Kunst in Apps und im Internet

6 Online-Ausstellungen, die Sie nicht verpassen sollten

Alexandra Pirici & Jonas Lund "Year 01" (2020)
Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Künstler*innen 

Alexandra Pirici & Jonas Lund "Year 01", 2020

Online-Ausstellungen sind nur ein schlechter Ersatz für das wahrhaftige Erlebnis von Kunst? Von wegen! Kunst im Netz ist längst ein eigenes Format und wird nicht mehr so schnell verschwinden. Hier eine aktuelle Best-of-Liste

Eine der großartigsten Erfahrungen des modernen Lebens sei, Filme im Dunkel zu schauen, alleine, twitterte kürzlich der Kunstkritiker Jerry Saltz. Und fragte, was man selbst für eine großartige Erfahrung halten würde. Ich antwortete: Eine der großartigsten Erfahrungen des modernen Lebens ist, Online-Ausstellungen anzuschauen, nicht alleine.

Eigentlich hätte ich hinzufügen müssen: auf der Couch. Denn das sollen wir ja gerade alle machen, zu Hause auf der Couch sitzen, Kontakte einschränken, geduldig sein. Da Museen also gerade geschlossen sind, besuche ich noch mehr Online-Ausstellungen als sonst. Und damit meine ich nicht, die Dokumentation einer Ausstellung in Form von Jpegs auf einer Website. Das ist zwar auch irgendwas, aber keine Online-Ausstellung. 

Apps, das dachte man lange, seien tot. Denn warum sollte man auch eine App programmieren, befüllen und updaten, wenn das auch alles auf eine Website kann? Apps sind jetzt aber plötzlich das große Ding, wenn es darum geht, online eine künstlerische Arbeit (Acute, Judy Chicago, Olafur Eliasson, Friedrich von Borries) oder eine Ausstellung zu launchen. Vor ein paar Monaten habe ich mich darüber beklagt, dass Kriterien zur Bewertung von Online-Ausstellungen und digitaler Kunst fehlen. Häufig wird sich etwas angeschaut und dann sagt jemand, im Zweifel ein Kritiker oder eine Kritikerin, hmm, ja, also, nee, da gehe ich dann lieber doch in ein Museum oder eine Galerie. Fair enough, das kann man ja lieber mögen, aber man könnte vielleicht auch Online-Ausstellung als ein eigenes Format sehen, denn die werden so wenig wieder weggehen wie das Internet. 

Hier ein kleines Best of an Online-Ausstellungen, die man gesehen haben sollte: 

"FitArt – Connected in Isolation", Roehrs & Boetsch

Die Galerie Roehrs & Boetsch in Zürich hätte ihre Online-Ausstellung "FitArt" auch einfach auf Instagram teilen können, da es sich um 14 Videos à 30 Sekunden handelt. Eigentlich perfekt für Instagram oder TikTok, würde man meinen. Die Galerie aber nimmt das Format Online-Ausstellung ernst und hat sich deshalb mit der gleichnamigen App "FitArt" einen eigenen Ausstellungsraum im Internet geschaffen. Fitness-Apps mit Workout-Programm gibt es wie Sand am Meer, und genau daran lehnt man sich an. Wenn man die App öffnet, kann man direkt das siebenminütige Workout-Programm starten. Drei, zwei, eins, los geht's. Ich weiß nicht, ob man sich in einem Museum oder einer Galerie sportlich betätigen würde, wenn man sich die folgenden 14 Videos dort anschauen würde, zu Hause jedenfalls kann man das machen.

Oder eben auch nicht. Ich bin bisher lieber gemütlich auf meiner Couch sitzen geblieben. Netzkünstler*innen wie Olia Lialina, Molly Soda, Petra Cortright, JODI und Jeremy Bailey denken über Technologie, Überwachung, Daten und Identität nach, während man selbst mit ihnen durch die Gegend hüpfen kann. Wer jetzt sagt, da gehe ich lieber ins Museum, der macht wahrscheinlich einfach keinen Sport. Oder versteht nicht, dass der digitale Raum in einigen Fällen tatsächlich der geeignetere Ort für eine Themenausstellung ist. 


"e-XHIBITION", Andy Picci

Das ist auch bei der digitalen Ausstellung "e-XHIBITION" von Andy Picci so. Sein Thema ist die Isolation. Er bespielt einen White Cube, den man über einen AR-Filter auf Instagram betritt. Man kann sich tatsächlich durch den Raum bewegen, näher an die einzelnen Arbeiten herantreten und von Werk zu Werk laufen. Man ist in einer klaustrophobischen Situation gefangen, statt der Außenwelt, sieht man immer wieder die eigenen vier Wände: Wenn sich ein Fenster öffnet oder wenn das Gesicht des Künstlers überdimensional vor einer Wand schwebt. Tritt man näher, sieht man nur die eigene Wohnung, in der man sich von der Außenwelt isoliert. Das Statement "Alone Is The New Cool" gleitet als Textinstallation durch den Raum und wirkt wie ein Appell, durchzuhalten, so bedrückend die Situation auch sein mag. 


