Ich mag Frankfurt. Ich weiß nicht, ob es an den geschmeidigen Rudeln nervöser Anzugträger liegt, den starrenden Blicken und pochenden Schläfen morgens um 7.45 Uhr im Großraumabteil des Sprinters, der Grünen Soße, dem Kopfbahnhof oder dem Rotlichtviertel, aber irgendwie war diese Stadt für mich schon immer krass sexualisiert. Frankfurt ist die Stadt, in der ich vom Geld gefickt werden will, und zwar nicht metaphorisch sondern eher so Danae-Style – Goldregen Penetration, Münzgeldfontänen.
In Frankfurt treffe ich die Römischen Votzen. Die Römischen Votzen sind ein Kollektiv, eine deutschrappende Künstlerinnen-Band, bestehend aus Anna Hjalmarsson, Giulietta Ockenfuß und Sonja Yakovleva, die mit ihren schrill-derben Tracks wie "Frigido" oder "Casanova" die Kunst- und Rapszene gleichermaßen aufmischen. Ich weiß, es ist ein bisschen peinlich, das zu sagen, aber irgendwie hatte ich Angst vor den Römischen Votzen. Die sind einfach viel cooler als ich, dachte ich, als ich mir daheim vor dem Computer alle Tracks reingezogen und KV-TV binge-gewatched habe.
Als ich zu ihrer Eröffnung in die Galerie Robert Grunenberg in Berlin kam, um mich vorzustellen, lungerten die drei auf der Motorhaube eines fetten BMWs vor der Galerie herum, gestikulierten wild durch die Gegend und tranken dabei ab und zu von einer sehr großen Vodkaflasche. Vermutung bestätigt, auch im echten Leben arschcool, so cool, dass ich mich sofort fühlte wie früher am Basketballplatz. Ich: die mit dem Snoopy-T-Shirt und den Nicki-Tieren am Eastpak. Ihr: da drüben, mit den tiefsitzenden Jeans, den Fishbone-Jacken und den roten Gauloises. Als ich dann nach drei Gläsern Sekt genug Mut gefasst hatte und rübergetippelt kam, haben sie mir nicht sofort eine Kopfnuss verpasst und mir einen Joint in den Mund gesteckt, sondern mir das Interview ("Wollen wir nicht vielleicht zusammen Flaschendrehen spielen?") zugesagt und mir ihre Visitenkarte in die Hand gedrückt.
Auf dem Weg zu Giuliettas Atelier mitten im Frankfurter Stadtzentrum laufe ich am Eurozeichen vor dem ehemaligen Gebäude der Europäischen Zentralbank vorbei und werde fast überfahren. Ich bin irgendwie durch den Wind, vielleicht weil mir die Geldficksache wieder eingefallen ist, vielleicht einfach wegen der nächsten Stunden, für die ich zu Hause vor dem Spiegel extra mein Streetcredibility-Gesicht geübt habe. Als ich das Zimmer betrete, sitzen die Votzen schon auf dem Boden und trinken Bier. Das Licht im Atelier ist grellweiß, wie im Herrencafé. Es geht sofort los. Ich frage, ob ich rauchen darf, ab dann rauche ich Kette. Über die Überlegungen zum Flaschendrehen kommen wir gleich zu hunderten anderen Themen, so, dass wir das mit dem Flaschendrehen einfach wieder vergessen. Wir haben Wichtigeres zu besprechen. Heute sind wir Diskursvotzen.
Anna G.: "Was ist da los mit der Votze? Und wieso wird Votze mit V geschrieben?"
Sonja: "Es geht vor allem um eine Aufwertung des Begriffs, wir haben uns das nicht ausgedacht. In der Literatur findet man oft die Schreibweise mit V. Wir finden, das klingt weniger vulgär, darin liegt etwas Ehrenvolleres. Es gibt oft irgendwelche Frigidos, die uns erklären wollen, dass man das mit F schreibt. Die wedeln dann immer mit irgendwelchen Wikipedia-Artikeln. Die wollen aber eh eigentlich nur baggern."
Giulietta: "Außerdem hat es etwas damit zu tun, die Votze aus der Leerstelle, der Passivität zu holen, es ist eben ein großes Organ mit einem Namen, den man laut aussprechen kann."
Sonja: "Obwohl es sich trotzdem auch gut anfühlt, jemanden, der bitchy oder hinterhältig ist, 'Votze' zu nennen. Eine Votze ist aber auch einfach etwas Geiles, Krasses, Schönes."
