Nicolas Warburg hat zehn Tage seiner Quarantäne im Luxushotel "Frankfurter Hof" abgesessen und währenddessen knapp Hundert kleine Kunstwerke mit Acryl und Fineliner auf Hotelpapier gebracht
Herrlich ist die Corona-Krise, wenn man sie nur für die wahren, schönen und guten Dinge zu nutzen weiß (und eine, klar, entsprechende soziale Absicherung genießt). Was der Pöbel ganz profan für sich im Kleinen entdeckt, das durfte Städelschüler Nicholas Warburg an einem der vielleicht schönsten Orte der Banken- und Börsenstadt am Main erleben: dem geschichtsträchtigen Frankfurter Hof, heute Mitglied der Steigenberger-Gruppe. Ein zunächst unglücklicher Zufall soll ihn zur künstlerischen Zwangsquarantäne im 5-Sterne-Haus genötigt haben. Dort, wo die Hotelvorratskammern immer reich gefüllt, die Federn frisch aufgeschüttelt sind, die Elendsrufe der Welt an den Fenstern abperlen und die Elendsdiskussionen aus dem Nachrichtenstream von dicken Teppichen geschluckt werden. Am Nachmittag klopft vielleicht der Zimmerservice mit einer Kanne frisch aufgebrühten Tees und einigen Snacks aus der Haus-Patisserie (Essensübergabe selbstverständlich kontaktlos). Nicht überliefert ist, ob Warburg auch zum Beispiel das Haus-Spa aufzusuchen pflegte – aber vermutlich war dies dem Infektionsschutzgesetz gemäß bereits außer Betrieb. Heute jedenfalls ist das Hotel, wie alle Hotels in Deutschland, für Übernachtungsgäste vorübergehend geschlossen.
Doch der Kunststudent hat gerade noch Glück gehabt, wie Galerist Christian Kölbl in einer Pressemitteilung zu berichten weiß: "Künstler-Quarantäne im Luxushotel" ist sie überschrieben, und erklärt wird dieser Umstand in schönstem banalen Detailreichtum so: "Warburgs Tante, die nicht in Deutschland lebt, musste wegen Corona kurzfristig ihren Flug nach Frankfurt stornieren. Ihre Buchung im Frankfurter Hof änderte sie auf den Namen ihres Neffen. Dieser verbrachte dort zwei Tage, als er einen Anruf von einer Freundin bekam, mit der er kurz vorher zusammen gewesen war und die positiv auf Corona getestet wurde. Nicholas Warburg ließ sich ebenfalls testen – mit dem gleichen Ergebnis. Da er gegenüber den Mitarbeitern des Frankfurter Hofs angab, er habe keine andere Unterkunft in der Stadt, blieb er insgesamt zehn Tage dort, ohne etwas zu bezahlen."
Phänomen Hotelpapier
Die Zeit soll sich das Mitglied des Künstlerkollektivs "Frankfurter Hauptschule" als zeitweilig im Hotel Gestrandeter mit, eben, Kunst verdingt haben: Neben Nachrichten schauen, aus dem Fenster blicken und im Internet surfen setzte er Impressionen und Emotionen "in Zeichnungen mit Fineliner und Acrylfarbe auf Hotelpapier um, was ihm bald zu allen Mahlzeiten mit vor die Tür gelegt wurde." Das atmet Geschichte, das hat Tradition: Die Geste des beschriebenen Hotelpapiers, die verbindet ihn mit den ganz Großen ihres Fachs, da zwinkert uns der Kippenberger freundlich zu, da schickt das Chelsea einen fernen Gruß aus der Vergangenheit (‚früher war mehr Lametta‘ scheint allerdings auch hier zu gelten; kein Gold und kein Prägedruck - selbst das Papier der Luxushotellerie unterliegt offenbar den universal gültigen Einsparzwängen).
