Hausdurchsuchung nach Kunstaktion

"Seit Jahren wird die Politkunst-Szene kriminalisiert"

Foto von Polizist:innen im Rahmen der Aktion "Cop Map", 2018 des Peng!-Kollektivs
Foto: Peng! Kollektiv

Foto von Polizisten im Rahmen der Peng!-Aktion "Cop Map" von 2018

Gegen das Kunstkollektiv Peng! wird wegen des "Aufrufs zu Straftaten" ermittelt, zwei ehemalige Mitglieder mussten Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Wir haben mit ihnen über die Hintergründe gesprochen

Sie möchten im Interview anonym bleiben und deswegen Pseudonym 1 und Pseudonym 2 genannt werden. Gegen Sie laufen Ermittlungen des Landeskriminalamts Berlin wegen Sachbeschädigungen, die vermeintlich im Zusammenhang mit einer Kunstaktion aus dem Vorjahr stehen: einer Karte von Orten mit Kolonialvergangenheit, die Sie unter www.tearthisdown.com online gestellt haben. Was genau ist vorgefallen?

Pseudonym 1: An einem Morgen im Juli, um 6 Uhr 45, standen bei mir Polizeibeamte vor der Tür. Gepanzert, komplett vermummt und bewaffnet. Ich war noch gar nicht richtig wach und wusste zunächst nicht, was sie von mir wollten. Dann bekam ich einen Durchsuchungsbeschluss in die Hand gedrückt, und irgendwann verstand ich: Es ging um die Kolonialismus-Karte, einer Aktion aus dem Vorjahr.

Was genau geschah bei Ihnen zu Hause? 

Pseudonym 1: Die Hausdurchsuchung fand in Anwesenheit meiner Familie statt. Mein Partner und ich waren gerade dabei, unsere Kinder für die Schule fertig zu machen. Es war eine komplett überfordernde Situation. Ich hatte keinesfalls damit gerechnet. Auch unser Anwalt schätzte die Situation nicht so ein, dass durch die Aktion solch eine Art von Repression auf uns zukommen könnte. Nun wurde also mein Zimmer durchsucht, es wurden Aktenordner durchgeblättert, Kisten durchwühlt, mein Laptop wurde konfisziert. Nach etwas mehr als einer halben Stunde waren sie wieder raus.

Und Sie hatten Zeit, um die Situation zunächst einmal einzuordnen?

Pseudonym 1: Es hat eine Weile gedauert, bis wir Einsicht in die Polizeiakte bekamen, um dann erstmal herauszufinden, womit die Durchsuchung überhaupt begründet wurde.

Pseudonym 2, was spielte sich parallel dazu bei Ihnen ab? 

Pseudonym 2: Zu sagen, ich wäre überrascht gewesen, trifft es nicht annähernd. Um 7 Uhr 30 habe ich noch tief geschlafen und hörte plötzlich diese Flex an meiner Wohnungstür. In Unterhose lief ich hin, um fünf Polizeibeamt:innen, einem Staatsanwalt, einer Referendarin und einem verschreckten Schlüsseldienst die Tür zu öffnen. Die Maßnahmen haben sich über anderthalb Stunden bei mir in der Wohnung gezogen. Eine zehrende Situation. Sieben Personen stehen in deiner Wohnung, man geht gemeinsam alle Akten, alle Ordner, alle Schränke und Klamotten durch. Meinen Laptop haben sie mitgenommen. Im Anschluss sind wir gemeinsam in das Peng!-Büro gefahren, wo ich dann auch die Durchsuchung "betreut" habe. Drei sehr anstrengende Stunden insgesamt.

Deren Nachwirkungen vermutlich immer noch anhalten …

Pseudonym 2: Auf jeden Fall handelt es sich um eine Verletzung der Privatsphäre. Mittlerweile habe ich zwar einen Umgang damit gefunden, aber beispielsweise die Spuren an meiner Tür erinnern mich immer wieder an die Maßnahme.

Worauf fußten die Hausdurchsuchungen? 

Pseudonym 2: Die Akteneinsicht zeigte, wie dünn eigentlich die Beweislage ist. Überhaupt sind unsere Anwält:innen der Ansicht, was wir da gemacht hätten, eine Karte kolonialer Orte im öffentlichen Raum in Deutschland, sei nichts Strafbares. Vor diesem Hintergrund stellt sich unausweichlich die Frage, worum es bei den Ermittlungen wirklich ging. Allein die Verhältnismäßigkeit muss man sich anschauen: eine sehr dünne Beweislage, haltlose argumentative Ketten. Und es ist grundsätzlich fragwürdig, ob es überhaupt eine strafbare Handlung gibt. Der Verdacht liegt also nah, dass es darum ging, ein Strukturermittlungsverfahren bei Peng! durchzuführen. Das bedeutet, dass man unter einem Vorwand beziehungsweise mit fadenscheinigen Vorwürfen, Hausdurchsuchungen und andere Maßnahmen durchführt, um weitere Erkenntnisse über Strukturen zu gewinnen. Um zu erfahren, wer wie mit wem zusammenarbeitet. Das ist ein übliches Verfahren, auch in anderen Ermittlungen, beispielsweise von der Soko LinX in Sachsen.

