Das Schöne an der Kunst ist ja, dass sie aus dem alltäglichen Ringen um Lösungen für kleine und große Probleme weitgehend ausgeklammert ist. Eine Pause von der Optimierung, ein Schulterzucken in Richtung Effizienz. Die Künstlerin Kathrin Sonntag aus Berlin interessiert sich trotzdem für die Bewältigung von Schwierigkeiten, aber sie ersetzt Perfektionszwang durch den Spaß am Provisorium und Langlebigkeit durch eine Hommage an die Notlösung. Das Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst im Berliner Stadtteil Neukölln zeigt nun bis zum 27. Januar 2019 ihre Einzelausstellung "Things Doing Their Thing", in der die Fotografin ein heiteres Eigenleben ihrer Motive inszeniert.
Für ihre Serie "Problems and Solutions", die die größte Fläche im ehemaligen Maschinenhaus der Brauerei einnimmt, hat Kathrin Sonntag Situationen fotografiert, in denen sie ein Gespür für besonders beherzte und ästhetisch interessante Lösungen witterte: ein Haus, das kurzerhand um einen im Weg stehenden Baum herum gebaut wurde, ein kunstvoll gebogenes Regenrohr, eine schlappe Astgabel, die sich auf einen Holzpflock stützen darf. Diese Bilder von provisorischen Skulpturen aus der Außenwelt lässt sie jedoch nicht im makellosen weißen Kunstraum existieren. Sie legt Teile des Bodens mit Malervlies aus, lässt Renovierzeug herumstehen und den erhabenen White Cube als nachlässig gestrichene Baustelle auftreten.
Die Demontage des Kunstraums gehört inzwischen zum Standardrepertoire von Künstlern und ist gerade in einem Ausstellungshaus mit bierbrauerischer Industrievergangenheit nicht übermäßig aufregend. Aber Kathrin Sonntag treibt das Spiel mit dem Raum noch weiter. Ihre Fotos hängen nicht als gerahmte Prints in der Ausstellung, sondern sind wiederum abfotografiert und als Fototapeten an die Wände geklebt.
Auch auf diesen Wandbildern sind Werkzeuge wie Leitern und Malerrollen zu sehen, die mit den tatsächlich vorhandenen Objekten ein verwirrendes Perspektivspiel eingehen. Die Betrachter stolpern buchstäblich durch die Ausstellung, werden zum genauen Hinsehen gezwungen, während Kathrin Sonntag angenehmerweise nicht auf einfache Illusionspointen, sondern eher auf einen Dialog zwischen Zwei- Und Dreidimensionalität setzt.
Auf Hybride stürzt sich auch eine Collagenreihe, bei der aus der Kombination von Alltäglichem neue irritierende Formen entstehen. "Dinglinge" nennt Kathrin Sonntag diese Nachkommen von unwahrscheinlichen Partnerschaften. Ihre Kreationen entziehen sich der Klassifizierung und haben Humor, so wie über der ganzen Ausstellung ein Gefühl der Leichtigkeit schwebt. Eine Dia-Show, die aus fragmentierten Abbildungen aus Katalogen besteht, zeigt, dass man sich absurde Objekte gar nicht ausdenken muss. Auch auf diesen Bilder sind vermeintliche Problemlöser zu sehen - und dazu die fett gedruckten Heilsversprechen der Hersteller. Doch neben dem milden Amüsement über alle erdenklichen Haushaltshelferchen lassen sich auch Schlüsse über die Geschlechterklischees in der Warenwelt ziehen. Die meisten Gegenstände sind auf Frauen zu geschnitten und sollen sie – wie eine Plastikschablonenmaske zum Augenbrauenzeichnen – schöner machen.
Gleichzeitig zu Kathrin Sonntag ist in der Kindl-Brauerei auch eine neue Arbeit von Thomas Scheibitz zu sehen – und während Sonntag mit der fotografischen Illusion von Volumen spielt, zeigt Scheibitz eine Installation, in der jedes der Objekte seine Materialität preisgibt. Der Berliner Bildhauer ist nach Roman Signer, David Claerbout und Haegue Yang der vierte Künstler, der für das imposante, gut 20 Meter hohe Kesselhaus eine neue Arbeit geschaffen hat.
Nach den bisher eher schwebenden Werken der Reihe, steht Scheibitz' "Plateau mit Halbfigur" nun fest auf dem Steinboden der Halle. Auf einem rot gefärbten Sockel gruppieren sich ineinander verschränkte Objekte aus Holz und verstärkter Pappe: ein abstrahiertes Gesicht, der Buchstabe "A", eine Säule, ein Brückenteil. Der Farbjongleur Scheibitz hat sich im Kesselhaus zurückgenommen, der Großteil seiner Skulptur ist weiß, nur zaghaft setzt er leuchtendes Gelb oder Rosa als Schattenfarben ein.
Die Säule, die auch als Schornstein auf Minischiff lesbar ist, hat metallischen Glanz, der auf die kupfernen Sudkessel im Nebenraum verweist. Wie immer bei Thomas Scheibitz ist auch seine neueste Arbeit ein Verweisfeuerwerk. Wie er in einem "Arbeitsheft" verdeutlicht, hat der Künstler an Tempel, Wohnblöcke, Porträtzeichnungen, historische Kupferstiche und Kristalle gedacht. Man kann die Skulptur sezieren und dechiffrieren, oder einfach als Präsenz im Raum akzeptieren, die man umrunden sollte, und die aus jeder Perspektive neue Verbindungen zwischen den Objekten offenbart. Mit seiner acht Meter hohen Arbeit widersteht Scheibitz der Versuchung, den imposanten Raum des Kesselhauses mit schierer Größe bezwingen zu wollen. Das Ergebnis ist friedliche Koexistenz, die von Souveränität zeugt. Das Gebäude ist der Star. Die Kunst muss ihn scheinen lassen.