Die Männerstimme rattert wie ein Maschinengewehr: Dadadadadada ...! Und fast wie im Schützengraben wird man mit Bildern, Textfragmenten, Collagenschnipseln visuell bombardiert. Dann, im weihevollen Kontrast, erscheint die Walhalla bei Regensburg, jener Tempel also, den Bayerns Ludwig II. bis 1842 für Geistesgrößen "teutscher Zunge" errichten ließ. Es folgen wilhelminische Paraden, deren Akteure dank Filmtrick vor und zurück marschieren. So beginnt "Deutschland Dada" (1969), Teil eins eines formal wie inhaltlich starken Triptychons, das dann über "John Heartfield, Fotomonteur" (1976) bis zu „Happening, Kunst, Protest 1968“ (1981) Kontinuitäten und Unterschiede künstlerischer Revolutionen des 20. Jahrhunderts herausarbeitet. Im Verzicht auf den geglätteten Erzählfluss konventioneller Dokumentationen, vielmehr sprunghaft, mit einem schier unerschöpflichen Arsenal filmischer Mittel spielend, stellt sich der Autor Helmut Herbst selbst in die Tradition der Avantgardisten, die er behandelt.
In der "Edition filmmuseum" ist nun ein Doppel-DVD-Ausgabe mit den drei jeweils rund eine Stunde langen Filmessays erschienen. Im Bonusmaterial finden sich Audio-Interviews mit einigen der vorkommenden Künstler, und im Booklet führt der Filmkritiker und Monopol-Autor Daniel Kothenschulte ausführlich in die Kunst-Trilogie des 1934 im Rheinland geborenen Filmemachers ein. Dass Herbst, ein Protagonist des "Anderen Kinos" der 1960er/70er-Jahre, vor allem auch Animationsfilmer war, spürt man durchweg, vor allem aber im zweiten Film, wenn Herbst die Fotomontagen John Heartfields in Bewegung versetzt.
Mit "Deutschland Dada" produzierte er im Protestjahr 1968 ein - laut Untertitel - "Alphabet des deutschen Dadaismus". Bei Herbst läuft es in 62 Minuten rückwärts ab. Beginnend mit Z wie Zürich, dem Ort, an dem Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp 1916 die Dada-Bewegung gründeten. Zu den Höhepunkten des Films zählen – Buchstabe S – Kurt Schwitters’ Original-Sprachaufnahmen des Gedichts "An Anna Blume" oder der "Sonate in Urlauten", die Herbst kongenial bebildert. Die Lexikon-Struktur erlaubt es dem Filmemacher, Dada in seiner ganzen Widersprüchlichkeit, eben zusammengesetzt aus dem Werk divergenter Akteure, stehen zu lassen. Am Ende fügt er Szenen aus einem Auktionshaus ein. Dada-Kunst wird versteigert - die Kapitalismuskritik der Dadaisten bleibt aktuell.
Außerhalb des Kunstmarkts angesiedelt ist der Mittelteil des Triptychons, "John Heartfield, Fotomonteur" (1976). Der als Helmut Herzfeld 1891 in Berlin geborene, während der NS-Zeit vom Exil aus wirkende und 1968 dann in Ostberlin verstorbene Künstler erreichte sein Publikum direkt über Zeitschriften in hohen Auflagen, über Plakate und Buchumschläge. Minutiös schildert Herbst, wie Heartfield auf die Bildstrategien der Nazis antwortete. Perfide nutzte Goebbels’ Propagandamaschine den Echtheits-Anschein der Fotografie. "Der Führer veränderte sogar die Silberschicht", ätzt Herbsts Kommentar. Mittels der Fotomontage, die um die Arbeitsspuren der früheren Dada-Montage bereinigt war, holte Heartfield zum aufklärerischen Gegenschlag aus. Weit mehr als ein Künstlerporträt, betont "John Heartfield, Fotomonteur" die zentrale Bedeutung der jeweils aktuellen Technik in der Kunstgeschichte.
Wie andere politische Künstler - Rembrandt mit der Strichradierung, Goya als Meister der Aquatinta, Daumier mit der Lithografie - konnte Heartfield nur dank des in den 1920ern brandneuen Kupfertiefdrucks reüssieren. Das ging freilich nur, weil die von Willi Münzenberg herausgegebene "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" ("AIZ") 1925 auf das Kupfertiefdruckverfahren umgestellt hatte und dann Heartfield-Montagen wie "Millionen stehen hinter mir" - Hitler klappt zum typischen Gruß die Hand nach hinten, ein Industrieller legt Geldbündel hinein - in der "AIZ" veröffentlichte.
