Von Lotti Fellner hat man noch nicht viel gehört. Und der Kunstraum New Home ist eigentlich eine Privatwohnung, in der auch Ausstellungen stattfinden. Es ist einer dieser tollen Zwischenorte, die nicht Galerie und auch nicht Projektraum sind - und es gibt wohl keinen besseren Ort, um diese kleine und wahrhaft feine Ausstellung zu präsentieren. Man ist hier unter sich. Bei Okka-Esther, Anne, Ilse und eben bei Lotti.
Die Geschichte, die man hier sehen kann, geht so: Ilse und Lotti, geboren 1926 und 1924, waren Nachbarinnen und Freundinnen in der Schweiz, in Aargau. Genau wie ihre Enkelinnen Anne Fellner und Okka-Esther Hungerbühler heute im Berliner Wedding. Als Kinder sind sich die beiden nie begegnet. Erst später, als sie selbst Künstlerinnen geworden sind, treffen sie sich und bemerken, welchen Einfluss Lotti auf beide hatte. Lotti Fellner hat in Lausanne und Nottingham Kunst studiert und zeit ihres Lebens gemalt und collagiert. Anfangs hat sie noch als Schaufensterdekorateurin gearbeitet, sich dann aber für die Kunst entschieden. Für einige Zeit lebt sie mit ihrem Mann, dem Facharzt für Psychiatrie Carl Fellner, in New York. Nach der Scheidung zieht sie zurück in das Haus ihrer Eltern in die Schweiz und Ilse wird ihre Nachbarin. Wann immer Okka-Esther bei ihr ist, besuchen sie Lotti.
"Kitschbilder" mit Pfauenfedern, Glitzer und Pailletten
Der institutionelle Erfolg, den ihr Vater, der Maler Otto Wyler oder auch später ihr Sohn Tom hatten, blieb ihr verwehrt. Lotti Fellner fuhr oft mit ihrem Vater in die Malferien. Nach Griechenland oder in die Provence. Lange hat sie figurativ gemalt, beginnt aber Mitte der 80er-Jahre mit Arbeiten, die sie augenzwinkernden "Kitschbilder" nennt. Da sieht man Pfauenfedern, Glitzer, Pailletten und eine ganze eigene bildnerische Sprache. Lottis letzte Arbeiten aus dem Altersheim sind filigran verspielte Aquarelle. Die meisten von ihnen hat sie verschenkt. Eines davon hängt heute in Okka-Esther Hungerbühlers Küche und auf dem Balkon, der zum Ausstellungsraum gehört, haben die beiden Künstlerinnen Lottis Lieblingsblumen aufgestellt: lila Stiefmütterchen.
Sie haben eigene Arbeiten zu den "Kitschbildern", von denen sie drei aus dem Lager in der Schweiz geholt haben, entwickelt. Okka-Esther Hungerbühler hat eine kleine Bank gestaltet, auf der drei Menschen Platz haben - als würde sie Anne und Lotti zum Zwiegespräch einladen, um gemeinsam die Ausstellung zu betrachten und sie in einer Konstellation zusammenzubringen, die es so nie gegeben hat. In einer wilden Petersburger Hängung haben sie ihre eigenen und Lottis Arbeiten an der Wand angebracht. Doch wenn man sich aufmerksam umsieht, dann findet man überall im Raum verteilt weitere kleine Objekte, die eine Anekdote zu Lotti beinhalten. Zum Beispiel ein schweres Mittelaltergewand, das Okka-Esther Hungerbühler oft zum Ausgehen angezogen hat. Für die Ausstellung hat sie gegoogelt und herausgefunden, dass es ein sehr teures Original ist. Jetzt hängt es auf einem Kleiderständer und erzählt von der besonderen Frau, die Lotti Fellner gewesen sein muss. Eine, die originale Gewänder aus dem Mittelalter an die Enkelin ihrer Freundin verschenkt, weil sie denkt, dass sie das gern haben könnte.
