Eva O’Leary, wie stehen Sie aktuell zu Instagram? Sie führen eine On-Off-Beziehung mit der App.
Ich mache gerade wieder eine Pause, weil es sich für mich seltsam anfühlt. Meine Antwort auf Ihre Frage würde jede Woche anders ausfallen. Meine Beziehung zu Instagram verändert sich entsprechend meiner Gemütslage.
Wie stehen Sie denn heute zu Instagram?
Ach, es ist seltsam. Wie erkläre ich Ihnen das jetzt? Die Plattform verändert sich so stark. Ich bin in einer Kleinstadt in Amerika aufgewachsen, wo der soziale Zwang groß war, angepasst zu sein - mit Blick auf Geschlechterrollen und Schönheitsideale. Darum geht es in meiner künstlerischen Arbeit. Und seitdem lösen auch Situationen in mir etwas aus, in denen ich mich dem Druck ausgesetzt fühle, mich anpassen zu müssen. Der allgegenwärtige Perfektionismus bringt mich dazu, Erlebnisse und Gefühle aus meinem Leben teilen zu wollen, die weniger perfekt sind - Gefühle und Erfahrungen, die universell, aber mittlerweile ein Tabu sind oder geheim gehalten werden. Instagram verursacht etwas in mir.
Was denn?
In den vergangenen Wochen hat mich der Voyeurismus irritiert. Ich frage mich nämlich, warum mir Leute folgen. Ich frage mich, ob sie mich verurteilen oder ob sie nur darauf warten, dass ich scheitere. Das Gefühl werde ich bestimmt wieder los. Mir ist einfach aufgefallen, wie viel ich selbst von mir für andere zum Konsumieren verfügbar mache. Verletzlichkeit zu zeigen, ist wichtig. Manchmal mache ich mir Sorgen, dass ich mich zu verletzlich zeige. Für mich fühlt es sich befreiend an, wenn ich offen über meine Gefühle spreche, die ich andernfalls in einer dunklen Ecke meines Gehirns verstecken würde.
Was stört Sie an Instagram?
Mich frustriert der Perfektionismus. Und der Druck, sich ständig selbst promoten zu müssen.
Das machen Sie gar nicht.
Ja, und ich habe gerade das Gefühl, das könnte ein Fehler sein. Ich erzähle nicht von meinen Erfolgen oder was gut läuft, sondern was mich stresst. Ich fühle mich unwohl, wenn ich mich selbst promote.
Eine Pressemitteilung von Foam in Amsterdam machte mich auf Ihre Ausstellung "Happy Valley" aufmerksam, auf Instagram ist davon nichts zu sehen.
Genau. Es stresst mich, solche Dinge teilen zu müssen. Bei mir löst das Angst aus.
Ich kann Ihnen übrigens sagen, warum ich Ihnen folge. Ich mag Ihren Hund Agnes, mich beeindrucken Ihre Offenheit und Ehrlichkeit und mich interessiert Ihre künstlerische Arbeit. Da Sie auf Instagram nicht darüber reden möchten, erzählen Sie mir bitte mehr über Ihre Ausstellung "Happy Valley". Warum zieht es Sie für Ihre Projekte immer wieder in Ihre Heimat?
Ich glaube, es gibt eine Verbindung zwischen meinen Gefühlen hinsichtlich des Perfektionismus auf Instagram, dem Druck sich anpassen zu müssen und meiner Arbeit. Ich befasse mich in meinem künstlerischen Schaffen mit den Erfahrungen, die ich gemacht habe, als ich in dieser amerikanischen Universitätsstadt aufgewachsen bin. Meine Mutter ist Irin. Ich bin in Irland und Amerika aufgewachsen. Als ich kleiner war, ging es für mich immer hin und her zwischen den Kulturen. In Irland wurde ich wegen meines amerikanischen Akzents gehänselt und umgekehrt. Ich war sehr schüchtern und fühlte mich immerzu unter Druck, mich anpassen zu müssen. Deshalb habe ich versucht, in beiden Kulturen zu funktionieren. Deshalb bin ich mir auch der sozialen Normen überbewusst. Ich reagiere darauf sehr sensibel und habe gelernt, mich der Kultur um mich herum anzupassen.
Wie war es, in State College aufzuwachsen?
Ach, viel Party und Football. Als ich ein Teenager war, war es eine der Party-Universitäten. Es ist eine kleine Stadt, die Universität ist eigentlich die Stadt. Man kam ganz einfach auf Partys. Meine Freunde gingen viel feiern, sie haben mich schick gemacht und ich war plötzlich ein anderer Mensch. Ich hatte das Gefühl, dazugehören zu müssen. Es gab keine Optionen. Um in dieser Kultur zu überleben, musste ich mich den Standards anpassen. Das Wichtigste war, sexy zu sein. Selbst als ehrgeizige junge Frau schien es, als müsste man sich an strenge Schönheitsstandards halten.
