Sie haben vergangene Woche die Ausstellung "Nicht mein Ding – Gender im Design" eröffnet. Was war der Anlass für dieses Ausstellungsthema?
Es gibt aktuell sehr viele spannende Ansätze wie zum Beispiel Social oder Universal Design, die eher wie eine Art Kritik am Design zu verstehen sind und versuchen, implizit die Frage zu beantworten, wie wir zukünftig leben wollen. Wir möchten nun aber explizit auf Gender, eine soziale Kategorie, die uns alle betrifft, eingehen. Denn was man wahrnimmt, ist eine Ablehnung dieser Diskussion und dem Gender-Begriff gegenüber. Wir fragen uns: Wie kann das sein? Und was hat Gestaltung damit zu tun?
Was wäre Ihre Antwort?
Gestaltung umgibt uns überall und unmittelbar: Alles was nicht natürlich ist, ist gestaltet. Damit trägt Design auch immer eine soziale Kategorie in sich, die wir bewusst oder unbewusst wahrnehmen. Menschen formen Dinge und Dinge formen Menschen. Das, was wir gestalten, formt unsere Umwelt und die wirft es dann wieder zurück auf uns. Das funktioniert wie ein Wechselspiel, in das man durchaus auch mal intervenieren kann.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen ist die Auseinandersetzung mit Gender mittlerweile angekommen. "Im Design ist die Einbeziehung der Kategorie Gender allerdings noch immer fast ein blinder Fleck", schrieb Designtheoretikerin Uta Brandes 2017 in ihrer Publikation "Gender Design – Streifzüge zwischen Theorie und Empirie". Würden Sie dem zustimmen?
Es ist vermutlich sehr rentabel, Gender im Design gar nicht weiter zu bedenken und Strategien schlicht nicht zu verändern. Vergleicht man die 1950/60er-Jahre mit unserer heutigen Zeit, so sind unsere Rollen zwar wesentlich fluider geworden und lassen sich längst nicht mehr so sehr diesem binären Geschlechter-System zuordnen, doch spiegelt sich das in der Gestaltung von Alltagsprodukten kaum merklich wider. In manchen Bereichen ist die zweigeschlechtliche Trennung sogar verstärkt spürbar, zum Beispiel bei Spielzeug.
Diesen Aspekt machen Sie unter anderem mit der Fotostrecke „The Pink and the Blue Project“ der koreanischen Fotografin JeongMee Yoon deutlich, die die stereotype Gestaltung der Spielwarenindustrie zur Schau stellt. In welchen Bereichen schlägt sich die Reproduktion von diesen geschlechtlichen Klischees heute noch nieder?
Zum Beispiel in der Kosmetikbranche, Automobilindustrie oder bei den Haushaltsgeräten öffnen sich zwei völlig verschiedene Farb- und Formwelten. Wir sind eben gewohnt, dass ein Akkuschrauber so aussieht, wie er aussieht und denken, dass das "neutral" sei. Das heißt ja zunächst mal gar nicht, dass deswegen jemanden diskriminiert wird, uns geht es aber darum, zu verdeutlichen, dass es eine Rolle spielt. Oft ist es auch das Marketing, das das Design neben Form und Funktion auch schon von vornherein mitbestimmt oder Produkten übergestülpt wird.
Wie müsste denn ein geschlechtersensibles Design "für alle" heute aussehen?
Schön, dass Sie von "geschlechtersensibel" sprechen, denn ein neutrales Design kann es nie geben. Zu sagen, geschlechtersensibles Design müsse die Aspekte A, B und C erfüllen, ist leider nicht so einfach. Im Grunde genommen bedeutet es aber, dass man in die Gestaltung miteinschließt, in welchen Bereichen ihr Wirken relevant sein könnte und welche sozialen Rollen es dort gibt - und sie unter Umständen sogar aufzubrechen.
Gibt es denn konkrete Produkte oder Marken, die dieser Vorstellung eines klugen und geschlechtersensiblen Designs entsprechen?
Bosch beispielsweise fährt seit längerem eine sehr gendersensible Strategie – sowohl in ihren Produkten, als auch in ihren Unternehmensleitlinien. Ein konkretes Produkt wäre der Bosch IXO, das erfolgreichste Elektrowerkzeug der Welt. Er ist schnell zur Hand, klein und ergonomisch für jede Handgröße. Dazu bietet Bosch Aufsätze an: Er kann als Grillgebläse, Pfefferstreuer, Weinöffner, aber auch als kleines Schneidegerät genutzt werden. Die Bilder, die sie im Marketing einsetzen, unterstreichen, dass das Produkt für alle und sogar "für alles" da ist. Ein anderes innovatives Projekt ist die Stillbank des Designstudios 52hours, weil sie das Thema des Stillens im öffentlichen Raum buchstäblich in unseren Alltag holt und damit auch mit einem bisherigen Tabu zu brechen versucht.
Spielt Design also eine zentrale Rolle dabei, Gesellschaft wünschenswert zu verändern?
Ja, Design hat ein solches Potenzial und den innovativen Charakter, bestehende Lücken zu schließen. Man kann mit Gestaltung zu einem Diskurs beitragen, indem man sich von der abstrakten Ebene löst und Notwendigkeiten und Lösungen konkret am Objekt besprechen kann. Wünschenswert ist, dass Geschlechterstereotype nicht schon von Geburt an reproduziert und dann zu unhinterfragten Klischees werden. Wir glauben, dass Design diese Kraft hat, anhand von Gestaltung die Frage "Wie wollen wir leben?" zu diskutieren - und das wollen wir mit unserer Ausstellung. Diese Frage war schon am Bauhaus und an der Hochschule für Gestaltung Ulm aktuell und wird es immer bleiben. Wir wollen es nicht nur von einem professionellen Design-Standpunkt aus diskutieren, sondern so viele Menschen wie möglich daran teilhaben lassen. Daher ist erstmals ein Designer-in-Residence-Programm initiiert sowie Kooperationen mit einer Schulklasse und Schulabsolventen durchgeführt worden, deren Ergebnisse alle in der Ausstellung präsentiert werden. Gerade bei der Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, ist es natürlich auch die nachfolgende Generation, die einbezogen werden sollte.