Aber es muss doch eine sachliche Begründung gegeben haben, die die Maßnahmen legitimieren? 

Pseudonym 1: Die Kunstaktion rund um die Karte wird von der Staatsanwaltschaft als öffentlicher Aufruf zu Straftaten, zu Sachbeschädigungen ausgelegt. Konkrete Fälle von Sachbeschädigung an Denkmälern sollen die Ernsthaftigkeit des Aufrufs belegen. Wir haben in der Polizeiakte gelesen, um welche Orte es dabei geht und das Absurde ist: Die Hälfte der Orte wurde beschädigt, bevor die Website am 25. Juni 2020 überhaupt online gegangen ist, und von den übrigen ist ein Großteil auf der Karte gar nicht zu finden. Da sind also Beschädigungen von Denkmälern, die uns zugerechnet werden, wobei auf der Karte in Berlin gar keine Denkmäler eingezeichnet sind. Einige der Straßennamen sind ebenfalls nicht auf der Karte zu finden, Beschädigungen daran werden uns dennoch angelastet. Und überhaupt ist es abwegig, die Dekolonisierungsdebatte, die zu diesem Zeitpunkt bereits auf Hochtouren lief, ebenso wie den Aktivismus drumherum, rechtlich komplett uns zuzuschreiben. Die Karte ging online, einen Monat nachdem George Floyd umgebracht wurde. In diesem einen Monat sind in den USA schon über 50 Statuen abgerissen worden. Auch die Kritik an Straßennamen in Berlin gibt es schon viel länger als diese Karte.

Was werden nun die unmittelbaren Konsequenzen sein?

Pseudonym 2: Wir finden es krass, dass die Maßnahmen so spät, fast genau ein Jahr nach Launch der Karte, durchgeführt wurden. Die Unklarheit, was noch folgt und die Erfahrung, dass eine vermeintlich harmlose Aktion so verzögert derartige Folgen nach sich ziehen kann, sind eine dauerhaft belastende Situation. Es ist emotional schwierig, mit solchen Dingen abzuschließen.

Pseudonym 1: Die Repression und das Eindringen in die Privatsphäre müssen verarbeitet werden. Und zwar nicht nur von mir, sondern auch von meinem Partner und meinen Kindern, das kostet viel Energie. Trotzdem lassen wir uns nicht einschüchtern, sondern werden auf jeden Fall weiter politisch aktiv bleiben. 

Sind Sie als Peng!-Aktivisten in der Vergangenheit schon mit der Polizei aneinandergeraten? 

Pseudonym 2: Inhaltlich haben wir uns immer wieder mit der Polizei auseinandergesetzt: "Cop Map" ist 2018 beispielsweise eine solche Aktion gewesen, mit der wir uns mit dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz und Polizeibefugnissen beschäftigt haben. Natürlich hat es auch andere Berührungspunkte gegeben, sei es mit Polizeigewerkschaften oder Innenpolitiker:innen verschiedener parteilicher Couleur. Ebenso haben sich verschiedene andere Verfahren gegen Peng!-Aktionen gerichtet. Aber es ist die erste Hausdurchsuchung, die aufgrund einer Peng!-Aktion durchgeführt wurde. 

Pseudonym 1: Seit Jahren wird die Politkunst-Szene kriminalisiert. Gegen das Zentrum für Politische Schönheit wurde ermittelt wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung", und Adbusting-Kunstaktionen landen im Verfassungsschutzbericht. Bei der Adbusting-Gruppe "Dies Irae" gab es auch schon Hausdurchsuchungen – wegen ausgetauschter Werbeplakate! Der Staat hat Maß und Mitte verloren.

In der "Taz" hieß es, dass Sie sich nach Einstufung des LKA nun "eine Datenbank mit Rechtsterroristen, Islamisten und russischen Agenten" teilen. Das hat mehrfach Kritik geerntet - von dem Berliner Linken-Abgeordneten Niklas Schrader oder dem Journalisten Mohamed Amjahid. Können Sie die Bewertung durch die Behörden in irgendeiner Weise nachvollziehen? Sind Sie als Individuen und Peng! als Kollektiv hierin involviert? 

Pseudonym 2: Ich kann das nur aus meiner Sicht beantworten. Aus den Anfragen von Niklas Schrader und Martina Renner (Die Linke) geht hervor, dass wir nach Einschätzung des Bundesinnenministeriums von dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) besprochen wurden und es eine Speicherung im Vorgangsbearbeitungssystem des BKA gab. Das ist die Informationslage, viel mehr wissen wir nicht.

Das hört sich ungewohnt unpolemisch an. Bei unserem letzten Interview sagten Sie "Institutionen wie der Verfassungsschutz sollten am besten abgeschafft werden". 

Pseudonym 1 (lacht): Prophetisch, oder?

Hat sich an dieser Haltung etwas geändert oder haben die jüngsten Erfahrungen Sie bestärkt?

Pseudonym 1: Nein, sie hat uns noch mehr radikalisiert. 