Wie sehen Sie es heute?
Wenn ich heute zurückschaue und mir die Fotos von mir als Teenager ansehe, die ich jetzt auf Instagram teile, werde ich an diesen Druck erinnert. An den Druck, eine Person sein zu müssen, die ich letzten Endes nicht war. In meiner Arbeit geht es um die Fantasie, die diese Stadt projiziert. Ihr Spitzname ist "Happy Valley". Niemand dort ist alt, alle sind glücklich. Von diesem Image zehrt die Stadt. Aber als ich dort aufgewachsen bin, habe ich viele Probleme gesehen, die direkt unter der Oberfläche liegen. Ich sah, dass Leute wirklich verletzt wurden. In der amerikanischen Kultur gibt es Fantasien, die viele Probleme überdecken. Das ist für mich auch die Verbindung zu Instagram. Jeder erschafft seine eigene Realität. Niemand schaut unter die Oberfläche.
In Ihrer Serie "Spitting Image" haben Sie Teenagerinnen porträtiert, die wie Sie dort aufgewachsen sind.
Ich habe Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren fotografiert. Das waren für mich selbst die intensivsten Jahre. Ich habe sie durch einen Spiegel fotografiert, in dem sie sich gesehen haben. Sie haben also auf ihr eigenes Spiegelbild reagiert.
Wie haben die Mädchen auf die Fotos von ihrem Spiegelbild reagiert? Sie haben die Mädchen in einem scheinbar privaten Moment aufgenommen, ohne Filter und Photoshop.
Man trifft jemanden, lernt die Person kennen und man möchte dieser Person ein Foto geben, auf dem sie sich schön fühlt. Natürlich möchte jede Frau darauf schön und schlank sein. Ich habe Fotos gemacht, auf denen Teenagerinnen nicht den gängigen Idealen entsprechen, die Fotos selbst wiederum sollten gut aussehen - der blaue Hintergrund, die satten Farben. Ich habe allen Beteiligten die Bilder geschickt, und keine hat negativ reagiert.
"Spitting Image" ist das Gegenteil der Selfie-Kultur. Ihnen wurde abgeraten, als Frau andere Frauen zu fotografieren. Sie haben den Rat ignoriert.
Als ich mit dem Projekt begonnen habe, war ich gerade mit der Grad School fertig, ich kam aus einer ungesunden Beziehung und Trump wurde zum Präsidenten gewählt. Ich hatte das Gefühl, meine Persönlichkeit verloren zu haben und fuhr im Auto einfach quer durch das Land, um mich von Negativem zu reinigen. Im Anschluss an den Road-Trip habe ich mich entschieden, genau das zu tun, wovon mir abgeraten wurde. Ich wollte erst einmal nur Mädchen und junge Frauen fotografieren.
Für Instagram fotografieren Sie sich auch selbst.
Im Anschluss an meinen Road-Trip habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe mir einen zweiten Account angelegt und habe geschaut, was ich teile, wenn mir niemand dabei zusieht. Bis dahin dachte ich, dass ich mich nicht selbst zensieren würde. Ich habe mein Leben gefiltert und war offenbar sehr vorsichtig. Das gefiel mir nicht. Also habe ich das auf meinen richtigen Account übertragen.
In Ihrer Wohnung haben Sie ein Schild aufgehängt, auf dem steht: "Keep going. The problems start when you stop taking pictures." Sie sind ein unsicherer Mensch?
Jedes Projekt leitet sich von einer Frage ab, mit der ich zu kämpfen habe. Das ist meine Art, komplizierte und unbequeme Gefühle zu verstehen. Früher konnte ich mich nicht einmal selbst im Spiegel anschauen. Für mich war es während der Arbeit an "Spitting Image" schwer, die Unsicherheiten der Teenagerinnen zu ertragen. Ich wollte sie einfach nur in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass sie großartig sind und mit dem Zweifeln aufhören sollen.
Wie gehen Sie mit den eigenen Unsicherheiten um?
Es gibt zwei Dinge, die ich mir immer wieder sage: Glaube, dass deine Erfahrungen Dringlichkeit und Wert haben. Wenn Du etwas fühlst und es Dir unangenehm ist, es zu teilen, mach es, weil es anderen Menschen auch so geht. Das ist meine Aufgabe als Künstlerin. Wenn ich mir selbst helfe, helfe ich damit vielleicht auch anderen. Wenn ich eine Pause mache, fühle ich mich schrecklich.
Ja?
Sehr schlecht. Wenn ich aber an etwas arbeite, ist es das beste Gefühl. Das hält mich am Leben.