Eine Auswahl des, so heißt es, knapp Hundert Arbeiten umfassenden Outputs aus dem Frankfurter Hof-Hausarrest sind nun in Kölbls Online-Galerie CK-Offspace zu sehen, einem 42 cm hohen Modell von einem Ausstellungsraum, der seit 2019 extra hierfür geschaffene oder hierauf angepasste Werke via Instagram präsentiert. Zuvor waren unter anderem winzige Skulpturen von Aline Schwörer zu sehen, jetzt zieren die mit rotziger Geste bepinselten Slogan-Papiere aus dem Frankfurter Hof die Galeriewände. Sie wurden eingescannt und dann nochmals in Miniaturformat ausgedruckt.
Damit ist die Frankfurter Hauptschule, die das Prinzip Insiderjoke aus der Kunstakademie-Klasse ja meist ganz klug an tagesaktuelle Themen anzudocken weiß, nun also auch im Corona-Modus angekommen. Gerade, als man doch einmal etwas anderes hören wollte als die nicht nur mahnenden, sondern manchmal auch etwas manisch erscheinenden Constructive Journalism-Gebote, die Durchhalteparolen und das Trotzdem der anschwellenden Imperative READ WRITE PAINT MAKE ART. STAY AT HOME, STAY HEALTHY, STAY CREATIVE.
So oder so ähnlich
Ins Narrativ vom gesellschaftlichem Mehrwert, den die Kreativen nun liefern sollen/dürfen/wollen, in die Diskurse über wichtige Kultur und fehlende Hilfen, über echte und empfundene Existenzängste, grätscht Nicholas Warburg stellvertretend fürs Künstlerkollektiv mit Arbeiten, die kaum weiter entfernt sein könnten von den mühevoll und detailreich angefertigten Kunstwerken und Kunsthandwerksarbeiten, die nun allerorten entstehen – stattdessen: in schwarzer Farbe aufgepinselte Parolen und Mikro-Zeichnungen, die natürlich vor allem der Erzählung wegen ihre Wirkung entfalten.
Doch leider, leider, ein einziges Foto nur gibt es aus der Edelquarantäne, ein Bild mit dem Titel "Arbeitssituation", und das taugt in Frankfurter Hauptschule-mäßiger Manier ebenso als Gerade-so-Alibi, wie es gleichsam gezielt gestreuter Hinweis auf dessen Quatschgehalt sein könnte: Warburgs Arbeiten auf Frankfurter Hof-Papier, im Anschnitt eine Tischleuchte, die mit ihrem silbernen Fuß und dem grünen Schirm doch ein bisschen anders anmutet als die Lampen im Luxushotel mit ihren gediegenen Gold-, Gelb- und Brauntönen.
Näheres Nachfragen erübrigt sich, will man kein Spielverderber sein (zudem: ein Haus dieses Ranges würde sicherlich die nötige Diskretion walten lassen). Ob die Geschichte so oder als Legende geschehen ist, spielt ohnehin eine untergeordnete Rolle: Wo sich aufs Schönste das Prekäre mit dem Geldadel vermischt und der Gossip aus der BUNTE-Überschrift mit der Autorität vermittelnden Ernsthaftigkeit aus dem Ausstellungstext, in der Kunstwelt also – könnte es hier eine schönere Sage vom Entstehen der Kunst in der Coronakrise geben als genau so? "FUCK YOU SUHRKAMP", "WARUM SEID IHR SO STOLZ DARAUF ALLE DASSELBE ZU SAGEN" und "ICH BIN NICHT AUF INSTA WEIL SICHTBAR SEIN SO MÜDE MACHT – PUMUCKL", lauten einige von Warburgs mit dem Pinsel skizzierten Notizen und Zeichnungen aus der Edelquarantäne. Nur das Hotelpapier war Zeuge, unter welchen Umständen sie genau entstanden sind.
Bis zum 09.05. unter instagram.com/ck_offspace/ zu sehen, im Anschluss Arbeiten von Jakob Argauer.