1993 verbrachte Harald Pulch einige Tage im Haus von Elfriede Fischinger in Amerika, um sie im Rahmen seiner Forschungsarbeit zur Werbefilm-Avantgarde über das Werk ihres Mannes Oskar Fischinger zu interviewen. Jetzt ist das Gespräch endlich zur Grundlage des Films "Oskar Fischinger – Musik für die Augen" geworden. Warum es so lange dauerte, wird nicht erklärt. Pulch arbeitete in den vergangenen Jahren als Filmdozent. Co-Regisseur Ralf Ott war bei ihm Student. Fischinger starb mit nur 66 Jahren im Januar 1967 in Los Angeles. Da hatte er den Film längst hinter sich gelassenen und widmete sich der Malerei.
In den 20er-Jahren drehte er, zunächst in München, später in Berlin, abstrakte Filme. Inspiration holte er sich beim legendären Walter Ruttmann, der in seinem Klassiker "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" geometrische Bilderfolgen integrierte, die sich im Rhythmus "der Musik der Großstadt" bewegten. Um sein Vorbild zu übertrumpfen, bearbeitete Fischinger direkt das Filmmaterial und schuf abstrakte Formen und Kreise, Striche und Quadrate, Blöcke und Linien, die er zur Musik tanzen ließ.
Heute gilt der ausgebildete Ingenieur als ein Vorreiter des Motion Designs und der Verwendung von Animationstechniken in der Werbung. Manche halten ihn gar für einen "Erfinder des Musikvideos". Man kann es sich kaum vorstellen, dass diese Form des "Absoluten Films" in der späten Stummfilmphase auch beim breiten Publikum hochgradig beliebt war. Und natürlich auch bei Künstlern: Neben Fischinger zeigten sich etwa Hans Richter oder László Moholy-Nagy interessiert, die Formen in Bewegung zu bringen. Sie beeinflussten mit ihren Experimenten Kurzfilme von Walt Disney, die berühmten "Silly Symphonies".
Streit mit Disney
Fischinger selbst arbeitete schließlich mit Disney an dessen "Fantasia", bis sich beide zerstritten, weil sein Beitrag zu gewagt geriet. Seine Witwe sitzt vor den abstrakten Malereien ihres Mannes und erzählt im hessischen Dialekt enthusiastisch von seinen ersten Versuchen, Bewegungen grafisch auszudrücken, von ihrer Ausbildung in der Offenbacher Kunstgewerbeschule, dem Zusammenkommen als Paar mit ihrem Cousin und die gemeinsame Arbeit an den seriellen "Studien".
Die über 80-Jährige hat ein gutes Gedächtnis, keine Station bleibt ausgelassen. Und sie trumpft mit einem Sinn für Anekdoten auf, wenn sie über die Emigration in die USA berichtet. Dabei gelang es den beiden, 42 wertvolle Gemälde mitzunehmen, deklariert als "Fischingers Haushaltsgut".
Hin und wieder holt die Befragte Originalzeichnungen oder Schablonen hervor, oder führt den Interviewer in das vollgestellte Studio ihres Mannes. Fischinger bastelte ausgiebig und benutzte eine Animations-Apparatur, die ähnlich einer Brotschneidemaschine von einem Wachsblock dünne Scheiben abschnitt und dabei mit Einzelbildschaltung aufnahm.
Gut gealterter Tanz der Quadrate
Er arbeitete auch an Spezialeffekten für Werbung und Kino, so etwa für Fritz Langs Ufa-Produktion "Frau im Mond". Trotz der Auftragsarbeiten, etwa der legendären Werbung für die Zigarettenmarke "Muratti" mit zu Ballettmusik durchs Brandenburger Tor marschierenden Zigaretten, waren es seine Arbeiten als Filmkünstler und Maler, die ihn antrieben.
Zu seinen relevantesten Produktionen zählen "Studie No. 8" (1932), ein aus Kohlezeichnungen erstellter Film, in dem weiße Formen auf schwarzem Grund tanzen, sowie das für MGM produzierte Werk "An Optical Poem" (1938). Eben weil sich Fischinger als Künstler definierte, hätte man sich gerne mehr Exkursionen gewünscht, die über die Einflüsse durch die konstruktivistischen Tendenzen von Bauhaus Auskunft geben, oder Fischingers Interesse für Mystizismus behandeln. Auch sein Beitrag zur Entwicklung der Op Art bleibt unerwähnt. Dafür bekommt man die seltene Gelegenheit, 90 Jahre später seinen gut gealterten Tanz der Quadrate, Dreiecke, Kreise und Linien zu genießen.