"Well Now, WTF?", Silicon Valet

Ok, verdammt, was jetzt? Eine verdammt gute und legitime Frage, die sich in den letzten Monaten sicher jeder mindestens einmal gestellt hat. Faith Holland, Lorna Mills und Wade Wallerstein haben zu dieser Frage (Well Now, WTF?) eine Online-Ausstellung zusammengestellt, die Anfang April online gegangen ist und einen Monat später um 40 weitere Arbeiten ergänzt worden ist. Der Ausstellungsort ist eine Website, es gibt verschiedene Themenräume wie "The Clean Room" und "Bed of Nails", zu sehen sind Gifs und Videos, frühe Netzkunst und aktuelle Arbeiten. Die Ausstellung wurde in den internationalen Medien wie dem "New Yorker", der "New York Times" und dem "Observer" rauf- und runterbesprochen, weil hier Künstler*innen mit Arbeiten vertreten sind, die für das Internet gemacht worden sind und die so chaotisch, bunt und schnell sind wie das Internet selbst. Wer kein Faible für Internetästhetik hat, könnte sich die Ausstellung trotzdem anschauen. Im Museum spart man sich die Impressionist*innen ja auch nicht, nur weil man schon genug Impressionismus in seinem Leben gesehen hat. 

"We=Link: Sideways", Chronus Art Center, Shanghai

Die Gruppenausstellung "We=Link: Sideways", kuratiert von Zhang Ga, umfasst drei Jahrzehnte Netzkunst und erzählt damit auch die Geschichte der Netzkunst von den 1990er-Jahren bis heute. Man klickt sich durch die einzelnen Ordner auf der Website, die zuerst zu Texten und dann zu den einzelnen Arbeiten führen. Ein Highlight ist das Web-Game "The Internet.click" von Jonas Lund, die Aufgabe ist denkbar einfach: Man muss die Logos der Internet-Unternehmen wegblicken, bevor sie den Boden erreichen, um Werbung zu vermeiden. 

The Art Happens Here, Annka Kultys

Warum nur eine Online-Ausstellung zeigen, wenn man auch eine ganze Serie daraus machen kann? Unter dem Titel "The Art Happens Here" zeigt die Londoner Galerie Annka Kultys auf ihrer Website Einzelausstellungen von Künstler*innen, die im Internet zu Hause sind wie Ben Elliot, Gertruda Gilyte, Bill Posters und Ziyang Wu. Es geht um Selbstdarstellung, Selbstoptimierung, Deepfakes, Algorithmen und Künstliche Intelligenz. Ja, die Präsentationsform ist klassisch und einfach, Video auf Website, aber für die Präsentation von Videos reicht das auch, wenn der Fokus auf der Arbeit liegen soll. 

"Year 01", Alexandra Pirici & Jonas Lund

"Year 01" setzt genau da an, wo wir uns gerade befinden: inmitten einer globalen Pandemie. Bilder gibt es nicht, nur Text, der Spieler entscheidet permanent ständig selbst, wie die Geschichte weitergeht. Nachdem man also erfahren hat, dass eine Pandemie zum Stillstand des öffentlichen Lebens geführt hat, wird man selbst zum Protagonisten. Achtung: Spoiler! Es ist Anfang Mai, Dienstagvormittags, man wacht in seiner Einzimmerwohnung auf und muss entscheiden, ob man das Telefon in die Hand nimmt oder doch lieber noch zwei Minuten im Bett liegen bleibt. Ich bleibe liegen. Jetzt denke ich daran, wer zuletzt neben mir im Bett gelegen hat und mache dann noch einmal zwei Minuten Pause. Die Wartezeit beträgt nun tatsächlich zwei Minuten, bevor es weitergeht. Essen wird vor die Türe geliefert, die wöchentliche Ration Lebensmittel. Ich muss mich entscheiden, ob ich alles mit reinnehme oder erst die beiden Taschen und dann die beiden Boxen. Ich nehme alles mit in die Wohnung. Und irgendwie habe ich wohl die falsche Entscheidung getroffen, denn ich putze nun den ganzen Tag wie besessen und soll deshalb das Spiel wieder von vorne beginnen, wenn ich möchte. 

Diese Ausstellung ist natürlich nichts für Leute, die ungern Entscheidungen treffen oder sowieso schon gestresst von der täglichen Flut an Messages auf ihrem Smartphone sind.