Weiter zeigt Herbst, der Heartfield eben nicht als Heiligenfigur isolieren will, die Vernetzung innerhalb der Moderne auf. Der Künstler hatte, anders als häufig behauptet, die Fotomontage nicht erfunden, sondern von Paul Citroen übernommen. Citroen wiederum, so vermutet Herbst, dürfte mit seiner "Metropolis"-Collage von 1923 Fritz Lang und seinen Film "Metropolis" entscheidend inspiriert haben. Überhaupt holt Herbst in seinem Heartfield-Film weit aus, bezieht auch die von Filmemachern wie Sergeij Eisenstein ("Oktober") und Walter Ruttmann ("Sinfonie einer Großstadt") benutzten Montagetechniken erläuternd ein.
1981 schloss Herbst mit "Happening, Kunst, Protest 1968" seine Trilogie ab. Der Film beginnt mit einer Reihe oberflächlicher Wochenschau- und TV-Reportagen, die sich über Happenings unter anderem des deutschen Künstlers Wolf Vostell lustig machen. In Interviews, die Herbst mit verschiedenen Aktionskünstlern, darunter Vostell, Joseph Beuys oder Allan Kaprow führte, werden die performativen und partizipativen Tendenzen, die in den 1960ern ihren Anfang nahmen, dagegen erläutert, wird die Vielfalt der Motive und Strategien skizziert. Sehr nachvollziehbar erklärt der US-Künstler Kaprow den Schritt von Jackson Pollocks Action-Painting zu einem Aktionismus, der die Herstellung von Produkten wie Gemälde oder Skulpturen zumindest zeitweilig hinter sich lässt.
Eindrucksvoll gibt der norwegisch-amerikanische Künstler Al Hansen ein Beispiel von Fluxus-Kunst vor der Kamera, indem er seinen Kopf bis zur Unkenntlichkeit mit Klebeband umwickelt - ein "Talking Head", der nurmehr unverständliche Laute von sich gibt. Ein Schnitt, und der vom Tape befreite Hansen erklärt die Strategie seines Kollegen George Macunias. Wie sich Fluxus zum früheren Happening verhalte? "Fluxus kommt mir so vor wie ein Laserstrahl, der von George Macunias ausgesandt wurde und eigentlich nur das Problem beleuchtete: Wie können wir das Zeugs verkaufen? Und so begann Macunias damit, die Fluxus-Kästchen herauszubringen, die Schallplatten, die Tonbänder ... Dann hat er überall Listen herumgeschickt, was alles zu kaufen war, und die Sammler brauchten nur noch das Geld zu überweisen und bekamen das Ding mit der Post."
Weniger selbstkritisch oder -ironisch spricht Joseph Beuys über die Fluxusbewegung. Er trifft gegenüber Herbst ungewohnt klare Statements über seinen Erweiterten Kunstbegriff und die politische Ausrichtung von Kunst – knapp vier Jahrzehnte, bevor Andres Veiel dessen politische Intentionen in seinem Filmporträt "Beuys" (2017) herausstellt. Herbst schrieb in einem Programmheft, er habe mit seiner Trilogie die Momente zeigen wollen "in denen ästhetische Radikalität und politische Radikalität eine kleine Wegstrecke Hand in Hand gingen, bevor das Treiben autoritärer politischer Sekten auf der einen Seite und die Reaktion des autoritären Establishments auf der anderen dieser schönen Gemeinsamkeit ein Ende bereiteten." Am Ende von "Happening, Kunst, Protest 1968" sieht man, wie das Polit-Happening die künstlerische Aktion verdrängt. Herbst zeigt die Gewalt, die sich Bahn bricht, in Berlin im Juni 1967, in Paris im Mai 1968.
Seit dieser Ära haben sich Künstler weitgehend aus der Politik herausgehalten. Doch seit einigen Jahren mischt sich die Kunst wieder in den Diskurs ein: etwa das Zentrum für politische Schönheit mit spektakulären Aktionen. Im vergangenen Dezember wurde Helmut Herbst 84 Jahre alt, jetzt müssen wohl andere ran - für das filmische Update über neuere Aktionskunst.