Giulietta: "Wir kreieren Bilder auf allen möglichen Ebenen, visuell, in der Musik und in der Sprache. Sprache ist ein Haus der Macht, Gesten sind stark umkämpft und mit unserem Spiel mit der Sprache generieren wir so etwas wie Momente der Freiheit. Es geht darum, Begriffe und Bilder von ihren Krusten zu befreien."
Das mit den Krusten klingt auf eine gut-eklige Art nach Archäologie oder nach Geburtshilfe, die Votzen machen vielleicht so was wie neo-linguistische Gynäkologie. Ich merke gleich, dass meine Erwartung stimmt, dass das, was die drei da tun, nicht nur geil, wild und krass ist, sondern daneben auch noch theoretisch fundierte, harte Arbeit.
Ich höre den dreien gerne zu. Sonja haut in ihrem russischen Akzent eine großartige Tagline nach der anderen raus, Anna ist ruhig, konzentriert und bedacht mit ihren Worten, Giulietta redet viel und gut, man will ihr eigentlich ein Megaphon in die Hand drücken und sie auf ein Podest in der Fußgängerzone stellen.
Anna G.: "Wie seid ihr eigentlich zusammen gekommen?"
Giulietta: "Sonja und ich kennen uns schon seit ewig. Sonjas ältere Schwester hatte damals einen Hamster, den sie allen gezeigt hat, ich war dann auch da und die kleine Sonja stand in der Tür. Dann wurden wir älter und Freunde, Sonja hat dann die Schule abgebrochen und Kunst studiert an der HfG, ich in Düsseldorf. Da waren wir dann irgendwie auf dem selben Level. Die Idee, etwas zusammen zu machen, kam dann ganz schnell."
Sonja: "Wir wurden gefragt, ob wir eine Performance machen wollen für den Kunstverein Lola Montez in dem Club Rock Market damals hier in Frankfurt. Es gab nicht viel Geld und wollten das Setting irgendwie aufbrechen, keine klassische Kunstperformance machen, sondern eher etwas zwischen Party, DJ-Set und Performance. Wir waren vorher in Venedig, wo wir diese Touri-Kappen und Masken gekauft haben, dann haben wir Beats gesammelt, unter anderem von Beatbandit, der auch für K.I.Z. gearbeitet hat. Das war eigentlich der erste, richtige Auftritt der Römischen Votzen. Irgendwie ein Ausgleich zu dem nüchternen White-Cube-Shit. Es gab da keine richtige Konzeption am Anfang, das alles ist erst in der Zusammenarbeit gewachsen."
Sonja: "Anna habe ich dann 2014 bei einem Theaterprojekt kennengelernt. Ich mochte sie sofort, dann haben wir uns zu dritt getroffen und es hat gleich total krass funktioniert. Seitdem macht Anna unsere Beats, ihr technisches Know-How und ihre Perspektive haben das Projekt wahnsinnig gut ergänzt."
Anna H: "Im Gegensatz zu den beiden, komme ich auch eigentlich nicht aus dem Kunstkontext. Ich habe Biologie studiert und bin gerade in meiner Promotion zur Evolutionsbiologie von Insekten. Mein Hintergrund ist eher die Musik, ich habe davor in verschiedenen Kontexten Musik gemacht, in einer Band gespielt und an Soloprojekten gearbeitet."
Sonja: "Wir sind übrigens vollständig, wir wollen jetzt niemanden mehr aufnehmen."
Als nächstes wollen sie mir einen Track zeigen, den sie bald releasen werden. "Bartholome" heißt der. Der Stuhl auf den Sie mich gesetzt haben, ist gleichzeitig eine Soundanlage, das merke ich erst, als sie den Track anmachen. Ein bisschen fühlt es sich jetzt an wie in "Pimp My Ride", nur ohne Grillz und ohne Schwänze. Sie drehen auf und ich sinke in die Lehne.
"Es gibt immer so ein Arschloch wie Bartholome.
Er versucht dich halt zu ficken, dieser Bartholome.
Da hilft nichts auch nicht nett sein gegen Bartholome.
Aber zusammen sind wir stark.
Gegen Bartholome.
Bartholome."
Der Track ist irgendwie ernster, ein bisschen trauriger als die anderen, die ich kenne. In den Worten und dem Sound liegt so eine Ruhe und Schwere, die zum Ende hin unaufgeregt hoffnungsvoll wird.
