Der Erfolg ließ auf sich warten, lang war sie nur in Rumänien bekannt – vielleicht der Grund, weshalb Geta Brătescu sich nie von ihrem Heimatland gelöst hat. Trotz ihrer Teilnahme an der Istanbul-Biennale im Jahre 2011 blieb Brătescus Kunst nahezu unbemerkt. Erst zwei Jahre später verhalf ihr der Beitrag auf der 55. Venedig Biennale - da war die Künstlerin 87 Jahre alt - zum internationalen Durchbruch. Zu Ehren ihres 90. Geburtstags organisierte die Hamburger Kunsthalle eine Retrospektive – die erste außerhalb Rumäniens. Ihr folgte die Teilnahme an der Documenta 14 (2017), der rumänische Pavillon der 57. Venedig Biennale (2017), die Galerievertretung bei Hauser & Wirth sowie mehrere Einzelausstellungen in ganz Europa.
Brătescu Aufmerksamkeit galt besonders der Linie, die von ihr stetig und auf immer neue Weise modifiziert wurde. Losgelöst von der Fläche schwebt sie frei im Raum und ist zuweilen vollständig von ihrem Umfeld isoliert. Abstraktion ist das Werkzeug, mit dem Brătescu das Erlebte verarbeitet. Ihre dynamisch geschwungenen Linien, ihre groben Kreise und Rechtecke sind mehr als geometrische Figuren. Sie sind Sinnbild für ein Leben voller Gegenwehr, harter Arbeit und Hingabe. Die Leichtigkeit der vermeidlich unbefangenen Wechselbeziehung zwischen Raum und Linie ist geprägt von Brătescus Vergangenheit, vom Widerstand gegen die neostalinistische Diktatur Rumäniens.
Brătescu wurde 1926 als einziges Kind eines Apothekerpaares in Ploieşt geboren. Schon früh erkannte sie ihre Leidenschaft für Kunst und Literatur. Sie begann mit dem Kunststudium, Familie und Lehrer unterstützten sie dabei. Kurz vor ihrem Examen musste sie abbrechen, die politische Repression des Ceauşescu-Regimes zwang sie dazu. Ein harter Rückschlag für die junge Brătescu, und es sollte noch schlimmer kommen: Mit dem Machtantritt der Kommunisten erhielt sie ein vorübergehendes Ausstellungsverbot.
Erst vier Jahre später schloss sie ihr Diplom ab, das war 1971. Sie trat in die rumänische Künstlervereinigung ein. Ihre Mitgliedschaft ermöglichte ihr, innerhalb der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Länder zu reisen, ein Privileg, das nur wenigen zuteil wurde. Es war die Zeit, in der sie sich endlich künstlerisch entfalten konnte. Seitdem arbeitete sie ununterbrochen, stellte aus, illustrierte, schrieb Texte, zeichnete, modellierte, fotografierte und drehte Filme.
Trotz allem blieb die "Zeichnerin im Dienste der Linie" in ihrem kleinen Atelier in Bukarest. In einem Gespräch mit der rumänischen Kuratorin Magda Radu sagte Brătescu einmal: "Kunst ist ein ernstes Spiel." Bis zuletzt hielt die Grande Dame der rumänischen Konzeptkunst daran fest, mit ganzem Herzen und voller Hingabe.