Valie Export im Interview

"Jetzt müssen die Männer Stellung beziehen"

Die österreichische Performance-Pionierin Valie Export, die zurzeit in Berlin ausstellt, über #Metoo und ihre frühen Performances, Bierflaschen-Angriffe und den politischen Rechtsruck

Valie Export, ich fürchte, wir müssen mal wieder über Sexismus reden.
Gut, dann tun wir das. Es muss immer wieder sein.

Haben Sie die aktuelle #metoo-Debatte verfolgt?
Ich habe sie verfolgt, aber mich bisher nicht aktiv beteiligt. Einerseits ist es ganz wichtig, dass über diese Dinge gesprochen wird, weil man weiß, dass vieles noch verborgen ist. Andererseits werden in der Debatte Themen miteinander gemischt, die differenziert betrachtet gehören. Das liegt an einer perfiden, männlich geprägten Machtstruktur, die sich eben ganz unterschiedlich äußern kann. Es ist gut, dass mehr Frauen an die Öffentlichkeit gehen, aber wir sollten nicht erwarten, dass sich die Männer dadurch ändern. Jetzt müssen die Männer Stellung beziehen, aber ihre Stellungnahme ist genauso machtzentriert, wie sie immer war.

Feminismus ist keine Erfindung von 2017, trotzdem klingen viele Debattenbeiträge, als würde das Thema zum ersten Mal besprochen. Waren wir schon mal weiter?
Das glaube ich nicht. Und dass man heute wieder so intensiv darüber redet, empfinde ich auch als Verdienst der Feministinnen der 60er- und 70er-Jahre. Viele hören zum ersten Mal davon, weil der Feminismus lange unterdrückt wurde und zu viele Menschen gedacht haben: Es ist doch eh schon alles erreicht. Man hat sich vorgestellt, dass der Staat genug Gleichheit hergestellt hat und dass Frauen genug erreichen können, wenn sie nur wollen. Aber das stimmt eben nicht.

War es dieser Eindruck der Ungleichheit, der Sie dazu bewogen hat, den weiblichen Körper ins Zentrum Ihrer Kunst zu stellen?
Der weibliche Körper ist eine Konstruktion, diese Erkenntnis war immer zentral für mich. Ich wollte wissen: Was bedeutet der Körper, auch mein eigener, in der Gesellschaft? Was bedeutet der Körper als Zeichenträger und Symbol, welche Merkmale werden ihm von außen zugeworfen? Er wird nach einem männlichen Bild geformt, und Männer definieren ihre Macht über den Zugriff auf weibliche Körper. Diese Regeln wollte ich nie akzeptieren, sondern ihnen durch meine Kunst widersprechen. Es ging darum, auf diese Repressionen und Zuordnungen aufmerksam zu machen und mich davon zu befreien. Radikalität war mir wichtig als Antwort, als Herausforderung.

Mit Ihren Performances wie dem "Tapp- und Tastkino" oder der "Aktionshose: Genitalpanik" haben Sie Ihr Publikum in den 60ern im öffentlichen Raum mit Ihrer Nacktheit konfrontiert. Haben Sie aggressive Reaktionen erlebt?
Die brutalste Aggression war, als ich von hinten mit einer Bierflasche fast niedergeschlagen wurde, die Wunden mussten genäht werden. Wenn sich eine Frau in die Öffentlichkeit wagt, erntet sie Aggression in Form von Verurteilungen und Verachtung, damals wie heute. Auf der Straße war das Publikum beim "Tapp- und Tastkino" eher interessiert und belustigt, was verwunderlich ist, weil es eine der ersten Aktionen dieser Art in Europa war. Die Aggressionen der Öffentlichkeit haben sich darauf gerichtet, dass ich es überhaupt gewagt habe, als Künstlerin aufzutreten. Und wer sich Feministin nannte, hatte mit groben Anfeindungen zu rechnen. Man drohte, mir Säure ins Gesicht zu schütten oder die Wohnung aufzubrechen.

Das Umfeld der Wiener Aktionisten war sehr männlich. Hatte das damit zu tun?
Ja, wie der Name schon sagt waren es männliche Aktionisten, es gab  kaum Künstlerinnen, die sich zum Feminismus bekannt hätten. Oft hat man mich auch mit Nichtbeachtung gestraft, weil ich nicht ins Konzept gepasst habe. Das war bei meinen männlichen Kollegen so, aber auch in der Presse. Das hat sich sicherlich seitdem geändert.

Der öffentliche Raum ist heute ins Digitale verlagert. Wie sehen Sie diesen Online-Aktivismus?
Ich finde die Online-Diskussionen gut und richtig, weil dadurch viel ans Licht kommt, was sonst ungesagt bliebe. Andererseits sehe ich das Internet als einen manipulativen Raum. Menschen wollen gern manipuliert werden, weil sie nicht selbst entscheiden wollen, und diese Tendenz wird durch die Anonymität im Netz begünstigt. Letztlich geht es in der Sexismus-Debatte immer um reale Körper, die von der männlichen Macht dominiert werden.

In Österreich, wie fast überall im Westen, tendiert die Politik nach rechts. Heißt Rechtsruck erneute Vermännlichung von Macht?
Sie sagen, die Politik tendiert nach rechts, ich sage, sie ist schon längst rechts angekommen und wird noch weiter nach rechts rücken. In Österreich sieht man, dass eine Wirtschaft angestrebt wird, in der die Frau wieder zu Hause bleibt, um Kindererziehung zu übernehmen, obwohl das in unserer heutigen Gesellschaft gar nicht mehr geht. Da werden wieder Argumente zur Mutter-Kind-Bindung angeführt, die restriktiv gegenüber Frauen sind und männliche Macht erzeugen. Wenn Frauen in der Regierung sind, werden sie von Männern zu ihren Zwecken ausgesucht, ihre Fähigkeiten werden nicht gewürdigt.

Was heißt diese Entwicklung für die Kunst?
In Österreich wird klar ausgedrückt, dass finanzielle Mittel für Kultur beschnitten werden sollen, aber es gibt noch keine Debatte darüber, wie sich die Kunst und die Kulturszene behaupten können. Bisher hatten wir in Österreich ein gutes Klima für experimentelle Kunst, das auch vom Staat gefördert wurde. Wenn man genau hinhört, bekommt man den Eindruck, dass sich das sehr schnell ändern wird. Der Rechtsruck bedeutet, dass einige der erreichten Freiheiten wieder zurückgenommen werden. Aber ich setze auf die Künstler, diese Tendenzen aufzunehmen und sichtbar zu machen.

Der aktuellen Sexismus-Debatte wird vorgeworfen, dass sie nur Symptome sammelt. Kann Kunst mehr?
Ja, davon bin ich immer überzeugt gewesen. Eine Diagnose wäre, den kranken Körper der Gesellschaft zu zeigen. Die Kunst kann den kranken Körper nicht heilen, aber sie kann Veränderungen aufzeigen, die den kranken Körper obsolet machen. Kunst kann sehr viel dazu beitragen, dass die Wahrnehmung geschärft wird und die Welt anders gesehen werden kann, als sie von Politik oder Religion geschildert wird.

Valie Export "Aktionshose: Genitalpanik", 1969/94

Plakat-Aktion im Rahmen der Ausstellung "GEWALT / Geschäfte", Neue Gesellschaft für Bildende Künste Berlin