Jahresrückblick

Olympia lachte über Breakdancerin Raygun - vielleicht gehört sie in die Kunst?

Die Australierin Rachael Gunn, bekannt als B-Girl Raygun, während des Round Robin Battle bei Olympia in Paris
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Die Australierin Rachael Gunn, bekannt als B-Girl Raygun, während des Round Robin Battle bei Olympia in Paris

Bei den olympischen Spielen von Paris wurde die australische Breakdancerin Rachael Gunn für ihren exzentrischen Auftritt von der Jury abgestraft und im Netz verspottet. Betrachtet man ihren Stil jedoch als Performancekunst, ergibt er erstaunlich viel Sinn

Celine Dion auf dem Eiffelturm, ein schwebender Feuer-Ballon in den Tuilerien und das vermeintliche queere Abendmahl bei der Eröffnungsfeier: Einige der Bilder des Jahres 2024 stammen sicherlich von den olympischen Sommerspielen in Paris. Auch einige Sportlerinnen und Sportler wurden durch ihre Auftritte nebenbei zu Stilikonen bei Social Media: die eiskalte koreanische Sportschützin Kim Ye-ji zum Beispiel oder der schwedische Stabhochspringer Armand Duplantis. Die Rekord-Turnerin Simone Biles aus den USA war natürlich schon vorher die perfekte Symbiose zwischen körperlicher und popkultureller Höchstleistung, stellte diesen Status jedoch noch einmal eindrucksvoll unter Beweis.

Und dann war da noch dieser Auftritt beim Breakdance-Wettbewerb der Damen, der in Paris sein olympisches Debüt feierte. In die Arena trat am 9. August eine Australierin mit dunkelgrün-gelbem Trainingsanzug und passender Basecap, die ihre ganz eigene Choreografie mitgebracht hatte: inklusive schlangenartigen Bodenelementen, expressiven Helikopterarmen, Wasserschlauch-Pantomime und kultigem Känguru-Move. Die Jury konnte Rachael Gunn alias Raygun damit nicht beeindrucken: Sie gab dem 37-jährigen B-Girl null Punkte und schickte sie bereits nach der ersten Runde des Wettkampfs nach Hause. 

Im Internet gelangte die Performance, die eher durch Exzentrik als durch atemberaubende Technik oder Athletik bestach, jedoch zu weltweitem Ruhm. Viele feierten Gunn für ihre Originalität, doch sie wurde auch angefeindet und mit Häme überschüttet. Zwischenzeitlich wurde sogar die Rechtmäßigkeit ihrer Olympia-Qualifikation in der noch jungen Disziplin Breakdance bezweifelt - wie sich herausstellte, zu Unrecht. Im November gab Raygun bekannt, dass sie ihre internationale Karriere beendet

Verhandelt da nicht jemand das Verhältnis zwischen irgendwas und etwas anderem?

Sie habe eine besonders künstlerische Darbietung abliefern wollen, sagte die Sportlerin nach den teils niederschmetternden Reaktionen. Und vielleicht liegt darin auch das Vermächtnis von Rachael Gunns Paris-Intermezzo. Denn betrachtet man ihre Auftritte eher als Performancekunst denn als Medaillenkampf, ergeben sie erstaunlich viel Sinn. 

Hinterfragt sie durch ihre Verweigerung von Perfektion nicht das erbarmungslose Leistungsdenken von Olympia, das Körper auf messbare Daten reduziert und mehr Verlierer als Siegerinnen hervorbringt? Liegt in der fast trotzigen Mimik nicht eine leise Kritik an der olympischen Verwertungslogik, die die Athletinnen vor allem als Unterhaltungs-Content zwischen den Werbepausen braucht? Bewegt sich da nicht jemand in einem Spannungsfeld, ist Grenzgängerin zwischen den Genres, verhandelt das Verhältnis zwischen irgendwas und etwas anderem? Und dann erst die Verweise auf die Tiere ihrer Heimat Australien: eine klare Ablehnung des Anthropozentrismus, die Känguru-Posen ein deutliches Bekenntnis zum "Mehr als Menschlichen", ein Plädoyer für die Begegnung der Spezies auf Augenhöhe. 

Mit ein bisschen Kuratorinnensprech-Begleitung könnte sich Raygun einen postolympischen Platz in der Kunstwelt ertanzen. Das ist ja das Angenehme an der Branche: Quereinsteigerinnen sind nichts Ungewöhnliches und gern gesehen. Und was bei der Bewegung an Technik fehlt, kann durch Ausdruck und Inszenierung mehr als wett gemacht werden. Ein gewisser Outsider-Status kann ebenfalls nicht schaden, wenn er klug genutzt und kontextualisiert wird. Ein paar Interviews mit moralisch zwingender und ökologischer Botschaft müsste Raygun vielleicht noch geben. Dann steht der Teilnahme an der Performa 2025 in New York eigentlich nichts mehr im Wege. 

@watchmojo The breakdancing game was never the same 😎 #raygun #olympics #paris2024 ♬ original sound - watchmojo