Anna G.: "Wer ist Bartholome?"
Anna H.: "Na ja, jeder hat ja so einen Bartholome. Wir wollten einen Disstrack machen und jede hat einfach an die Person gedacht, die sie am meisten hasst."
Giulietta: "Das ist oft so bei uns, es gibt keine klare Agenda am Anfang, wir fangen an zu schreiben, es wird dann im Zusammenwirken. Bei diesem Track hat Anna übrigens zum ersten Mal in unserer Geschichte gerappt."
Sonja: "Bartholome ist irgendwie so ein böser Klumpen. Mit dem Disstrack wollten wir unseren Frust eben produktiv machen, nicht so wie die Frigidos, die dann rumlaufen und passiv-aggro sind."
Ich mag das Bartolome-Ding. Ich finde, es klingt irgendwie nach Beschwörung oder Anrufung, den biblischen fiesen Sack, der uns schon seit Jahrtausenden auf die Eier geht. Wir reden über Bösewichte und über Gewalt, kommen zu dem Schluss, dass Voldemort eigentlich auch nur von der Liebe gefickt wurde, jetzt als wütendes, hässliches Baby von seinen Kumpels gefüttert werden muss und deshalb die Hälfte der Weltbevölkerung auslöschen will. In der Muggelwelt wäre Voldemort wahrscheinlich incel – ein involuntary celibate.
Anna G.: "Würdet ihr eher sagen, dass ihr Musik macht, oder dass ihr Kunst macht?"
Sonja: "Die Musik muss alles tragen bei dem Projekt. Wenn die Lyrics nicht funktionieren, die Beats nicht, dann macht das ganze Ding keinen Sinn."
Giulietta: "Neben der Musik machen wir ja auch andere Arbeiten, zum Beispiel die, die Du bei Robert Grunenberg gesehen hast. Da haben wir mit unserer Lieblingstechnik, der Tiffany-Glaskunst, gearbeitet. Jede von uns hat ja auch noch ihre eigenen Projekte, die in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Jede von uns muss eine starke, eigene Position mitbringen."
Die Art, wie die drei über ihre Arbeit sprechen, ist wirklich beeindruckend. Man merkt schnell, dass das Ganze nicht nur ein ungestümes Studentenprojekt ist, sondern ein Unternehmen. Die Votzen haben sich professionalisiert. Muss man ja auch in einem Milieu, das vielleicht noch viel krasser Showbiz ist, als die Rapszene, das von institutionellem Manspreading, magischen Zahlen, imaginärem Mehrwert und breiter, ausbeuterischer Praxis lebt. Nur dass man in der Kunst eben keine Fuffis durch den Club wirft, sondern CVs durch Messehallen.
Anna G.: "Was interessiert Euch denn an Rap als künstlerische Praxis?"
Giulietta: "Aus der Schule und dem Studium kannte ich diese ganzen weißen Akademikerjungs, die mit so einer Hingabe Rap gehört haben. Bei mir gab es da ganz lang eine Art innere Zensur. Trotzdem hat mich an der Begeisterung dieser Knaben irgendwas abgeschreckt und angezogen gleichzeitig. Ich hab dann irgendwann angefangen mir das reinzuziehen, Frauenarzt, Royal Bunker, Aggro Berlin, ab 2012 dann ganz viel amerikanisches South Side. Man wird in den Texten ja auch krass angesprochen, als Zuhörerin, so nach dem Motto 'Warum bist du eigentlich so ein passiver Schmock?' Ich hab das irgendwie als Aufforderung wahrgenommen."
Weil ich schon betrunken genug bin, sage ich, dass ich mir als weiße, privilegierte Akademikertochter irgendwie dämlich vorkommen würde, wenn ich versuchen würde, zu rappen.
Giuletta: "Ich fühle mich komischerweise ganz wohl darin, das Genre gibt es ja auch irgendwie her. In der Entstehung von Hip-Hop gibt es ja ganz unterschiedliche Akteure. Wir schließen uns da an. Viele Leute rappen, weil sie sonst aggressiv werden würden."
Sonja.: "Ja, bevor man jemanden absticht, oder Terrorist wird, rappt man eben."
Anna G.: "Wärt ihr aggressiv geworden, wenn Ihr keine Musik machen würdet?"
