Protest gegen Umgestaltung der GSW-Fassade

"Grundlose Entstellung"

Das GSW-Gebäude ist ein Wahrzeichen zwischen den Berliner Bezirken Mitte und Kreuzberg – vor allem wegen seiner markanten Fassade. Die soll nun aber umgestaltet werden. Dagegen regt sich Protest

Schon aus der Ferne zeichnet sich das GSW-Gebäude gegen den Berliner Himmel ab – nicht nur, weil der noch immer eher hochhausarm ausfällt, sondern vor allem wegen seiner prägnanten Westfassade: lachsrosa und tiefrot, ockerbraun und dunkelorange leuchten die verschiedenen Metalllamellen, die sich quer zur Rudi-Dutschke-Straße in Richtung Friedrichstraße erheben. In unregelmäßiger Anordnung und je nach Lichteinwirkung gekippt, eingeklappt oder voll sichtbar.

Die Gestaltung erfüllt einen doppelten Zweck: Die hinterlüfteten Sonnenschutzpaneele sind zum einen zur Abkühlung des Gebäudeturms in den Sommermonaten konzipiert und bringen zum anderen mit ihrer farblichen Ausfertigung zugleich ein wenig Heiterkeit in die gebaute Umgebung. Die GSW-Fassade repräsentiert den Zeitgeist der ausklingenden 1990er-Jahre, in der man auch oder wohl gerade in der Hauptstadt eine bessere Zukunft im Blick hatte. Sie stellt den berühmtesten Part eines mehrteiligen Bauensembles dar, das von 1995 bis 1999 nach Plänen des Architekturbüros Sauerbruch Hutton umgesetzt wurde.

1991 hatten die Senatsbauverwaltung, der damalige Bezirk Kreuzberg und die GSW Immobilien AG, ein Verwaltungsunternehmen für Mietwohnungen, einen Architekturwettbewerb zur Erweiterung des bestehenden Hochhauses ausgelobt. Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton gewannen den Wettbewerb mit ihrem Entwurf, zu dem neben dem Flachbau und der "Pillbox", einem dreigeschossigen Turm, auch die Hochhausscheibe mit ihrer unverwechselbaren Fassade gehörte. Schon kurz nach Fertigstellung wurde das Bauwerk mit mehreren Preisen ausgezeichnet und für weitere wie den Mies-van-der-Rohe-Award nominiert. Ein Architekturmodell und drei Entwurfsskizzen haben Einzug gefunden in die Sammlung des New Yorker MoMA, wo sie 2010–2011 auch ausgestellt wurden.

Eine Petition gegen die Umgestaltung

Ein gutes Jahrzehnt später droht die berühmte Architektur aus dem Stadtbild zu verschwinden: Bereits 2015 war die namensgebende GSW ausgezogen, ein Jahr später das Startup-Unternehmen Rocket Internet als Hauptmieter eingezogen, das das Bauwerk 2017 in "Rocket Tower" umbenannte. Im Mai 2022 wurde nun bekannt, dass die aktuelle Immobilienverwaltungsgesellschaft, die Sienna Real Estate Property Management mit Sitz in Hamburg, die charakteristische Fassade mit ihren Sonnenschutzpaneelen und den farbigen Metall-Lamellen entfernen und durch einfache Stoffrollos in anderen Farben ersetzen lassen will.

Von einer "grundlosen Entstellung" spricht das Architektenbüro, das für die Gestaltung verantwortlich zeichnete. Denn man könne natürlich auf den ersten Blick erst einmal von schnödem Sonnenschutz sprechen, sagt Sabine Hertwig, die Partnerin und Pressesprecherin bei Sauerbruch Hutton ist. "Aber dieser Sonnenschutz ist absolut fassadengestaltend." Wenn man ihn entfernen würde, dann sei diese Architektur eine gänzlich andere. Hinzu kommt, dass Stoffrollos vermutlich kaum denselben kühlenden Effekt wie die Sonnenschutzfassade hätten. Deshalb haben Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton und Juan Lucas Young von Sauerbruch Hutton einen offenen Protestbrief gegen den Austausch der farbigen Sonnenschutzanlage initiiert, der sich direkt an die Immobiliengesellschaft wendet.

Jüngere Architekturen haben es allgemein schwerer als ihre Vorgängerinnen – sie werden überdurchschnittlich schneller abgerissen oder massiv umgestaltet als ältere Bauwerke, selbst als solche, die nicht unter Denkmalschutz stehen. Auf den Denkmalschutz wiederum dürfen Freunde des Bauwerks nicht hoffen, dafür ist das GSW-Gebäude zu jung. 30 Jahre müssen es in Berlin mindestens sein, um in Betracht zu kommen; die GSW-Fassade ist erst 22 Jahre alt.

