Debatte

Wilhelm Kuhnert, der malende Kolonialherr

Die Frankfurter Schirn hat mit ihrer Ausstellung "König der Tiere: Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika" eine Debatte entfacht: Wo bleibt die kritische Einbettung dieses Malers im Gefüge des deutschen Kolonialismus? Die Kritik ist berechtigt, schreibt Eric Otieno in seinem Gastkommentar für Monopol

Bis Ende Januar 2019 zeigt die Frankfurter Schirn die Ausstellung "König der Tiere: Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika", kuratiert von Philipp Demandt, Direktor der Kunsthalle, in Zusammenarbeit mit Ilka Voermann. Sie soll den großen deutschen Tiermaler würdigen, der laut Katalog "wie kein anderer Maler seiner Zeit" die europäische und US-amerikanische Vorstellung von Afrika geprägt hat und bis heute prägt. Die umfassende Retrospektive von über 120 Werken soll der Frankfurter Publikumsmagnet der Saison werden, viele Werke sind als Leihgaben extra für die Ausstellung eingeflogen worden. Dabei geriet eines peinlich in den Hintergrund: die kritische Kontextualisierung des Werkes Kuhnerts im Gefüge des deutschen Kolonialismus.

Auf erste Kritik vor allem in den sozialen Medien, aber auch in Presserezensionen hat die Schirn geantwortet, man habe das Thema des Kolonialismus in vielen Facetten angesprochen: Kuhnert als Akteur und Profiteur, die Großwildjagd als Herrschaftsgeste. Das wird in den Wandtexten knapp thematisiert. Aber die Inszenierung der Schau legt nahe, dass das bisschen Kolonialismus seinen imposanten Gemälden nichts anhaben kann. 

Kuhnert blickt auf Tiere, Natur und Menschen mit allen kolonialen Konventionen: Typische Erzählungen von "Afrika als Niemandsland" (Terra Nullius), vom "naturverbundenen Einheimischen" oder dem "Edlen Wilden" ziehen sich durch die Ausstellung, ebenso die Projektion männlicher Herrschaftsfantasien in seiner Darstellung von Großwild wie Löwen und Elefanten. Dieses Weltbild wird dabei in mehreren Ausstellungsmaterialien entweder revisionistisch als "Risikobereitschaft", "Weltgewandtheit" und "Wille zur Erkundung ferner Länder" umschrieben oder trivialisiert als "Zeitgeist". Katalog und Begleitmaterial reproduzieren die Sprache der Zeit: Kuhnert sei "tief in die Savannen und Urwälder Afrikas vorgedrungen". Es wird wiederholt von "den Einheimischen" gesprochen und in einem Wandtext werden Kuhnerts afrikanische Träger wie selbstverständlich als Teil der kolonialen Infrastruktur aufgeführt.

Der historische Kontext des Werks wird in einem geführten Rundgang durch die Ausstellung erläutert: Vor allem die Großwildjagd wird eingehend thematisiert, da Kuhnert die Tiere in der Regel erschoss, um sie aus nächster Nähe betrachten zu können. Seine Jagd verstand er als Auftrag der Kunst und der Wissenschaft. So konnte er das Töten von mindestens 20 Büffeln, 17 Elefanten und weiteren Tieren in seinen Tagebüchern legitimieren. Wenig überraschend zeigte Kuhnert  seine Werke überwiegend in Jagd- und Kolonialausstellungen und weniger in Kunstausstellungen. In seinem Berliner Atelier und diversen Schauen wie der "Deutsch-Kolonialen Jagdausstellung" 1903 in Karlsruhe hingen seine Gemälde neben eigens gejagten und mitgebrachten Tiertrophäen. 

Empathie nur mit Kuhnert und den Tieren

Bei der Kontextualisierung des Kolonialismus wird es jedoch schwammig. Ein Exkurs in die deutsch-ostafrikanische Kolonialgeschichte würde "den Rahmen sprengen", heißt es bei der Führung. Die Schirn sei kein historisches Museum, sondern eine Kunsthalle, so die Führerin. Wie ein Haftungsausschluss wirkt dieser Satz, Besucher stehen selbst in der Bringschuld, über die deutsche Kolonialgeschichte Bescheid zu wissen. Dabei ist die schulische und gesellschaftliche Abhandlung des Themas in Deutschland mangelhaft. So führt beispielsweise die Website des Deutschen Historischen Museums nicht einmal das Wort "Kolonialismus" in seiner Beschreibung des Epochenbereichs 1871-1918, obwohl Deutschland zwischen 1884 und 1914 – immerhin drei Jahrzehnte – eine Kolonialmacht war. Der Kolonialismus war eine Herrschafts- und Gewaltstruktur, der Weltanschauungen wie die von Kuhnert zugrunde liegen. Das wird in der Ausstellung nicht deutlich. 

