Zwei Frauen auf der Küchenbank. Pepi (Carmen Maura) lässt sich von Luci (Eva Siva) Strickunterricht erteilen. Szenegirl Pepi, Anfang 20, ist Mitglied der Madrider "Movida", der großen kulturellen Befreiungsbewegung, die seit Ende der 1970er und der Franco-Diktatur das Gesicht Spaniens verändert. Luci ist praktisch ihr Gegenteil, eine biedere Hausfrau. Es gibt Streit und Pepi sticht Luci mit der Stricknadel. Das gefällt ihrer 20 Jahre älteren Lehrerin, die nur aus diesem Grund einen Polizisten geheiratet hat: "Ich dachte, der würde mich wie einen Hund behandeln. Von wegen! Er behandelt mich wie seine Mutter". Dann klingelt's, Pepis Freundin Bom betritt die Küche, kneift in den Arm der reifen Luci, zeigt sich beeindruckt ("40-jährig und schlaff, genau wie ich's mag") und schickt sich an, Luci ins Gesicht zu pinkeln. Luci gefällt's. "Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón" (1980), das pompös-unterhaltsame Filmdebüt des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar wurde nie auf Deutsch synchronisiert, aber schon von seinem zweiten Film "Labyrinth der Leidenschaften" an änderte sich das. "Labyrinth", durch den nicht zuletzt Antonio Banderas weltbekannt wurde, war bereits ein internationaler Erfolg.
Während die meisten Medien die ersten Laufversuche Almodóvars und seines schrägen Personals mit Unverständnis begleiteten, "gab es damals doch bereits ein paar Meinungsmacher, die mir weiterhalfen", erinnerte sich der Regisseur später. "Vielleicht wussten sie nichts über spanisches Kino, aber sie hatten schon mal einen Andy-Warhol-Film gesehen." Der Cut zu der vorangegangenen Generation von Filmemachern war radikal, ein Wissen um Strategien bildender Kunst half beim Verständnis.
Das Chaos in den frühen Almodóvar-Filmen kann tatsächlich überwältigend sein. "Unter Franco hatte 40 Jahre Stillstand geherrscht, und jetzt musste alles nachgeholt werden, und zwar sofort", erklärte Juan Gatti, langjähriger Art Director von Almodóvar, einmal im Monopol-Interview. "Es kam alles auf einmal: die Hippiebewegung, Punk, New Romantics, New Wave, Existenzialismus, Disco, Hedonismus. Die entsprechenden Typen finden sich ja auch in Pedros Filmen. Schauen Sie sich seine Charaktere an: Schwule, Transvestiten, Prostituierte, die Mutter ist gerade gestorben, der Vater war nie da, sie haben Aids, Krebs, Autounfälle, meist bündelt sich das alles in einer einzigen Person!"
Ich möchte eine Chica Almodóvar sein
Neben der Ausstattung und dem Look, die Gatti den Filmen gab, waren es vor allem die überladenen Handlungen und das charismatische weibliche Personal, das Almodóvars Filme so neu und so aufregend machte. Die Chicas Almodóvar wurden sprichwörtlich: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (so auch ein Titel eines Almodóvar-Films), Frauen wie Pepi, Luci und Bom, Darstellerinnen wie Penélope Cruz, Carmen Maura, Victoria Abril oder Cecilia Roth, Frauen, die zupacken, während die Männer nur passiv durchs Bild schleichen, laute Frauen, queere Frauen, schicksalbeladene, geheimnisumwitterte, solidarische Frauen.
Frauen, die den Neid der Männer auf sich ziehen: "Yo Quiero Ser una Chica Almodovar" – Ich möchte eine Chica Almodóvar sein, sang der spanische Liedermache Joaquín Sabina 1992, "ein bisschen schlau, ein bisschen dumm", die in jedem "Hafen einen Liebhaber" haben und nicht aufhören, "vom Winter in den Sommer zu reisen". Almodóvar und seine Darstellerinnen haben ein Rollenmodell geschaffen für ein demokratisches Spanien.
