"Was bedeutet Fortschritt für dich?", fragt das kleine Mädchen mit der großen Brille und wechselt locker vom Französischen ins Englische, als die Unterhaltung stockt. Nach einigen Schritten durch die Ausstellungshalle übernimmt ein Teenager, dann eine Studentin, schließlich eine ältere Dame. Und während man sich über technischen Fortschritt, Nachhaltigkeit und die Sehnsucht nach Entschleunigung unterhält, denkt man gleichzeitig über die Lebensalter und den eigenen Weg durch die Zeit nach. "This Progress" (2010) ist eines der schönsten Werke von Tino Sehgal und ein angemessener Auftakt für seine große Präsentation im Palais de Tokyo diesen Herbst in Paris.
Was folgt, ist eine Tour durch Sehgals Greatest Hits, mitsamt Filmküssen in Zeitlupe ("The Kiss", 2002) und den singenden, tanzenden Schatten im Dunkeln aus "This Variation", die 2012 zum Publikumsliebling der Documenta 13 in Kassel wurden.
Das Prinzip Sehgal ist etabliert: Menschen statt Material, Begegnungen als Kunstwerke. Und im Palais de Tokyo zeigt er, dass er damit auch Riesenhäuser füllen kann, in einer komplexen Choreografie, die kein Vakuum entstehen lässt. Aber was kommt danach? Die Frage liegt nahe. Aber vielleicht muss ein Künstler nicht gleich mehrmals die Kunst neu erfinden.