Kuhnert griff beispielsweise in der Schlacht von Mahenge im Rahmen des Maji-Maji-Krieges freiwillig zur Waffe. Mit etwa 300.000 Toten war der Krieg einer der brutalsten der deutschen Kolonialgeschichte. Kuhnerts Beteiligung wird jedoch nicht eingeordnet, stattdessen wird im Katalog relativiert: "Kriegsbegeisterung hat den Maler jedoch nicht getrieben, aus seinen Aufzeichnungen jener Tage spricht auch viel Angst." Angst und Schrecken der im Krieg gefallenen Afrikaner verschwinden zwischen den Zeilen. 

Die Ausstellung verleitet Besucher durchaus zur Empathie, allerdings nur mit Kuhnert und vielleicht mit den von ihm erlegten Tieren. Kuhnerts Skizze eines erhängten Afrikaners namens Mabruk, der in eine Ausstellung namens "König der Tiere" etwas deplaziert wirkt, wird trotz prominenter Ausstellungsposition nur beiläufig wahrgenommen. Erhängt wurde Mabruk, weil er verdächtigt wurde, eine Affäre mit Ndekocha, der Zwangsprostituierten des Afrikaforschers Carl Peters gehabt zu haben. Kuhnert nahm daraufhin an Vergeltungsaktionen von Peters teil, bei denen mehrere Siedlungen gebrandschatzt wurden.

Verharmlosende Formulierungen und Relativierungen

Kuhnert wird im Zuge der historischen Kontextualisierung im Katalog durch verharmlosende Formulierungen und Relativierungen freigesprochen. Seine ideologischen und praktischen Verstrickungen im Kolonialismus werden dort zwar als "Fehltritte" oder durchaus als "Tiefpunkte" seiner Karriere kritisiert, aber das Ausstellungskonzept bleibt davon unberührt. Der Rest des Katalogs ist eine lobende kunstgeschichtliche Beschreibung eines "der hervorragendsten deutschen Darsteller der tropischen Tierwelt", dessen Gemälde "keine Propagandabilder" seien. 

Ein Begleittext postuliert sogar, dass "eine pauschale Verurteilung rassistischer und instrumentalisierender kolonialer Haltungen gegenüber Afrikanern" schnell "zur Phrase" wird und uns nur wenig dabei hilft "die Rolle eines Mannes wie Kuhnert zu verstehen". Der Katalog übt das Mindestmaß an Kritik, das es braucht, um die Entscheidung für eine solche Ausstellung im Jahre 2018 plausibel erscheinen zu lassen. 

Kuhnert war das Paradebeispiel für einen Kolonialherren, ein ehemaliger Freund Carl Peters und verehrt vom Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika Paul von Lettow-Vorbeck, deren menschenverachtendes Verhalten in den Kolonien heute unstrittig sind. Der Katalog liefert aufwühlende Details dazu: Kuhnert hat mehrere dutzend afrikanische Träger, die er "Boys" nannte, miserabel entlohnt und in seinen Tagebüchern als "Überbleibsel einer vergangene Epoche", "Naturwesen" oder "Wilde" beschrieben. An seinem Zelt hing für gewöhnlich die Deutsche Reichsflagge, und er griff wiederholt auf die Ressourcen der Deutschen Kolonialverwaltung zurück. Er fertigte Studien über kriegsgefangene Afrikaner an und griff zur Waffe, um Tiere und Menschen zu töten. Kuhnert wollte um jeden Preis "seine Tiere" erkunden, in einer besitzergreifenden Geste. 

Kuhnert war leidenschaftlicher Großwildjäger, von der Kolonialherrschaft überzeugt. Der Ausstellung gelingt es, dem fast vergessenen Kolonialherren eine Wiedergeburt als Maler zu ermöglichen. Doch die überwiegende Mehrheit der Besucher wird angesichts seiner Gemälde das Problematische an Kuhnert verdrängen können. Mit der Schirn hat der malende Kolonialherr eine anerkannte Kunstplattform bekommen, die ihn von der Stigma des Jagd- und Kolonialmalers befreit. Es ist daher geradezu lächerlich zu behaupten – wie die Schirn es tut –, dass die Ausstellung an Debatten über Kunst und Kolonialismus anknüpft. Hier wäre es angebracht, eine Chronik seiner kolonialen Verstrickungen — im Katalog auf den letzten Seiten versteckt – in die Ausstellung einzubauen, oder eine Gegenerzählung zu Kuhnerts Inszenierung zu entwerfen. Eine aufrichtige Aufarbeitung von Leben und Werk hätte die koloniale Einbettung seiner Kunst in der Ausstellung deutlich sichtbar und erlebbar machen müssen.

 

UPDATE: Inzwischen hat die Schirn Korrekturen in den Wandtexten vorgenommen

Eric Otieno ist Wissenschaftler, Kultur- und Politkvermittler. Er promoviert am Institut für Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel und ist Mitglied beim erinnerungspolitischen Projekt Kassel Postkolonial. Außerdem arbeitet er als Redakteur beim "Griot mag"