Als Terrorist, Linksradikaler, als erstes Mitglied der RAF, das 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks in Untersuchungshaft verstarb - so ist Holger Meins den meisten ein Begriff. Das ikonografisch aufgeladene, christusgleich inszenierte Totenbild seines aufgebahrten Körpers, das zum "mobilisierenden Mythos" für die zweite und dritte Generation der RAF wurde, hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Dass Meins jedoch selbst Bilder produziert hat und lange vor seiner Radikalisierung an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) studiert hat, ist wenigen bekannt. Teilweise erstmals öffentlich gezeigten Werke des Kunststudenten sind nun in der Ausstellung "Wofür es sich zu leben lohnt" in der Kunsthalle am Hamburger Platz zu sehen.
Vor seinem radikalen Hintergrund erwartet man vom künstlerischen Schaffen Holger Meins' vieles: verstörende Bildinhalte, eine Expansion des Terrors in der Kunst. Nichts dergleichen. Umso mehr überraschen die ausgestellten Aquarelle, Zeichnungen und Schwarz-Weiß Fotografien durch Sinnlichkeit in romantisierenden Landschafts- und Porträtdarstellungen. Beinahe heroisierend wirken seine Zeichnungen von nackten Männern in Frontalansicht und erinnern an klassische Motive sozialistischer Kunst.
Geboren 1941 in Hamburg, begeisterte sich Holger Meins früh für Malerei und Zeichnung. Kurz vor dem Abitur notierte der Schüler, dass zu seinen besonderen Interessensgebieten neben Philosophie und Literatur, die Malerei - allen voran Nolde, van Gogh, Picasso und die Expressionisten gehören. "Ich liebe die Malerei und bin damit verbunden, dann interessiert mich auch nicht, ob ich dabei Geld verdiene." 1963 schrieb er sich nach dem Abitur an der HFBK ein. Künstler aus der Vornazizeit und Mitglieder der Hamburger Sezession bestimmten das Klima an der Hochschule. Man beschwor "die Kraft des guten Vorbildes". Nach den verheerenden Kriegsjahren galt es, einen neuen Lebensstil zu entwickeln und eine neue Ausdrucksweise zu finden. Auch für Meins.
Neben der Malerei kam er dort auch mit Fotografie in Berührung. Mit diesem Medium befasste sich Meins auf seinem Weg zum bewegten Bild intensiv. In der Ausstellung zeugen Schwarz-Weiß-Fotografien, die ältere Menschen und Obdachlose zeigen, von seiner Begeisterung für die Kamera. Auch eine Reihe Selbstporträts ist ausgestellt - schon damals wusste er sich zu inszenieren, seinen Körper als Mittel zu nutzen. So wie er ihn später als Terrorist der RAF im Zuge des Hungerstreiks instrumentalisierte und bis zur Selbstzerstörung brachte. Sein Körper war Mittel und Waffe im politischen Kampf. Nach seinem Tod, märtyrergleich aufgebahrt, wurde er sogar Aufruf zur politischen Agitation.
Im letzten Semester an der HFBK studierte er Experimentalfilm bei Filmemacher Wolfgang Ramsbott. Im September 1966 schrieb er sich an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin ein, wo er zusammen mit Peter Lilienthal, Gerd Conrath und Harun Farocki studierte. Als es am 2. Juni 1967 während des Besuchs des Schahs von Persien zu heftigen Protesten gegen die Polizei gekommen war, waren viele dffb-Studenten unter den Demonstranten, darunter auch Meins. Als Reaktion produzierte Meins 1968 seinen Kurzfilm "Wie baue ich einen Molotowcocktail?", der auf das Verlagshaus Axel Springer als Ziel von Brandanschlägen verweist. Mit den von der dffb zur Verfügung gestellten Materialien war es den Studenten möglich, die Protestbewegungen abzulichten. Der Film war nicht mehr Illustration, sondern Mittel zur politischen Aussage.
Meins' Kunstbegriff und die Frage, inwieweit die strengen Forderungen nach künstlerischer Radikalität und Konsequenz auch zu politischen Handlungsanweisungen wurden, ist auch heute für Kunststudenten brisant. 50 Jahre nach 1968 diente das Werk Meins' für die an der Ausstellung "Wofür es sich zu leben lohnt" teilnehmenden Kunststudenten als Ausgangspunkt zu Fragen von Widerstand und Konflikten, Gewalt und Radikalisierung aus heutiger Perspektive. Welchen Anspruch darf und muss Politik im künstlerischen Werk haben in Zeiten wachsender Unsicherheit durch Klimawandel, disruptive Technologien und einer andauernden europäischen Krise: ein sich selbst blockierendes Frankreich, ein England in der Brexit-Krise, ein taumelndes Italien. Fragen, die Kunststudenten vor neue Herausforderungen stellen - inwiefern ist es noch möglich, sich in der Kunst zu mobilisieren ohne zu radikalisieren. Und wann wird die künstlerische Radikalität zur politischen?
Die damalige Idee, einen Befreiungskampf zu führen, autoritäre Systeme anzufechten, das Schweigen zu brechen, ist nicht mehr aktuell. Vielmehr geht es um die Idee zu solidarisieren, denn zu radikalisieren.