Picasso hat es nicht leicht. Nicht nur, dass der Ausstellungstitel "Die blaue und rosa Periode" in der Fondation Beyerle in Basel ein wenig nach Damenhygiene klingt (in Werbespots für Tampons und Binden sickert seit Jahrzehnten statt Menstruationsblut giftig blaue und pinke Flüssigkeit in Zellstoffprodukte). Der arme reiche Maler, der seinen Ruhm vor allem durcheinander geratenen Körperteilen zu verdanken hat, muss auch als Vergleichsgröße für alles herhalten, was irgendwie einen Pinsel halten kann.
Die Google-Suche zu "der neue Picasso" ergibt über acht Millionen Treffer. Sortiert man die Einträge zum Kompaktvan "Citroën Picasso" und die endlosen Picasso-Vergleiche im Hip-Hop heraus, bleibt ein überraschend vielfältiger Kreaturenreigen übrig, dem Verwandtschaft zum Überkünstler des 20. Jahrhunderts unterstellt wird. Da gibt es einmal die menschlichen Wunderkinder. Der Düsseldorfer Maler Leon Löwentraut (21) wird als neuer Picasso bezeichnet, seit er 16 ist. Inzwischen klingt das jedoch nach einem Alter kurz vor der Rente, denn nun wird der sechsjährige Mikael Akar aus Köln als "Mini-Picasso" durch die Medien gereicht, obwohl seine bunten Klecksbilder mit viel gutem Willen eher an Pollock erinnern.
Aber auch nichtmenschlichen Künstlern wird expressives Talent unterstellt: Malende Schimpansen werden als "die Picassos unter den Tieren" gefeiert und auch seit einigen Wochen macht die Schweinedame "Pigcasso" das Netz verrückt, weil sie ihre traumatische Erfahrung des Fast-Geschlachtetwerdens durch Malerei verarbeitet. Mit dem Pinsel im Maul verteilt sie zielstrebig Farbe auf Leinwand und signiert die Bilder mit einem Rüsselabdruck. Kunstkritisch muss man allerdings anmerken, dass ihre schwungvollen Kringel nicht besonders picassoartig aussehen. Stilistisch ist das Malschwein eher das Haustier eines aggressiven japanischen Kalligraphen oder eines farbexplodierten K.O. Götz.
Warum also immer Picasso? Dem Stil des Expressionismus haftet seit je her das Etikett an, der Ausdruck eines Genies zu sein. Und dieses Genie soll möglichst kindlich und energetisch sein, unverdorben von Technik und Kunstschule und ganz bei sich und seiner Innenwelt. Auch wenn diese Attribute gar nicht unbedingt auf Picasso zutreffen, ist er zum Inbegriff der ungegenständlichen Malerei geworden, egal von wem sie ausgeführt wird (ob ihm der Vergleich mit dem Malschwein schmeicheln würde, bleibt ungewiss). Allerdings ist der Vergleich inzwischen genauso ermüdend wie die gefühlt ununterbrochenen Picasso-Retrospektiven in der westlichen Museumswelt.
Dabei gäbe es so viele andere Möglichkeiten, die wir uns für gegenwärtige und künftige Tiermaler wünschen: Wir warten auf Pigelangelo, Marc Rothkuh, Isa Gänschen, Vermeerschweinchen, Georg Haselitz, Hai Weiwei und Leo Fauch.