Painting 2.0 ist keine Sonderfarbe in einem Farbsystem, obwohl es ein bisschen danach klingt. Und Painting 2.0 soll auch nicht das bezeichnen, was wir mit unseren Aufnahmen in Snapchat oder in den Stories auf Instagram anstellen, wenn uns das Foto selbst nicht genug ist und wir unbedingt noch Lustiges oder Informatives mit all den bunten Farben, Stickern und Emojis hinzufügen müssen. Das hätte Painting 2.0 zwar meinen können, wenn man in der Wikipedia unter Web 2.0 nachschlägt: Der Nutzer konsumiert nicht nur, "er stellt als Prosument Inhalte zur Verfügung." Soll es aber nicht. Zumindest nicht direkt.
Das machen die Kuratoren Achim Hochdörfer vom Museum Brandhorst in München, Manuela Ammer vom Museum moderner Kunst (mumok) in Wien und David Joselit in ihrer Einleitung im Katalog zur Ausstellung "Painting 2.0. Malerei im Informationszeitalter" deutlich. Es sei kein bloßer Zufall, schreiben sie dort, dass die Konjunktur zeitgenössischer Malerei mit der Explosion neuer digitaler Technologien und Medien zusammenfalle, vielmehr sei es die Fortsetzung einer Entwicklung, die bereits in den 60er-Jahren einsetzte. Weder Fernsehen noch Internet konnten der Malerei etwas anhaben, ganz im Gegenteil, die Massenmedien wurden ein Bezugspunkt. Und diese Geschichte der "Aneignungen und Transformationen von Medien- und Informationstechnologien in der westeuropäischen und nordamerikanischen Malerei", wie es die Kuratoren formulieren, erzählt die Ausstellung. Nacheinander an zwei Stationen und in einem fast 300-seitigen Buchprojekt.
Seit Juni ist die Ausstellung in Wien, die erste Station war das Museum Brandhorst in München. 230 Werke von über 100 Künstlern sind jetzt auf vier Ebenen zu sehen. Die Kuratorin Manuela Ammer vergleicht das quadratische Haus mit einem Sandwich, die verschiedenen Schichten ergeben ein Ganzes: Die Geschichte der immer wieder mal totgeglaubten Malerei von 1960 bis in die Gegenwart, deren Protagonisten sich bei den Massenmedien bedienten, auf sie reagierten und kunsthistorische Bezüge herstellten. In Kapitel 1 der Geschichte auf Ebene 0 geht es um "Geste und Spektakel", theoretischer Bezugspunkt ist Guy Debord mit seinem Buch "Die Gesellschaft des Spektakels". Kapitel 2 befasst sich auf Ebene 2 mit der "Exzentrischen Figuration" in Anlehnung an den Begriff der "exzentrischen Abstraktion" der Kunstkritikerin Lucy Lippard – das Thema ist Körperlichkeit in der Malerei. Auf die letzten beiden Ebenen ist das Kapitel "Soziale Netzwerke" verteilt, das nicht das Web 2.0 und diverse Online-Communities meint, sondern Warhols Factory, den Kapitalistischen Realismus, die A.I.R. Gallery, die Kölner Kunstszene der 80er und frühen 90er, Appropriation und Bildzirkulation.
Am Anfang der Ausstellung muss die Malerei es sich gefallen lassen, in die Tonne gekloppt zu werden – und das nicht nur sprichwörtlich. Am Anfang nämlich steht ein großer Müllcontainer. Voller bemalter Leinwände, die zerstört und entsorgt wurden. Für die Installation "Heavy Burschi" (1989-1990) hatte Martin Kippenberger seinen Assistenten Merlin Carpenter beauftragt Bilder zu malen, die sich auf Kataloge und Einladungen beziehen. Kippenberger fotografierte die Gemälde ab, reproduzierte sie als Fotografien in Originalgröße und machte aus den Originalen, was im Container gelandet ist. Die Malerei ist Tod, sie überlebt in Reproduktionen und dem, was von ihr übrig ist. Oder auch nicht, denn an die Stelle der Malerei an der Wand tritt mit der Fotografie ein anderes Medium. Das war Anfang der 90er Jahre. Die Malerei ist auch in den folgenden Jahren nicht durch die Fotografie ersetzt worden, wie die Ausstellung auf den vier Ebenen bildgewaltig zeigt. Und heute? In einer Zeit, in der mehr Fotos denn je gemacht werden?
