Frau Gabriel, in den 80er-Jahren waren Sie in Dresden Teil der Performance-Gruppe Auto-Perforations-Artisten, gemeinsam mit Via Lewandowsky und anderen. Wollten Sie die DDR durch Dada stürzen?
"Stürzen" wollten wir gar nichts. Stützen allerdings noch weniger. Die DDR war für uns, für mich, eine realdadaistische Sozialsatire, ein verzerrter Weltanschauungscomic, aus dem es allerdings schwierig war zu entkommen. Bevor eine Ausreise in den Westen möglich wurde, setzten wir unsere individuelle artistische Unkontrollierbarkeit gegen das verordnete "Primat der Politik über Kunst und Kultur". Es ging uns um die Freiheit der eigenen Beobachtung, die mit den offiziellen Behauptungen und Zwängen nicht übereinstimmte.
Jetzt sind Sie die jüngste der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen bei der Schau "Hinter der Maske" über Kunst in der DDR im Museum Barberini. Können Sie sich mit dieser Kategorie überhaupt identifizieren?
Ich bin in der DDR sozialisiert, habe meinen Eltern schon mit zwölf Jahren erklärt, dass ich ausreisen will. Den zwangskollektivierten Muff und die Mittelmäßigkeit des fröhlichen Neutrums der "entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" fand ich unwürdig. Diese widersprüchliche Prägung konnte und kann ich als Überlebenshilfe in eine künstlerische Qualität übersetzen. 1989 ist eine weltmächtige Ideologie zusammengebrochen. Lebendige Erfahrungen mit einem realen Systemumbruch und den damit verbundenen Entwurzelungen und Wanderungen sind doch heute hochaktuell.
Seit dem Fall der Mauer sind 28 Jahre vergangen. Was ist nach der Wende passiert – ist die alte Trennung noch irgendwo spürbar? Finden Sie, dass die Künstler aus der DDR in deutschen Museen oder auch auf dem Kunstmarkt unterrepräsentiert sind?
Stellen Sie sich vor: Günther Uecker zum Beispiel oder Jeff Koons wären mit Arbeiten aus den 80ern in einer Ausstellung vertreten. Würde man das künstlerisch bewerten oder "nur historisch"? Insbesondere die "inoffizielle" künstlerische Produktion in der DDR wird meist rein historisch betrachtet. Das hat mit Gewohnheitsrechten zu tun. Man bleibt mit der Deutungshoheit gern unter sich. Das ist nicht neu, aber künstlerisch und intellektuell unterkomplex. Lampen basteln wird durch die Person Olafur Eliasson biennaletauglich, mithin große Kunst, Gepinsel von der Insel Usedom bleibt provinziell. Wer versucht, mit formal künstlerischen Kriterien zu begründen, kommt hier schnell ins Schlingern. Die Kategorisierung ist willkürlich und zeigt: Erklärte Kolonialismuskritiker agieren kolonialistisch, und wir sind zurück im "Primat der Politik über Kunst und Kultur".
Sie lehren heute an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee und haben insofern viel Kontakt zu der jüngsten Künstlergeneration. Ist es noch wichtig, wer wo herkommt?
Es spielt grundsätzlich eine Rolle, wer woher kommt. Das hat etwas damit zu tun, Biografien ernst zu nehmen. Aus was, wenn nicht aus der eigenen Erfahrung soll man denn künstlerisch Neues entwickeln? Aus Verordnungen und Themenkatalogen? Vielleicht denen der Professoren? In Weißensee studieren statistisch relevant Menschen, die aus dem östlichen Umland stammen. Deren Biografie ist geprägt von Eltern und Lehrern, die die Systemverwerfungen verkörpern und weitergeben. Bis heute. Die damit verbundene spezifische Sensibilisierung zu leugnen wäre eine Verschwendung künstlerischen Potenzials.