Beatriz González ist bald 80 Jahre alt und trägt eine ziemlich mondäne Sonnenbrille, die sie auch nicht abnimmt, als sie vom sonnigen Hof des Berliner KW Institute for Contemporary Art in ihre Ausstellung hinabsteigt. Sie lacht, als sie erzählt, wie sie 1971 an der Biennale von São Paulo teilnahm – auf der Höhe der Konzeptkunst: "Mein Werk war das einzige mit Farben!" Eine Busfahrkarte zu kaufen und das als Kunstwerk zu deklarieren, so etwas sei ihre Sache nicht – sie komme einfach nicht davon los, Objekte herzustellen. Vielleicht sei allerdings die Bezeichnung doch richtig, die ihre aktuelle Galeristin mal für sie erfand: Konzeptkünstlerin in Camouflage.
Definitiv richtig ist, dass Beatriz González zu den einflussreichsten Persönlichkeiten in der Kunstszene Südamerikas zählt – und dass das Werk der Kolumbianerin in Europa bislang noch viel zu wenig bekannt ist. Die Retrospektive, die jetzt die Berliner KW in Zusammenarbeit mit dem CAPC musée d’art contemporain de Bordeaux und dem Reina Sofía in Madrid organisiert haben, soll das ändern. Normalerweise, so erklärt KW-Direktor Krist Gruijthuijsen, ist sein Haus ja eher der aktuellen Kunstproduktion gewidmet, doch wenn es darum geht, Künstler und Künstlerinnen aus anderen Kontinenten in Europa auf die Landkarte zu bringen, ist auch solch eine museale Ausstellung hoch willkommen.
So hat man dann das seltene Vergnügen, das Erdgeschoss und die große Halle des KW mit einer hervorragend kuratierten Retrospektive bespielt zu sehen, wie sie sonst in den großen Museen der Welt zu finden ist. Gleich zu Beginn steht man dem Gemälde gegenüber, mit dem González den künstlerischen Durchbruch schaffte. Für "Los Suicidas Del Sisga" von 1965 hat die Künstlerin erstmals einen Zeitungsausschnitt zur Grundlage eines Porträts gemacht. González vereinfacht die Formen und verstärkt die Flächigkeit der Gesichter. In ihrer Adaption des Medienbildes des Paares, das aus übergroßer Liebe gemeinsam Selbstmord beging, verschränkt sich massenmedial befeuerte Pop-Art mit starkfarbiger Volkskunst zu einer ganz eigenen Version der Moderne.
Dieses Konzept der Verschränkung von Medienwelt mit Folklorismus und Alltag zieht sich durch das gesamte Werk. González bringt abgemalte Zeitungsbilder von Bodybuildern und gefeierten Rennradfahrern, aber auch von Mordopfern auf Leinwände auf, später breitet sich ihre Malerei auf Möbel und Vorhänge aus.
Ende der 70er – in Kolumbien herrscht eine Scheindemokratie, das Land zerreibt sich in bewaffneten Konflikten mit links- und rechtsgerichteten Guerilla-Kämpfern – wird González‘ Kunst immer politischer. Auf einen meterlangen Vorhang lässt sie in Serie das Bild des damaligen Präsidenten Turbay Alaya drucken, halb betrunken bei einer Party, er feiert, während sein Land leidet. González adaptiert die europäische Kunstgeschichte und bannt ihre Version von Manets "Dejeuner sur l’herbe" auf einen gigantischen Vorhang, aber sie malt auch die Opfer in ihrem eigenen Land, Tote, die aus einem Fluss gezogen werden, Indigene mit abgewandten Gesichtern, Menschen, die im Schmerz die Hände vor das Gesicht schlagen. Eine Wandtapete mit dem wiederkehrenden Motiv von Menschen, die Leichenbündel schleppen, ist eine Referenz auf ein aktuelles Projekt in einem Friedhof in Bogota, wo eine riesige Installation von González an die Opfer von Gewalt erinnern soll.
Ja, es ist bunt, das Werk von Beatriz González. Und komplex. Wie sie Politik, Medienrealität und Alltagsästhetik zusammenführt, ist seit fünf Jahrzehnten absolut zeitgenössisch.