Zum Tod von Pope L.

Das lauteste Flüstern

Künstler Pope L.
Foto: Peyton Fulford

Künstler Pope L. 

Pope L. war einer der wichtigsten politischen Konzeptkünstler der USA. Nun ist er überraschend mit 68 Jahren gestorben. Unsere Autorin erinnert sich an seine "Whispering Campaign" für die Documenta 14 und Sätze für die Ewigkeit

Es sind Sätze, die mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens verfolgen werden: "Vorhänge dicht, die lassen wenig bis kein kein kein Licht, denn wir waren fleißig fleißig fleißig da drinnen." Oder diese hier: "Die sind gierig, die Grimm-Jungs. Die schlingen, schlingen wie Tiere, die die die schreiben sie auf. Ihre Augen glänzen als hätte ich meine Hand zwischen ihren Beinen. D-U-N-K-E-L."

Ende 2016 bekam ich über faszinierend verschlungene Wege den Auftrag, die "Whispering Campaign" des US-Künstlers Pope L. für die Documenta 14 ins Deutsche zu übersetzen. Die Texte sollten, angelehnt an die oral histories der Märchensammler Jakob und Wilhelm Grimm, die Besucherinnen und Besucher an verschiedenen Orten in Athen und Kassel überraschen. Im Sommer 2017 flüsterte es dann konspirativ vor dem Fridericianum, im Einkaufszentrum Königsgalerie, am Hauptbahnhof und auf der Damentoilette einer Pizzeria. Außerdem wurden Passagen des Werks im nordhessischen Lokalradio gewispert (haben Sie schonmal probiert, wie anstrengend eine halbe Stunde langsames, deutliches Flüstern ist?). 

Der erste Eindruck des Manuskripts war das Gefühl, vor einer absolut unlösbaren Aufgabe zu stehen. Allein die Kategorie "Text" war für das, was Pope L. da niedergeschrieben hatte, eine großzügige Bezeichnung. Vielmehr waren es unvollständige Satzbrocken voller Slangwörter, Wiederholungen und Rhythmus. Ständig tauchten neue Figuren auf: die Gebrüder Grimm inklusive dem Familien-Außenseiter Ferdinand, regionale Geschichtenerzähler wie die Marktfrau Dorothea Viehmann, dann aber auch ein Insasse eines jordanischen Flüchtlingslagers, Fremde in Athen und Kassel, ein Spion. Ein Labyrinth aus Orten, Zeiten und Stimmen. Die Sprache stolperte. "Die Umgebung, in der ich mich gerade wieder finde, ist eine Collage namens Europa, deshalb Stückchen von Europa-Stückchen deshalb vielleicht vielleicht vielleicht nicht Europa an sich in sich selbst -- sondern eine Pause zwischen Europas -- ein Staubkorn zwischen einem Bild und einem anderen in einem Film, oder zwischen einem Wimpernschlag und einem anderen Wimpernschlag im Leben -- ." 

Auf Händen und Knien auf den Straßen New Yorks

William Pope L., der am 23. Dezember überraschend mit 68 Jahren in seiner Heimatstadt Chicago gestorben ist, war nicht gerade für klare Botschaften bekannt. Dafür besaß er eine Gabe, einprägsame Bilder und Worte zu finden, die einer brutalen Realität mit Verletzlichkeit und Absurdität begegneten und auch seinem Publikum einiges abverlangten. 

Zu seinen bekanntesten Werken gehörten die "Crawling Performances", bei denen der Künstler (manchmal im Business-Anzug, manchmal im Supermankostüm) auf Händen und Knien kilometerweit über die Straßen New Yorks kroch. Monumentale Szenen, in denen eine widersprüchliche Melange aus Assoziationen entstand: Ausdauer und Willenskraft eines Individuums, aber auch die Erniedrigung des Kriechens, Gedanken an die vielen Menschen, die buchstäblich am Boden sind und an denen Passanten in großen Städten oft achtlos vorbeieilen. Die Kunst ermöglichte ein Hinsehen und adelte das Niedere, lenkte den Blick aber auch auf die Widerstände und Feindseligkeiten, denen Schwarze Menschen in den USA ausgesetzt waren und sind. 

Pope L., 1955 in New Jersey geboren, spielte mit den Zeichen von Macht, war dabei aber nie humorlos. Für seine Performance "Eating The Wall Street Journal" stieg er 2000 nackt und mit weißem Kreidestaub überzogen auf einen Klo-Thron und verspeiste ein Exemplar der Wirtschaftszeitung mit Milch-Begleitung. Der Künstler bezeichnete sich selbst als "Schamanen des Alltags", der Rituale der Selbstreinigung mit politischer Agitation verknüpfte. 

Zwischen Sprache und Sprachlosigkeit

Dabei blieb der mahnende Zeigefinger jedoch immer unten, stattdessen hatte Pope L. offenbar keinerlei Berührungsängste mit dem Derben und Vulgären. Vielleicht interessierte er sich auch deshalb für das Vermächtnis der Gebrüder Grimm, schließlich hatten auch die Archäologen der deutschen Sprache eine ausgeprägte Vorliebe für Kraftausdrücke und populäre Flüche. 

Nach einigen Monaten Arbeit an der "Whispering Campaign" entfaltete auch dieses Kunstwerk einen seltsamen, aber unwiderstehlichen Sog zwischen Sprache und Sprachlosigkeit. Als Übersetzerin blieb einem nichts anderes übrig, als sich in diese epischen Wortgewalten zu ergeben und den klassischen Anspruch an einen sinnvollen Text über Bord zu werfen. Immer tiefer fraßen sich die stakkatohaften Sätze in mein Bewusstsein und blieben dort hängen. Langsam setzten sich die Fragmente zu einer eindrucksvollen Erzählung zusammen, die um die Macht von Geschichten, die Festung Europa und das Verlorensein in der Welt kreiste. Und die dann in dieser Form nie existierte, weil sie auf der Documenta in Kassel und Athen wieder in winzige Schnipsel zerfiel. "Ignoranz ist eine Tugend", tuschelte es in unendlicher Wiederholung aus einem Automaten auf dem Friedrichsplatz. 

Beim ersten persönlichen Treffen in Kassel sagte mir Pope L., dass er das Flüstern als mächtiges, aber flüchtiges Werkzeug der Kommunikation begreife. "Ich spuke in Europa", sagte er. Genau wie sein Projekt auf der Documenta herumgeisterte und ansonsten eher langweilige Orte zu Kunsträumen verhexte. Im sommerlichen Trubel einer Weltkunstschau ging die eher dezente "Whispering Campaign" ein wenig unter, wurde von anderen, opulenteren Werken gewissermaßen niedergeschrien. Trotzdem werde ich Pope L.s verzweigte Verse über die Grimm-Jungs, denkwürdige Desaster der Weltgeschichte und kafkaeske Einbürgerungsprozesse niemals vergessen. Ein Flüstern, das weit über Kassel und Athen noch lange nachhallt.