wettbewerb. Womit könnte man den Film auch auszeichnen? Mit dem weichgespülten Kuschelbären?

Die Quälerei, wenn man sie so nennen will, wird in kleinen Dosen verabreicht. Harte Worte ("Jetzt ficke ich dich"), Krawatten als Fesseln, ein Eiswürfel für den Nabel. Die Peitschenhiebe sind an der Hand abzuzählen. Das Paar schauspielert professionell, Dakota Johnson und Jamie Dornan sehen toll aus, schwitzen wenig und riechen bestimmt nie schlecht. Sämtliche Schauplätze des in Seattle und Vancouver siedelnden Films erwecken den Eindruck, als könnte man glatt vom Boden essen. Die Wirklichkeit sieht wohl anders aus. Ein feuchter Traum übrigens auch.