Den Sprung in die Gegenwart macht ein Autor im Katalog unter dem Titel "Das Sextleben der Malerei". John Kelsey schrieb auf, wie es der Malerei in Zeiten von Instagram & Co ergeht, denn heute sehen wir oft zuerst ein Foto eines Gemäldes auf dem Bildschirm eines Displays, bevor wir es selbst an der Wand in einer Galerie oder in einem Museum sehen. Oft wird direkt von einer Vernissage oder schon morgens bei der Pressekonferenz ein Bild oder gleich eine ganze Story auf Instagram gepostet: Seht her, ich war schon da! Seht her, das habe ich gesehen! "Historische Meisterwerke ebenso wie Werke der Gegenwart blitzen in der luftigen und geschwätzigen Zeit des Selfies und der Twitter-Meldungen kurz auf, wobei die durchschnittliche Lebensdauer eines Bildes etwa zehn Stunden beträgt", schreibt John Kelsey, deshalb müsse die Malerei sich ständig erneuern. "Die Malerei existiert heute vorwiegend auf Bildschirmen respektive für Bildschirme", konstituiert John Kelsey. Und spricht etwas aus, das nicht nur für die Malerei gilt beziehungsweise man nicht nur der Malerei zum Vorwurf machen kann. Wer einmal etwas ausführlicher das Hashtag #berlinartweek2016 auf Instagram durchsieht, begegnet immer wieder zwei Arbeiten. Der Installation von Chiharu Shiota in der Galerie Blain Southern und der Performance "Angst II" von Anne Imhof im Hamburger Bahnhof. Bei der einen nimmt ein Netz aus roten Fäden den Raum ein, bei der anderen ist die Sicht vernebelt, Personen sind nur schemenhaft zu erkennen, über allem liegt ein Schleier.
Die Fotos sind hübsch anzusehen, keine Frage. Die Kunst? Die ist Kulisse. John Kelsey beschwert sich in seinem Essay noch ein bisschen darüber, dass Kuratoren und Kuratorinnen auf Instagram abhängen und sich Ich-PR mit Privatleben mit Dienstlichem (Museums- und Atelierbesuche, Dienstreisen) vermischt. Das gefällt ihm nicht, das ist ihm zu Mainstream. Malerei auf Instagram muss es sich gefallen lassen, eine Nebenrolle auf Fotos zu spielen, angeschnitten zu werden, damit noch etwas anderes Platz hat und mitkommuniziert werden kann, selbst wenn die Fotos von Künstlern stammen. Malerei in der Lifestyle-Oase Instagram ist ein Accessoire unter vielen. "Die Malerei wird hier im Sinne Agambens 'profaniert', auf die Eben des alltäglichen Gebrauchs heruntergeholt, wo sie nun angesichts einer geschrumpften, dafür aber flexibel gewordenen kapitalistisch-realistischen Gegenwart um ihr Leben kämpft ... etwas, das ihr natürlich bestens 'gefällt'', schreibt Kelsey weiter. Und tatsächlich: Im Web 2.0 sind Gemälde etwas, das man im wörtlichen Sinne verwenden kann, auf das man zurückgreifen kann, wenn man sich mitteilen möchte. Die Seite Classical Art Memes auf Facebook beispielsweise hat knapp 3 Millionen Follower, die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich. Auf Instagram sind es 66.400 Follower. Das Erfolgsrezept ist denkbar einfach: Gemälde + flotter Spruch = viraler Hit.
Es müssen ja nicht immer Fotos von süßen oder verrückten Katzen sein. Und Probleme, die man einst nicht hatte:
Tumblr, Facebook und Instagram sind voll von Memen und Mashups die klassische Malerei und Gegenwart verbinden. @the_canvasproject schneidet Protagonisten aus Gemälden aus und setzt sie wie Anziehpuppen in eine neue Umgebung.
@zericiphone behandelt Gemälde wie Selfies, aus denen auch mal Unselfies werden können, indem Teile des Gesichts oder nur die Augen verdeckt werden.
Und @copylab bringt Konsumgüter, Fashion Statements und alles, was einem sonst so im Alltag und im Internet über den Weg läuft – wie Donald Trump – mit Malerei zusammen.
Das alles ist inhaltlich weit weg von der Ausstellung "Painting 2.0", die sich als eine historische Ausstellung versteht. Aber vielleicht sollte man, wenn man einen Titel wie "Painting 2.0" wählt und explizit Bezug nimmt auf das Web 2.0 auch einfach mal schauen, was aus der Malerei wird, wenn sie im Netz kursiert.