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Die mexikanische Moderne rund um die linken Künstlerpaare Frida Kahlo/Diego Rivera und die zugereisten Mitkämpfer Tina Modotti/Edward Weston umweht bis heute eine mythische Aura. Aber wie sieht es mit der heutigen Kunstszene aus? Einblicke in das aktuelle Geschehen gibt es bei der zehnten Ausgabe der POSITIONS Art Fair. Im Jubiläumsjahr steigt die Galerienzahl von zuletzt 88 auf 100 Teilnehmer aus 20 Ländern.
Vier der Neuzugänge stammen aus Mexiko-Stadt. Dass die Galería Enrique Guerrero, CAM Galería, Lagos und Proyectos Monclova in die Hangars vom ehemaligen Flughafen Tempelhof einziehen, ist nicht zufällig, denn auch die Partnerschaft zwischen Berlin und Mexiko-Stadt feiert ihr 30-jähriges Bestehen.
Viele mexikanische Künstler scheinen das Spannungsverhältnis zur revolutionären Vergangenheit ihres Landes weiterhin als Inspirationsquelle zu schätzen. Wie etwa Néstor Jiménez, dessen Werke die Galerie Proyectos Monclova im Gepäck hat. Der Maler blutrot strahlender Figuren befasst sich mit dem Ausverkauf sozialistischer Ideen. Wenn sich seine verletzlichen Kolosse beugen oder baden, schwingen in den Bewegungen immer auch Gesten von Gewalt und Ausbeutung mit. Andere Motive erinnern an konstruktivistische Malerei, spiegeln den Widerstreit zwischen Gemeinwohl und individualistischem Glücksstreben. Die politisch aufgeladenen Werke kosten zwischen 5000 und 10 000 Dollar.
Ganz in Blau ist der Körper der Frau ausgeleuchtet, die auf einem Gemälde von Jinhee Kim die Flucht aus einem Kinosessel ergreift. Andere Figuren faulenzen in der Badewanne oder starren im dreidimensionalen Raum in die Luft. Sie scheinen nicht zu wissen, wie sie auf diese von einem unsichtbaren Regisseur gelenkten Bühnen geraten sind, während dramatische Farben und klassische Formen ihre Passivität umso bizarrer wirken lassen. Der Neuzugang ThisWeekendRoom aus Seoul setzt ganz zu Recht auf das Potenzial einer Künstlerin, die den Einfluss von Fernando Botero oder einer Tamara de Lempicka in eine ganz eigene Subsprache zu übersetzen weiß.
Mikrochips und Swimmingpools
The Chemistry Gallery mag es weniger verspielt. Die Prager widmen ihre Koje dem Maler Jakub Švéda, der geheimnisvolle Texte mit technologischen Zeichen kombiniert. Andere Werke bewegen sich an der Grenze zwischen skulpturalem Relief und Objekt. Auch in ihnen findet man Symbole der Technologie-und-Konsum-Gesellschaft: Dosen, Mikrochips, elektrische Schaltkreise und Plastikgegenstände mit nicht identifizierbarem Zweck, die alle zusammen einem beunruhigenden System ähneln, das warnende Botschaften vor einer übertechnisierten Welt sendet.
Das System David Hockney mit seinen Pools, Kacheln, Bungalows, Sprungbrettern und Wasserbewegungen wirkt dagegen sehr entspannend. Die Berliner Galerie Brusberg trumpft mit seltenen Lithografien aus den späten 1970er- bis frühen 1980er-Jahren auf. Zarte Striche deuten Windbewegungen auf dem Wasser an, das Gras um das Schwimmbecken hat noch die heißen Sommertage vor sich, und das Sprungbrett wirft dunkle Schatten in die Tiefe. Eine Szenerie, die der begeisterte Schwimmer bekanntlich immer wieder aufgegriffen hat.
Neuerdings auch mit einer Filiale in Berlin beheimatet ist die Bamberger Galerie AOA;87. Sie setzt in ihrer Soloshow auf den Positions auf die Berliner Street-Art-Ikone XOOOOX, einen Pionier der Stencil-Technik, der seine eleganten Models und Figuren mit Vorliebe auf verwitterte Fassaden oder alte Schilder sprüht. Schon lange werden seine Werke nicht mehr nur von Graffiti-Fans geliebt, sondern auch von Kunstsammlern.
Dieser Artikel erschien zuerst im Sonderheft zur Berlin Art Week 2023.