"Pedro Almodóvar ist nicht nur der größte und einflussreichste spanische Regisseur seit Buñuel, er ist ein Filmemacher, der uns die facettenreichsten, kontroversesten und provokativsten Porträts des Post-Franco-Spaniens geliefert hat", mit diesen Worten überreichte Alberto Barbera, Direktor des Filmfestivals von Venedig, dem Spanier 2019 am Lido den Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Tatsächlich waren Filme wie "Fessle mich!" (1990), "Alles über meine Mutter"(1999), "Sprich mit ihr" (2002), "La mala educación - Schlechte Erziehung" (2004) oder "Volver" (2006) Instant-Klassiker, kein anderer Filmemacher und Drehbuchautor steht so sehr für das spanische Kino, noch heute.
In diesem Jahr endlich der Goldene Löwe
Almodóvar hat sich mit seinem Bruder Agustín und der gemeinsamen Produktionsfirma El Deseo auch wirtschaftlich unabhängig gemacht, um seine künstlerischen Visionen zu verwirklichen. Und es läuft wie am Schnürchen: 23 Spielfilme und Dutzende Kurzfilme hat er abgeliefert, viele Projekte sind noch in der Pipeline. Ein bisschen fließbandhaft mag das langsam wirken, als habe jemand seine Formel längst gefunden und repetiere sie im Dauerbetrieb. Almodóvar als queere, hispanisierte Version von Woody Allen?
So weit ist es zum Glück noch nicht - noch immer strotzt der Oscar- und Golden-Globe-Preisträger vor Ideen. 2021 wurden die Filmfestspiele von Venedig mit Almodóvars "Parallele Mütter" eröffnet, ein Melodram mit Penelope Cruz als erfolgreiche Fotografin, die Monate nach ihrer Entbindung feststellen muss, dass ihr Baby in der Geburtsklinik mit dem Säugling eines jugendlichen Vergewaltigungsopfers (Milena Smit) vertauscht wurde. Ein "medizinisches Problem" und seine sozialen und emotionalen Implikationen verhandelt Almodóvar auch mit seinem neuen Film, der am 24. Oktober in die Kinos kommt: "The Room Next Door". Der Regisseur, der erstaunlicherweise nie zuvor im Wettbewerb eines A-Festivals einen Preis gewann, war wohl einfach an der Reihe: Ihm wurde für seinen ersten englischsprachigen Film der Goldene Löwe des diesjährigen Festivals zugesprochen.
Das Melodram um zwei Frauen, die ein Ferienhaus beziehen, damit die eine (Tilda Swinton) in Ruhe und Abgeschiedenheit sterben kann, während die andere (Julianne Moore) sie in den letzten Lebenstagen trostreich unterstützt, ist brillant gespielt und elegant (von Almodóvar) geschrieben. Wenn, ja wenn sich nur die plakative Ästhetik – Farben und Kompositionen wie von Edward Hopper abgemalt – nicht so unangenehm mit dem politischen Anliegen des Regisseurs beißen würde.
Almodóvar outete sich auf der venezianischen Pressekonferenz als entschiedener Verfechter des selbstbestimmten Sterbens und erinnerte daran, dass es in seiner Heimat Spanien seit 2021 legal sei. In Deutschland ist das nicht der Fall und "Euthanasie" als verschleiernder Begriff für den Mord an etwa 216000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen zwischen 1933 und 1945 auch kein harmloses Wort. Martha (Swinton) besorgt sich eine Todespille im Darknet, um mit dem Gift ihren sicheren Tod an Gebärmutterhalskrebs zu verkürzen, während sie dafür sorgt, dass auf Ingrid (Moore) kein Verdacht der Mitwisserschaft fällt. Nach dem Todesfall kriegt Ingrid dann aber doch Ärger mit einem Polizisten, der Marthas Freundin wegen Beihilfe zum Suizid drankriegen will. Der sture Beamte ist die einzige negativ gezeichnete Figur des Films – und die eingleisige Argumentation damit ziemlich offensichtlich. Palliativmedizin wird in "The Room Next Door" nicht einmal am Rand erwähnt.
Vielleicht hat sich die Mostra-Jury um Isabelle Huppert mit dem Hauptpreis einfach mal verhoben. Sehen wir es positiv: Hoffentlich dreht der spanische Altmeister, der heute 75 wird, noch eine ganze Reihe von Filmen, mit denen er seinen problematischen jüngsten vergessen machen kann. Feliz cumpleaños, Pedro Almodóvar!