Zeit für einen offenen Dialog

Dabei sind grundsätzlich auch architektonische Arbeiten urheberrechtlich geschützt. Die Interessen des Urhebers, der für die Gestaltung verantwortlich zeichnet, sind gegen die des Eigentümers abzuwägen. Das Architektenbüro hat inzwischen mehrere Anwälte mit der Sache betraut. Ergebnis allerdings offen. Das Urheberrecht für Architekturen sei juristisch allerdings eher ein stumpfes Schwert, zitiert Hertwig einen Artikel zum Thema. Und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Bis das Anliegen überhaupt im Baukollegium behandelt werden würde, könnte es für den Erhalt der Fassade zu spät sein.

Es scheint wohl auch um ein Neu-Branding des Gebäudes im Sinne der aktuellen Mieter zu gehen. So ließe sich zumindest die Erklärung der Sienna GmbH lesen, die im "Tagesspiegel" zitiert wird: "Eine farbliche Umgestaltung kann auch einen positiven Effekt erreichen. Der Rocket Tower erhält ein neues Gesicht." Unter gestalterischen Gesichtspunkten wirken die Farbbeispiele, die von den Immobilieninvestoren für die Ausgestaltung der Rollos ausgegeben wurden, freilich ein bisschen wahllos. Auf die wegweisenden Qualitäten der aktuellen Farbauswahl weist auch der Architekturkritiker Claus Käpplinger in seinem Beitrag für Marlowes hin.

Gern würde man sich mit allen Beteiligten zusammensetzen, um überhaupt erst einmal den Anlass für den Änderungswunsch zu verstehen, wie Hertwig erklärt: "Wir versuchen derzeit unter anderem, mit den Samwer-Brüdern von Rocket Internet in Kontakt zu kommen. Aber das ist gar nicht so leicht. Selbst, wenn sie nicht Eigentümer sind, kann ihnen als Hauptmieter der derzeitige Aufruhr eigentlich nicht egal sein. Zumal sie doch auch als der Kreativwirtschaft zugetane Menschen bekannt sind" – die, so zumindest die Hoffnung des Architekturbüros, auch gebautes Kulturgut wertzuschätzen wissen.

Sowohl ein solches Gespräch als auch öffentliche Diskussionen fehlen bislang. Für Immobilienbesitzer ist ein solcher Dialog oft auch gar nicht nötig: Wenn erst einmal Fakten geschafft worden sind, dann ist es müßig, über künstlerische Urheberrechte und den Wert architektonischer Strukturen für eine Stadt zu sprechen.

Identitätstiftende Architektur

Der Protest gegen den Abriss beziehungsweise Rückbau der Fassade wirft grundlegende Fragen im Umgang mit etablierten Architekturen auf. Denn was bautechnisch state-of-the-art ist, verändert sich selbstredend fortwährend. Die Konstruktion mit den Sonnenschutzpaneelen ist Berichten zufolge teilweise in die Jahre gekommen. Wie leichtfertig sollte man gebaute Lebensumgebungen, die einen ganzen Stadtteil prägen, opfern dürfen? Wie definiert sich der Nutzen einer Umgestaltung, welchen Stellenwert räumt man einem baulich verankerten Sonnenschutz in einer sich stetig weiter aufheizenden Metropole ein?

"Diese Fassade müsste als junges Denkmal für einen wichtigen evolutionären Schritt klimaangepasster Architektur unter Schutz gestellt werden", schreibt Eike Roswag-Klinge, Professor für Constructive Design & Climate Adaptive Architecture am Natural Building Lab der TU Berlin, als Unterzeichner der Petition. Auch für Tausende andere Berlinerinnen und Berliner ist die identifikationsstiftende Architektur aus der Stadt offenbar nicht mehr wegzudenken. So finden sich unter dem Protestbrief neben großen Namen wie Daniel Libeskind, Jean-Louis Cohen, Barbara Steiner oder aus der Kunst Katharina Grosse und Olafur Eliasson etliche Kommentare unbekannter Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, die von den emotionalen Qualitäten des Bauwerks berichten.

"Ich unterschreibe, weil das meine Lieblingsfassade ist", ist dort zu lesen, "Bitte die wenige gute Nachwendearchitektur erhalten" oder: "Es ist ein zentrales Wahrzeichen Berlins." Eine Berlinerin schreibt, dass die GSW-Fassade ihr jeden Tag Freude bereite: "Die gebogene Fassade mit den farbig abgestimmten Paneelen reflektiert die Abendsonne. Das Gebäude erscheint über Kilometer in der Stadt als gleißende Linie. Einfach großartig!"