Sonja: "Ja, klar. Also bei mir war das mit dem Rap irgendwie so ein Gefühl, wie in diesen Filmen, wenn die Glotze läuft und Eltern Angst haben, aber die Kinder es voll abfeiern. Bei meiner Freundin daheim da lief dieses Video von Wu-Tang Clan mit der Felshöhle, wo so ein paar Typen mit Fell und so Zeug rumlaufen. Ich wollte dann nicht wie die Frauen sein, die um sie rumtanzen, sondern wie diese Männer, die rappen und laufen gleichzeitig. Ich war damals in der Schule gar nicht so aggressiv, vielleicht eher Klassenclown. Wir hatten mal so eine Sci-Fi-Veranstaltung, da hab ich mich lustig verkleidet und ein paar Mal Hurensohn gesagt und gemerkt, dass alle irgendwie schockiert sind, weil eine Frau das macht. Für mich war das gar nicht so krass, es hat sich ganz natürlich angefühlt."
Giulietta: "Je öfter man diese Rolle spielt, desto leichter geht es. Es ist nicht nur Show, darin verwächst ganz viel von unserem Erleben, unseren Sehnsüchten. Die Rolle ist ein Biotop, in dem ganz unterschiedliche Teile unserer Persönlichkeiten aufgehen. Vieles davon ist real und vieles ist ein Bild."
Sonja: "An der Rolle ist aber auch gut, dass es eine Rolle ist. Nicht wie bei der Frankfurter Rapperin Schwesta Ewa, wo man dann auf dem Konzert gefragt wird, ob man nicht doch für 500 Euro bei dem Gang Bang mitmachen will, das ist mir irgendwie zu real."
Giulietta: "Es gibt ja auch eine Differenz zwischen der Musik, ihrem Wachsen, den Bildern und dem Auftritt. Am Anfang steht erst einmal das Auskotzen. Man kotzt etwas aus und dann sublimiert man es. In der kollektiven Arbeit wird das dann umgesetzt, geht im Auftritt und in der Sprache auf. Wir sprechen ja auch von 'Gebrauchslyrik'."
Das mit der Gebrauchslyrik finde ich wirklich gut. Wo Hélène Cixous von der "Frigidisierung" des weiblichen Begehrens und der Sprache durch den patriarchalen Diskus spricht, kehren die Votzen es einfach um. "Frigidos" sind männliche Hysteriker nur andersrum, oder so. Wir sprechen dann darüber, das Authentizität das Unwort des Jahrhunderts ist, über Performativität und über Hysterie – die Bilder, die in der Wechselseitigkeit von Spektakel und Zuschauer entstehen.
Giulietta: "Es ist schon ein Versuch des Durchbrechens und Umwerten von Codes auf den unterschiedlichen Bühnen. Im Gegensatz zum hysterischen Spektakel, haben wir Kontrolle über unsere Bildwelten. Wir machen unser Management und die Videos selbst, Anna macht unsere Beats und mastert die Sachen, wir gestalten das alles."
Ich glaube, dass es stimmt. Vielleicht kann das alles nur so leichtfüßig aussehen, weil hinter den Bildern sehr viel Technik, sehr viel Strategie, Konzeption, Wissen und das Verhandeln dieser Kategorien liegt. Es sind produktive Strategien, die visuelle und sprachliche Hegemonien auf spielerische und eindringliche Art korrumpieren. Das, was sie da geschaffen haben, ist keine schludrige Utopie, es ist eine stechend scharfe Sichtbarmachung.
So würde ich das sagen. Die Römischen Votzen sagen einfach: Shitstorm 3000.
Als ich spät abends aus dem Atelier torkle, staunt das Eurozeichen immer noch gleich wichtig-nüchtern in den Himmel. In den erleuchteten Türmen sitzen Erwachsene und tippen Zahlen in Computer. Irgendwie bin ich froh, dass es nicht nur diese Art von Arbeit gibt. Die Arbeit, die Anna, Giulietta und Sonia machen, penetriert die Langeweile und schmierige Seriosität der Schwanz-Kapital-Parade Kunstbetrieb auf eine funktionale Art und Weise. Vielleicht habe ich heute etwas verstanden. Scheiß auf die Frigidos mit den Geldkoffern und den Tweed-Jackets. Die Votzen sind keine notgeilen Königstöchter, sondern selbst der verfickte Goldregen. Aha. Ich glaube, ab heute will ich auch eine Votze sein.
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