Pseudonym 2: Es liegt wohl klar auf der Hand, dass wir Verfassungsschutz und Polizei weiterhin kritisieren und die Abschaffung des Verfassungsschutzes als eine sinnvolle Maßnahme erachten. Was in diesem konkreten Fall besonders streitbar ist: Es kam zu einem Austausch von Informationen beim GETZ. Da sitzen Verfassungsschutz- und Polizeibehörden zusammen. Das widerspricht eigentlich dem rechtsstaatlichen Trennungsgebot dieser. Und verdeutlicht, in welcher Art und Weise sich diese Behörden wegbewegen vom Rechtsstaat und undurchsichtige Befugnisse haben. Darüber hinaus kritisieren wir, dass Polizei und Justiz auf dem rechten Auge blind sind: NSU 2.0, das Halle-Attentat, rechte Chats bei der Polizei. Wenn man ins Verhältnis setzt, für welche "Lappalie", für welche Kleinigkeit wir dort besprochen werden, fragt man sich schnell, unter welchen Vorzeichen die Prioritätensetzung steht. 

Pseudonym 1: Und wie schon im letzten Interview gesagt: Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft, weil er Nazistrukturen aktiv mit aufgebaut und finanziert hat. Den NSU und andere Nazistrukturen hätte es ohne den Verfassungsschutz in dieser Form womöglich nicht gegeben.

Sowohl der Wunsch nach Abschaffung des Verfassungsschutzes als auch der Aufruf zum Sturz kolonialer Denkmäler sind tendenziell destruktive Strategien. In welcher Form wäre ein konstruktives Miteinander beispielsweise in der Restitutionsdebatte oder in der Debatte zur Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit für Sie denkbar? 

Pseudonym 2: So destruktiv sind diese Aktionen und Parolen gar nicht. Wir haben in der Vergangenheit immer versucht, Utopien zu entwickeln. Die Utopie bei der Abschaffung des Verfassungsschutzes und von Geheimdiensten im Allgemeinen bedingt die vorangestellte Frage: "Wie könnte die Gesellschaft aussehen, die nicht so ein undurchsichtiges Netzwerk hat und unsere Privatsphäre einschüchterungsbasiert überwacht?" Das Gleiche gilt auch für den Umgang mit kolonialen Orten. Wie wäre denn eine Welt, in der nicht an allen Straßenecken in Deutschland koloniale Verbrecher geehrt werden?

Die Seite heißt nun aber nicht "Reflect your past" oder "Rethink Streets", sondern "Tear this down".

Pseudonym 1: "Reflect your past" adressiert in diesem Kontext die weiße Mehrheitsgesellschaft, die ihre Dominanzkultur reflektieren soll. Es geht aber eben nicht darum, darauf zu warten bis die Mehrheitsgesellschaft sich endlich mal fertig reflektiert hat, sondern man wartet nicht mehr. Weg damit! Und zwar sofort!

Wo bleibt da die Konstruktivität?

Pseudonym 2: Da sind wir wieder bei den Organisationen, mit denen wir kooperieren. Seit Jahren zeigen diese Initiativen auf, wie man einen Umgang damit finden kann. Da geht es um kritische Auseinandersetzungen an den Orten, Interventionen mit künstlerischen Methoden oder faktische Umbenennungen. Diese Formen des Perspektivwechsels sind unserer Meinung nach sehr sinnvoll und unterstützenswert, sie müssen nur die nötige Aufmerksamkeit bekommen. 

Pseudonym 1: Daran schließt sich die Restitutionsdebatte beinahe nahtlos an ...

Pseudonym 2: Absolut! Seit Jahren gibt es die Debatte um die Rückführung von im Kolonialismus geraubten Kulturgütern. Dennoch entsteht 2021 mit dem Humboldt Forum inmitten von Berlin ein Ort, an dem sie ausgestellt werden, anstatt sie zurückzugeben. Wo der kolonialen Verbrechern nochmals in expliziter Form gedacht und Ehrung zuteil wird. Man findet man kaum Worte dafür, wie absurd das ist. 

Wenn man keine Worte mehr findet, lässt man also Taten sprechen?

Pseudonym 2: Unsere Aufgabe besteht hierbei, diesen Themen zu Sichtbarkeit zu verhelfen. Dass sie eine Greifbarkeit bekommen. Da geht es eben nicht nur um eine M-Straße  in Berlin-Mitte oder um die Wissmannstraße, sondern man muss mal die deutschlandweite Dimension sehen und in Verhältnis setzen.

Der Grüne Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger in Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich im vergangenen Jahr in der Diskussion um den Olympiapark dafür ausgesprochen, Denkmal-Kontrapunkte zu setzen. "Die Löschung von Artefakten macht Geschichte nicht ungeschehen", hieß es dazu in Monopol. Wie positionieren Sie sich dazu? 

Pseudonym 1: Man muss diese kolonialen Denkmäler nicht unbedingt löschen, sie sollen nur aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Man könnte sie beispielsweise in das dann leer gewordene Humboldt Forum stellen. Eine Ausstellung zum deutschen Umgang mit der eigenen kolonialen Tätervergangenheit. Das wäre doch angemessen.