Die Arbeiten wirken wie Erinnerungen an einen Traum
Unterbewusst hat Lotti sich in die Arbeit von sowohl Okka-Esther Hungerbühler als auch von Anne Fellner eingeschrieben. Ähnlich wie Hungerbühler entwickelte Lotti Fellner eine ganz persönliche Symbolik in ihren Bildern. Die Hinwendung zum billigen Material kann man bei beiden sehen. Okka-Esther Hungerbühler klebt oft Sachen zusammen, bei denen man dann die Klebenähte sieht, sie nutzt die günstigsten Dekoartikel, lässt die Preisschilder dran und schafft es dennoch oder gerade deswegen, viele kleine Welten und Träume miteinander zu verzahnen. Wenn man sich die Zeitebenen anschaut, dann müssen die Bilder, die Lotti ab den 80er-Jahren bis zum Anfang der 2000er gemalt hat, diejenigen gewesen sein, die Okka-Esther, wenn sie zu Besuch war, gesehen hat. Manchmal hat Lotti ihr eine kleine Dose mit Glitzerpartikeln geschenkt, die sie dann wie einen Schatz nach Hause getragen hat.
Wo Okka-Esther Hungerbühler die Freude am banalen und billigen Material von Lotti übernommen hat, arbeitet Anne Fellner, zumindest auf den ersten Blick, übersichtlicher. Ihre Arbeiten wirken wie Erinnerungen an einen Traum, aus dem man gerade erwacht ist. Wie aus den Tiefen eines Sees steigen Fetzen von Geschichten und Landschaften auf und sind doch nie ganz zu greifen. Dabei geht es in der Ausstellung gar nicht darum, direkte Bezüge zwischen den dreien herzustellen, sondern vielmehr um eine warmherzige Hommage an eine bemerkenswerte Künstlerin.
Mehr wert als jede Großausstellung
Die Geschichte von Lotti Fellner ist eine von vielen Frauen, die es nie in den Kanon geschafft haben. Und allgemein eine von wahrscheinlich unheimlich vielen Künstlerinnen-Karrieren, die fast unbemerkt beginnen und wieder enden. Lotti hatte eine kleine Galerie in Aargau, in der sie ab und zu ausgestellt hat und die in den 90er-Jahren auch einen Katalog produziert hat, den man in der Ausstellung ansehen kann. Doch es gibt keine institutionellen Ausstellungen und kein groß angelegtes Werkverzeichnis. Dabei sieht man hier, dass es das vielleicht auch gar nicht unbedingt braucht, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Es ist eine Ausstellung darüber, dass man Vorbilder braucht, um sich zu trauen, bestimmte Ideen von Leben umzusetzen. Dieses Vorbild war Lotti für Anne und Okka-Esther.
Okka-Esther Hungerbühler hat ein weiteres kleines Kunstwerk mitgebracht, das sie als Achtjährige für ihre eigene Großmutter Ilse gemacht hat. Denn Ilse soll hier nicht vergessen werden. Sie ist so etwas wie das Scharnier, das Bindeglied zwischen Lotti und Okka-Esther und somit auch zwischen Anne und Okka-Esther. Die Arbeit ist eine runde Holzscheibe, die gelb angemalt ist, auf der sich Planeten tummeln und in deren Mitte in einer Schrift, viel zu präzise für eine Achtjährige, "Für Ilse" steht.
Und genau wie diese Ausstellung "Für Ilse" heißt, ist sie für Ilse und für alle Mütter und Großmütter und all die uns selbst meist unbekannten Einflüsse, die geprägt und den Mut gegeben haben, das zu tun, was man will. Hier kommen diese Einflüsse auf die schönste und wärmste Art zusammen. Und selbst ohne Lotti gekannt zu haben, kennt man sie nach der Ausstellung ein klein wenig und meint zu wissen, wie sie sich gefreut hätte, über all die Mühe und Liebe, mit der ihre eigene und Ilses Enkelin diese Ausstellung aufgebaut haben. Und wahrscheinlich ist das viel mehr wert als jede institutionelle Großausstellung.